Verurteilt, weil er im Internet surfte: Zum Tag der Menschenrechte fordert die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte die Freilassung eines jungen Afghanen
(aus Hinz&Kunzt 190/Dezember 2008)
Eigentlich sollten die Brüder Yaqub Ibrahimi und Parvez Kaambakhsh jetzt in Hamburg sein. Sie sollten Atem, Kraft und Mut schöpfen, um nach einem Jahr gestärkt nach Afghanistan zurückzukehren: ihre Heimat, in der sie derzeit nicht sicher sind. Die beiden jungen Afghanen sind als Gäste der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte in die Hansestadt eingeladen. Der Journalist Yaqub Ibrahimi recherchiert in Afghanistan über die Verbrechen der sogenannten Warlords und prangert sie an. Er veröffentlicht Artikel über Korruption, Erpressung und Gewalt und hat schon mehrfach Morddrohungen erhalten. Sein Bruder Parvez Kaambakhsh, Journalistikstudent an der Balkh-Universität in Mazar-i-Sharif, ist in der Islamischen Republik Afghanistan durch seine kritischen Fragen in Sachen Politik und Religion aufgefallen.
Im Juni dieses Jahres kam Yaqub Ibrahimi nach Hamburg. Nun hat er die Stadt vorübergehend wieder verlassen – freiwillig, um seinem Bruder in Afghanistan beizustehen. Denn Parvez Kaambakhsh wurde vor mehr als einem Jahr verhaftet und im Januar 2008 zum Tode verurteilt. Das Verbrechen des 24-jährigen Studenten: Er soll islamkritische Texte aus dem Internet geladen und verteilt haben. Er bestreitet, das Papier, das in seinem Besitz gefunden wurde, selbst ausgedruckt zu haben. Der Inhalt des verhängnisvollen Dokumentes ist eine Durchleuchtung des Korans, des heiligen Buches des Islam, zum Thema Frauenrechte. Das Berufungsverfahren zum Todesurteil endete im Oktober mit einem erneuten Schuldspruch. Immerhin: Das Urteil wurde abgeschwächt – und in eine 20-jährige Gefängnisstrafe umgewandelt.
Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte spricht von einem „Unrechtsurteil“ in einem Land, das vor knapp fünf Jahren eine demokratische Verfassung verabschiedet hat, in der auch Meinungsfreiheit in Wort, Bild und Schrift jedem Bürger garantiert wird. „Wir setzen uns weiter für die Freilassung von Parvez Kaambakhsh ein“, sagt Geschäftsführerin Martina Bäurle.
112 Gäste hat die Stiftung nach Hamburg eingeladen, seit der ehemalige Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi sie 1986 gründete. Sie alle blieben auch nach der Rückkehr in ihr Heimatland unbehelligt. „Ihre Verfolger scheuen sich wohl davor, Personen mit einem gewissen öffentlichen Ansehen weiter zu bedrohen“, erklärt Martina Bäurle die Schutzfunktion der Stiftung. Die Nicht-Regierungsorganisation vergibt Stipendien an Journalisten, Autoren, Fotografen und bildende Künstler, die in ihren Heimatländern in Gefahr sind, weil sie ihre politische Meinung öffentlich äußern. Ein Jahr lang sollen die Stipendiaten in Hamburg ohne Angst vor Repressionen arbeiten können.
Ein weiterer Gewinn des Programms: Es gibt politisch Verfolgten die Möglichkeit, in Deutschland und Europa als Stimme ihres Volkes gehört zu werden. „Unsere Gäste können unmittelbar über die Verhältnisse in ihrem Heimatland berichten. Und sie stehen mit ihrer Geschichte selbst dafür ein.“
Parvez Kaambakhsh wartet zusammen mit seinem Bruder und mit internationalen Menschenrechtsorganisationen auf die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Sie fordern nichts weniger, als dass die Anklage fallen gelassen wird. Das Verfahren soll in nächster Zeit vom obersten Gericht wiederaufgenommen werden. Eine Gelegenheit für die afghanische Gerichtsbarkeit zu beweisen, dass sie es mit den Menschenrechten ernst meint – oder dass es auch in Zukunft gefährlich für Studenten sein wird, das Internet zu nutzen.