Schafe, Seebären, 1000 Steine
Die drei ungewöhnlichsten Dienststellen für Zividienst und das Freiwillige Soziale Jahr
(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)
Es ist heiß an Bord, wahnsinnig heiß. Der Boden in dem kleinen, in gelb und braun gehaltenen Raucherzimmer scheint leicht schräg zu sein. An der Wand hängt eine vergilbte Weltkarte. Die Sowjetunion ist zu sehen, Deutschland ist noch geteilt. Die umlaufenden, mit khakifarbenem Stoff überzogenen Couchen sind durchgesessen. Auf dem niedrigen Tisch liegt ein abgegriffenes Backgammon-Spiel. Annika Kämling zeigt den vereinzelt hereinkommenden russischen Seeleuten eine Broschüre vom Hamburger Seemannsclub „Duckdalben“ und beantwortet geduldig die in schlechtem Englisch vorgetragenen Fragen.
Es ist ihr erster Schiffsbesuch an diesem Tag. Der etwas schäbig aussehende russische Öltanker hatte gleich ihre Neugier geweckt. Ob man im Seemannsclub Telefonkarten kaufen könne oder wie dort der Wechselkurs des Dollars sei, fragen die Matrosen. Einer bietet an, uns das Schiff zu zeigen. Unsere Fotografin Sonja und ich folgen gespannt. Mehr als eine halbe Stunde später, nachdem wir – kindlich begeistert – durch die Kombüse und den Maschinenraum bis hoch zur Brücke geführt worden sind, kommen schließlich fünf Seeleute mit in den Kleinbus, der uns zum „Duckdalben“ bringt.
Die persönliche Entscheidung für den Zivildienst und ganz besonders für ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr hängt stark von der Attraktivität der Dienststelle ab. Wirklich ungewöhnliche, fast schon exotische Dienststellen sind selbst in Hamburg schwer zu finden. Aber es gibt sie.
Annika hat die Entscheidung, beim „International Seamen’s Club Duckdalben“ ihr Soziales Jahr zu machen, nicht bereut. Im Gegenteil: „Ich würde am liebsten mein ganzes Leben dort arbeiten“, sagt das Mädchen mit den roten Haaren voller Überzeugung. Seeleute aller Nationen, vor allem Filipinos, Chinesen, Inder und Ägypter, nutzen die kurze Zeit ihres Hafenaufenthalts, um im Seemannsclub zu entspannen.
Die Besucher erwartet ein breit gefächertes Angebot an Freizeitmöglichkeiten: vom obligatorischen Clubraum mit Bier- und Kaffeetresen über Tischtennis, Billard und Kicker, Möglichkeiten zum weltweiten Telefonieren bis hin zur internationalen Bibliothek und einem multireligiösen Andachtsraum ist fast alles dabei. Das Schönste an ihrer Arbeit sei, sagt Annika, sich mit so vielen unterschiedlichen Menschen austauschen zu können und die unterschiedlichen Meinungen über das Leben mitzubekommen. Vier Heiratsanträge von gestandenen Seebären hat die 20-Jährige auch schon erhalten: „Aber die fahren in den nächsten Hafen und erzählen dem erstbesten Mädchen das gleiche.“
Szenenwechsel. Johannes Schley steht mit einem Eimer voll Futter mitten auf einer grünen Wiese. Umringt von Dörthe, Mollie und Maxi. Insgesamt sind es acht Schafe, präzise gesagt acht rauwollige Pommersche Landschafe, die sich noch etwas scheu um ihre morgendliche Essensration drängeln. Johannes wollte seinen Zivildienst auf jeden Fall draußen verbringen. Die wenigen Zivildienststellen im Umweltschutz waren bereits vergeben, und so entschied er sich für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) beim Umweltzentrum Karlshöhe. Zu seinen Schützlingen gehören neben den Schafen noch zwei Ziegen, 17 Hühner und zwei Gänse. Im März kommen dann noch ein paar Lämmer dazu, wahrscheinlich sechs. „Und die Ziege ist auch schon ganz eckig“, zeigt Johannes.
Man müsse sich dreckig machen können, dürfe keine Angst vor Tieren haben, gerne mit Kindern arbeiten und eine Vorliebe fürs Handwerkliche haben. Dies sind die wichtigsten Voraussetzungen für seine Arbeit, meint Johannes. Im Sommer macht er pro Woche drei bis vier Führungen für Kinder. „Das sind immer mehr als 20 kleine Männchen. Auf die muss man gut eingehen können“, sagt er. Kardieren, Filzen, Weben, Spinnen und Färben der eigenen Schafswolle sind typische Beschäftigungen, die der FÖJler zusammen mit Schulklassen macht. Sich selbst hat er bereits einen stilechten Schäferhut gefilzt. Bis zum Ende seiner Dienstzeit will er eine komplette Schäfergarderobe für sich geschneidert haben.
Zurück in die Stadt. Erst nachts um 1.30 Uhr Feierabend zu haben, ist für Sasha Hoferichter nichts Ungewöhnliches. Den Freitagabend verbringt er meist auf Rockkonzerten, bei Breakdance-Acts oder Hip-Hop-Jams – und das beruflich. Sasha ist Zivildienstleistender beim Jugendmusikzentrum „Trockendock“, das zum Verein „Lass 1000 Steine rollen!“ gehört. Wir finden Sasha hinterm Tresen des hauseigenen Cafés. An der Wand hängt unübersehbar der Hinweis, dass kein Alkohol ausgeschenkt wird. „Rock statt Drogen“ ist das Motto von „Lass tausend Steine rollen!“, und der Erfolg des Projekts zeigt, dass sich junge Leute durchaus darauf einlassen. Das Trockendock bietet den 15- bis 25-jährigen Besuchern neben den regelmäßigen Veranstaltungen Übungsräume für Bands, günstigen Unterricht an diversen Instrumenten und offene Angebote wie DJ-Training oder Freestyle-Rap.
Für Sasha, der selber Gitarre spielt, ist die Zivi-Stelle ein Glücksgriff. Durch den Austausch mit den jungen Musikern und – in seiner Freizeit – die Beteiligung in den unterschiedlichsten Bands entwickele er sich musikalisch ständig fort. „Ich spiele jetzt auch Schlagzeug in einer Band“, erzählt er begeistert, „und das bringt einen natürlich voran, wenn man mal was ganz anderes macht.“ Gerade habe er auch bei einer Reggae-Formation mitgespielt und damit in ein Genre hineingeschnuppert, das ihm vorher unbekannt war.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass man sich auf höchst unterschiedliche Art sozial engagieren kann. Eins haben die drei Stellen dennoch gemeinsam: Sie brauchen alle noch einen Nachfolger. Schade, dass man nicht gleich alle drei nacheinander machen kann…