Wohnungsnot? Wohnungskatastrophe!

WhgsAZ
Wohnung frei? Bitte melden! Denn Tausende suchen …

Die GAL nennt die Wohnungsnot in Hamburg eine „angebliche‘‘. Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer findet: „Das ist blanker Hohn.‘‘ Denn allein im Bezirk Mitte stehen hunderte auf der Straße, weil es für sie keine Wohnungen gibt.

„Ich will nur helfen, damit niemand erfrieren muss“

Für Rita und Uwe Bernzen gehört soziales Engagement zum Leben dazu. Aber im Gegensatz zu anderen helfen sie direkt vor ihrer Haustür: Schon zum dritten Mal kümmern sie sich um einen Wohncontainer, in dem Obdachlose überwintern können.

(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)

*** Pressemitteilung *** Hamburgs Notunterkünfte vollkommen überfüllt.

Hamburg, Juli 2010. Die städtischen Notschlafstellen sind völlig überlastet. Die Notunterkünfte Pik As und Frauenzimmer waren im Mai zu 101 Prozent (Pik As) beziehungsweise 125 Prozent (Frauenzimmer) belegt; im Juni zu 93 Prozent und 120 Prozent, so die Sozialbehörde auf Nachfrage von Hinz&Kunzt.

Nimm Platz, wo du Platz findest: Wohnungsloser im Pik As (Februar 2010)
Nimm Platz, wo du Platz findest: Wohnungsloser im Pik As (Februar 2010)

„Scheiße ist das, wenn du hier landest“

Auch in diesem Winter haben viele Obdachlose trotz klirrender Kälte draußen geschlafen, anstatt die städtischen Notunterkünfte zu nutzen. Warum? Fabian Zühlsdorff und Hanning Voigts haben getarnt als Obdachlose eine Nacht im Notasyl Pik As verbracht – und Antworten gefunden.

(aus Hinz&Kunzt 206/April 2010)

Seit mehr als einer Stunde liege ich wach. Es ist halb drei Uhr nachts, und obwohl ich zum Umfallen müde bin, kann ich nicht einschlafen. Im Bett unter mir liegt ein Mann, der sich ununterbrochen kratzt. Durch das Kratzen wackelt und quietscht das metallene Doppelstockbett, außerdem quält mich die Frage, ob mein Bettnachbar eine ansteckende Hautkrankheit hat. Aber auch sonst finde ich im Zimmer 412 der Notunterkunft Pik As keine Ruhe. In einem Raum sind hier 13 Männer untergebracht, nur eines der 14 Betten ist leer. Es riecht nach Schweiß und ungewaschenen Körpern. Nur zwei der Männer scheinen zu schlafen, zumindest schnarchen sie laut. Wie soll ich hier erholsamen Schlaf finden?

Dabei ist mein Aufenthalt im Pik As bisher besser verlaufen als erwartet. Nachdem Hinz&Kunzt-Autor Ulrich Jonas im Dezember 1999 eine Nacht hier verbracht hatte, berichtete er von überforderten Mitarbeitern, exzessivem Alkoholkonsum der Bewohner und skandalösen hygienischen Zuständen. Mittlerweile hat sich einiges geändert: Betrunkene sind heute kaum zu sehen, die Toiletten sind sauber, das Haus ist einigermaßen ruhig.
Vier Stunden zuvor: Unser Aufenthalt im Pik As beginnt gegen 22 Uhr mit einem überraschend freundlichen Empfang. „Wie, ihr habt keine Ausweise dabei?“, fragt uns ein Mitarbeiter erstaunt. Wir schütteln den Kopf. „Na, dann müsst ihr beide uns einfach eure Namen und  Geburtstage aufschreiben“, meint er versöhnlich. „Trinkt erst mal einen Kaffee, meine Kollegin kümmert sich gleich um euch.“

Wir ziehen uns am Automaten einen kostenlosen, dünnen Kaffee. In der Ecke der neonbeleuchteten Eingangshalle kriechen gerade drei junge Männer auf dem nackten Fußboden in ihre Schlafsäcke. Sie reden laut auf Spanisch miteinander. Und im Gegensatz zu uns scheint ihnen die triste Atmosphäre hier nicht die Laune zu verderben. Das seien arme Teufel ohne deutschen Pass, die hier kein Recht auf ein Bett hätten, erklärt uns der Mitarbeiter: „So haben sie bei der Kälte wenigstens ein Dach über dem Kopf.“
Kurz darauf nimmt eine Mitarbeiterin unsere Daten auf. „Wir haben für euch nur noch Platz in einem der Notaufnahmezimmer“, sagt sie entschuldigend, „da schlafen schon mehrere, und besonders hygienisch ist es auch nicht.“ Während sie uns jeweils ein belegtes Brötchen, Decken und frische Bettwäsche in die Hand drückt, schärft sie uns ein: „Ihr müsst auf eure Wertsachen aufpassen.“ Diese Warnung haben wir schon oft gehört. Hinz&Künztler berichten immer wieder von nächtlichen Diebstählen im Pik As.

In Zimmer 412 wird mir schnell klar, dass ich hier kein Auge zumachen werde. Die Luft ist zu unangenehm, die Atmosphäre zu unruhig. Wieder auf dem Flur treffen wir Rolf *, der sich gerade umständlich eine Zigarette dreht. Er trägt einen geflochtenen Bart und hat bis vorgestern auf der Straße geschlafen. „Alle paar Minuten fuhr ein Auto an mir vorbei“, sagt er, „da kriegst du kein Auge zu.“ Ich frage ihn, wie es ihm im Pik As gefällt. „Es ist ruhiger“, sagt Rolf langsam, „aber die Luft ist so schlecht und trocken.“

Im Treppenhaus kommt uns ein alter Mann in zerschlissenen Jeans entgegen. Er trägt keine Schuhe, seine schorfigen Hände und Füße stecken in schmutzigen Verbänden. Lallend fragt er mich nach einer Zigarette. „Danke Mann, du bist der Boss“, sagt er, als ich ihm eine gebe. Sein Anblick ist deprimierend. Der Alte tut mir leid. Im Aufenthaltsraum ist die Stimmung besser. Im Fernsehen läuft der Hollywood-Western „Der mit dem Wolf tanzt“. Die Film-Idylle mit Indianern und weiter Prärie will nicht so recht zu dem spartanisch eingerichteten Zimmer passen, aber immerhin ist der Raum sauber und dient nicht mehr vorrangig zum Trinken wie noch vor zehn Jahren. Neben Fabian und mir sitzt Arne, ein junger Punker mit roten Haaren. „Mit 18 bin ich zu Hause abgehauen, hab meine Lehre geschmissen, mal hier und mal da gepennt“, erzählt er. Nach Hamburg ist er wegen seiner Freundin gekommen, die hat ihn im September 2009 aus der Wohnung geworfen. „Seitdem schlag ich mich so durch“, sagt Arne. Das Pik As stört ihn nicht, er ist froh über die Unterkunft: „Ich stelle kaum Ansprüche.“

Als der Aufenthaltsraum gegen ein Uhr früh geschlossen wird, gehe ich kurz an die frische Luft. Im Innenhof stehen zwei junge Männer mit Bierdosen in der Hand. Der eine guckt mich plötzlich an. „Und du musst hier pennen?“, fragt er. Ich nicke. „Scheiße ist das, wenn du hier landest“, meint er, „hast du wenigstens ein Einzelzimmer?“ Ich verneine. „Ach du Scheiße“, sagt er und sieht mich mitleidig an. Ich schäme mich ein bisschen, ihm etwas vorzuspielen.
Um halb zwei Uhr gehe ich ins Zimmer 412 und lege mich ins Bett. Ich fühle mich unwohl, an Schlaf ist nicht zu denken. Fabian nickt immerhin für zwei Stunden ein. Gegen fünf Uhr halte ich es einfach nicht mehr aus. Als wir zum Ausgang gehen, schlafen in der Eingangshalle sieben Menschen, einige einfach gegen die Wand gelehnt.

* alle Namen geändert

Die Kosten der Übernachtung in Höhe von 24 Euro pro Person haben wir an fördern und wohnen überwiesen.

Das Pik As in der Neustädter Straße 31a ist Hamburgs zentrale Notunterkunft für obdachlose und wohnungslose Männer. Getragen wird es vom städtischen Unternehmen fördern und wohnen. Das Haus hat derzeit 190 Betten, zumeist in Vier-Bett-Zimmern. Außerdem gibt es 24 Einzelzimmer, in denen die Bewohner auch Hunde halten können. Das Pik As ist verpflichtet, jederzeit allen
obdachlosen Männern einen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen.
Von November 2009 bis Februar 2010, während des Winternotprogramms für Obdachlose, haben im Schnitt 167 Menschen pro Nacht in der Notunterkunft geschlafen.
Obwohl das Pik As nur eine vorübergehende Notlösung sein soll, leben einige Bewohner seit vielen Jahren dort, darunter auch einige Hinz&Künztler. Das Winternotprogramm wird nach Angaben von fördern und wohnen in diesem Jahr am 15. April enden.


„Wir sind doch kein Hotel!“: Wie es Hinz&Kunzt-Autor Ulrich Jonas vor zehn Jahren ging, als er eine Nacht im „Pik As“ verbrachte

Hilft viel, braucht wenig Platz: Eine Box zum Überwintern

Das Diakonische Werk sucht Kirchengemeinden, die in der kalten Jahreszeit Wohncontainer für Obdachlose bereitstellen.
(aus Hinz&Kunzt 207/Mai 2010)

Heiß begehrt: Die 87 Schlafplätze in Wohncontainern, die es im vergangenen Winter im Hamburger Notprogramm für Obdachlose gab, waren ruck, zuck besetzt. Kein Wunder: Sie bieten nicht nur eine trockene und warme Bleibe in den kältesten sechs Monaten des Jahres, sondern auch eine Chance, sich ein wenig zu erholen und neue Kraft zu sammeln.

Große Liebe

Ein Hund macht es für viele Hinz&Kunzt-Verkäufer noch schwieriger, eine Unterkunft zu finden. Aber auf das Tier zu verzichten kommt für kaum jemanden infrage

(aus Hinz&Kunzt 179/Januar 2008)

Auf Gerrits schwarzer Vliesjacke haften unzählige weiße Fussel. Fellhaare von seiner Huskyhündin Nic. Seit Jahren sind beide unzertrennlich. An Hinz&Kunzt-Verkäufer Gerrit lässt sich besonders gut erklären, warum ein Obdachloser einen Hund braucht: „Ohne Nic wäre ich längst tot.“

Frühling heißt Platte machen

In kalten Nächten schlafen mehr als 200 Menschen in Winternotquartieren. Wenn die im April schließen, wissen die meisten Obdachlosen nicht, wo sie hin sollen

(aus Hinz&Kunzt 182/April 2008)

In diesen Tagen schließen die Winternotquartiere für Obdachlose. Mehr als 200 Menschen verlieren dann Bett und Dach über dem Kopf. Was aus ihnen wird, ist in den meisten Fällen nicht bekannt. Ein Besuch in der Notunterkunft Sportallee.

Tod im Zelt

(aus Hinz&Kunzt 157/März 2006)

In Neugraben und Öjendorf starben zwei Obdachlose – SPD und GAL fordern Korrekturen am Winternotprogramm

30. Januar, auf der Freifläche nördlich des S-Bahnhofs Neugraben. Eine Frau, die mit ihrem Hund spazieren geht, will nach einem Obdachlosen schauen, der dort seit einiger Zeit zeltet. Aber er lebt nicht mehr.

Zurück auf die Straße

Ende des Winternotprogramms

(aus Hinz&Kunzt 123/Mai 2003)

Das Winternotprogramm ist vorbei. Kirchencontainer, Wohnschiffe und Notquartiere in Fachhochschulen schließen ihre Türen. Für hunderte von Obdachlosen heißt es jetzt: Zurück auf die Straße. Denn selten zuvor schienen die Aussichten auf eine eigene Wohnung so schlecht zu sein wie in diesem Jahr.

„Es sieht ganz düster aus. Die großen Wohnungsgeber sträuben sich immer häufiger, Sozialhilfeempfänger aufzunehmen“, sagt Sigrid Hochdörfer vom Verein „Trotzdem“, der Haftentlassenen hilft, eine Wohnung zu finden. „Wahrscheinlich denken die, wer den ganzen Tag zuhause hockt, der randaliert schnell mal. Und die Saga ist ja zur Zeit auf einem totalen Sanierungskurs.“ Da passen Problemmieter wie ehemalige Obdachlose, Haftentlassene und Sozialhilfeempfänger nicht mehr ins Bild.

Das Integrationsprojekt unterhält 30 Übergangswohnungen für Haftentlassene und schaffte es bislang noch, zwischen 67 und 70 Prozent der Ex-Knackies in eigene feste Wohnungen zu vermitteln. „Aber es wird immer schwieriger“, sagt Sigrid Hochdörfer. Im zweiten Halbjahr 2000 fanden noch 19 Männer mit Hilfe des Vereins eine eigene Wohnung, 2001 waren es nur elf. Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor.

Ähnliche Erfahrungen macht auch das Bodelschwingh-Haus, eine stationäre Einrichtung des Diakonischen Werkes, in der 70 Männer vorübergehend wohnen können: Die Männer würden im Schnitt zwei bis drei Monate länger im Bodelschwingh-Haus wohnen. Einfach deshalb, weil sie trotz großer Anstrengung keine eigene Wohnung finden. Dieser Trend verschärfe sich in den kommenden Monaten noch, weil das Winternotprogramm ausgelaufen sei. Dann werden die etwa 215 Männer und Frauen, die den Winter über in zusätzlich eingerichteten Notunterkünften hausten, zusätzlich auf den Wohnungsmarkt drängen.

Doch den Beratungsstellen bleibt oft nichts anderes übrig als die Leute an Notlösungen wie das Pik As zu vermitteln. Der Traum von der eigenen Wohnung bleibt für viele ein frommer Wunsch. Denn die Vermittlungszahlen der sieben Beratungsstellen für Personen mit Wohnungsproblemen sprechen eine deutliche Sprache: Konnten die Sozialarbeiter vor fünf Jahren noch 40 Prozent der Wohnungslosen bei der Saga oder der Gesellschaft für Bauen und Wohnen GWG unterbringen, waren es im Jahr 2001 nur noch 20 Prozent.

Besonders dramatisch macht sich die Weigerung der stadteigenen Wohnungsunternehmen in der Beratungsstelle Billstedt bemerkbar. Dort nahmen Saga und GWG im Jahre 1998 fast 90 Prozent aller Menschen auf, die die Beratungsstelle der Caritas in Billstedt und Bergedorf vermittelt hatte. Im Jahr 2001 waren es nur noch acht Prozent. Für das vergangene und das laufende Jahr erwarten die Sozialarbeiter vor Ort keine Besserung. Und das, obwohl die beiden Wohnungsunternehmen mit insgesamt 134.000 Wohnungen nicht nur wirtschaftlichen Grundsätzen, sondern auch sozialen Aspekten verpflichtet sind.

Da hilft es auch wenig, dass die Organisatoren des Winternotprogramms zumindest keinen Anstieg der Obdachlosenzahlen bemerkt haben: „Die Zahl der Obdachlosen, die im Winternotprogramm Schutz vor der Kälte suchten, ist ungefähr gleich geblieben“, sagt Kay Ingwersen, Sprecher von pflegen & wohnen. Insgesamt wurden auf dem Wohnschiff „Bibby Altona“ in Neumühlen vom 1. November 2002 bis Anfang April dieses Jahres 12.400 Übernachtungen gezählt. „Das sind 3100 Übernachtungen weniger als im Vorjahr“, so Ingwersen. Dafür seien im gleichen Zeitraum wesentlich mehr Obdachlose ins Pik As gezogen. „Dort sind wir eigentlich ständig mit Überlast gefahren“, sagt Ingwersen. Obwohl das Pik As eigentlich nur 190 Schlafplätze bereitstelle, seien bis zu 245 Männer pro Nacht dort gewesen. Das Haus sei im Schnitt zu 125 Prozent überbelegt gewesen.

Warum in diesem Winter mehr obdachlose Männer ins Pik As gingen, könne er nur vermuten. Im Vorjahreszeitraum zählten die Mitarbeiter von pflegen & wohnen auf dem damaligen Wohnschiff „Bibby Challenge“ immerhin noch 15.500 Übernachtungen. „Ein Grund könnte sein, dass die ‚Bibby Challenge‘ damals einen großen Schlafsaal hatte, der sehr beliebt war“, so Ingwersen. „Es gab dort insgesamt mehr Platz für den Einzelnen.“ Doch auch das könnte ein Grund für sinkende Zahlen sein, wird in der Szene vermutet: In den vergangenen Jahren hätten Drückerkolonnen das Winternotprogramm der Wohnschiffe missbraucht, um ihre Mitarbeiter kostenlos unterzubringen. In diesem Jahr müssen die Männer auf dem Wohnschiff ihre Ausweise vorzeigen. Es sollen nur noch wirkliche Obdachlose an Bord. Selbst zum Ende des Programms im April seien die Belegzahlen noch immer sehr hoch gewesen. „Das liegt“, so Ingwersen, „auf jeden Fall an dem langen Winter, den wir dieses Jahr hatten.“

Zu einer anderen Bilanz kommen dagegen die Mitarbeiter der Tagesaufenthaltsstätte Bundesstraße, die die Containerplätze vermittelt hat: „Der Andrang war riesig“, sagt Mitarbeiterin Rika Klauzsch. „Am Anfang standen die Männer bis auf die Straße hinaus Schlange. Wir haben absolut steigende Zahlen und hätten noch mehr Kapazitäten gebraucht. Sowohl beim Winternotprogramm als auch bei der Essensausgabe: Zum ersten Male haben wir über das Jahr gesehen mehr als 20.000 Essen ausgegeben.“

Auch Peter Lühr, der Leiter der Beratungsstelle für Haftentlassene in der Kaiser-Wilhelm-Straße, sieht wenig Anlass zu Optimismus: In Hamburg werden täglich fünf Strafgefangene aus der Haft entlassen, die keine Wohnung haben, so Peter Lühr. Die Chancen für diese Männer, in absehbarer Zeit in eine eigene Wohnung zu kommen, hätten sich drastisch verschlechtert. „Die Stadt gibt gern Menschen zu uns in die Haftanstalten ab“, sagt Peter Lühr, „aber wieder nehmen will sie sie nicht.“

Petra Neumann

Ärger auf dem Wohnschiff

Wachdienst schikanierte Obdachlose

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Zwei Übergriffe durch Wachmänner meldeten Obdachlose vom Wohnschiff „Bibby Altona“.

In der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember 2002 soll eine Frau von zwei Männern auf den Kopf geschlagen worden sein. Der Vorfall soll sich ereignet haben, nachdem sich Christine B., die an einer schweren Lungenkrankheit leidet, geweigert habe, in einem für sie bestellten Krankenwagen mitzufahren. Die Wachleute seien wegen dieser Geschichte „richtig genervt“ gewesen, so ein Bekannter der Frau.

Christine B. erzählt, dass sie von Wachmännern gepackt und in eine Ecke gedrängt wurde. Dort sei sie geschlagen worden. Ihr Bekannter konnte nichts sehen, hörte aber die Schreie der Frau, ebenso andere Bewohner. Er beschloss deshalb, Christine B. selbst ins Krankenhaus zu bringen. Der Wachdienst Pütz Security bestreitet, die Frau geschlagen zu haben.

Allerdings war das nicht der erste Zwischenfall. Vier Obdachlose wurden mitten in der Nacht von Sicherheitsleuten vom Schiff gejagt. Der Hintergrund: Ein Mann hatte in den Flur uriniert. Das wurde von den diensthabenden Wachmännern morgens gegen 1.15 Uhr entdeckt. Daraufhin weckten sie sämtliche Bewohner, deren Zimmer auf den Flur führten.

Als alle „angetreten“ waren, zwangen die Wachmänner die Obdachlosen einen nach dem anderen, einen Teil des Flures zu putzen. Vier Obdachlose weigerten sich. Die Sicherheitsleute zwangen die Männer nach deren Aussagen, sofort das Schiff zu verlassen. „Wir hatten kaum Zeit, unsere Sachen zu packen.“ In einem offenen Brief an den Betreiber des Schiffes, pflegen & wohnen (p&w), beschwerten sich die Männer über diese Schikane.

p&w-Sprecher Kay Ingwersen ging der Sache sofort nach. Die Sicherheitsmänner räumten ein, die Bewohner mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und sie zur Säuberung des Flurs gezwungen zu haben. Allerdings stritten sie ab, die Verweigerer von Bord gejagt zu haben. p&w erteilte dem Wachdienst eine mündliche Ermahnung. „Das ist ein drastischer Hinweis: So geht das nicht“, sagte der Sprecher.

Noch am Nachmittag wurden die Obdachlosen wieder aufs Schiff gelassen. Peter Krause, Leiter der zentralen Erstaufnahme, entschuldigte sich bei den Männern. Krause hat allerdings in diesem Fall eine Erklärung für den Vorfall: Am Tag davor hätten vier Obdachlose eine Kabine mit Kot verschmiert. Krause geht davon aus, dass dies mutwillig geschah. Die Obdachlosen erhielten Hausverbot. Und die diensthabenden Wachleute bekamen von ihm einen Anschiss. Da hätten die Männer wohl „überreagiert“.

Das glauben viele Bewohner allerdings nicht. Dass man „blöd angemacht“ werde, komme häufig vor. Drei bis fünf Wachleute von den 20 hätten es regelrecht auf Streit abgesehen. „Denen darf man gar nicht in die Augen gucken, sonst fühlen die sich provoziert“, sagten mehrere Männer. Der Pütz Security Service gehört allerdings zu den Sicher-heitsdiensten mit einem relativ guten Ruf. Die Drogeneinrichtung Fixstern arbeitete mit Pütz zusammen und war „sehr zufrieden. Da hatten wir allerdings zwei bestimmte Ansprechpartner.“

Genau das strebt der Betreiber p&w jetzt auch an: Für das Winternotprogramm sollen in Zukunft zwei spezielle Wachleute zuständig sein. Krause: „Wir versprechen uns davon eine Verbesserung des Klimas.“

Birgit Müller