Wasser: Flüssige Ware
Werden die Hamburger Wasserwerke privatisiert? Initiativen befürchten sinkende Qualität und steigende Preise
(aus Hinz&Kunzt 125/Juli 2003)
Wenn Klaus Milewski Durst hat, geht er zum Wasserhahn. „Ich trinke schon seit Jahren grundsätzlich Leitungswasser“, sagt der 44-Jährige. In Hamburg kann Milewski seinen Durst bedenkenlos stillen: Das Leitungswasser in der Stadt ist hervorragend.
Bleibt das so? Das Bündnis „Unser Wasser Hamburg“, in dem sich Milewski engagiert, befürchtet sinkende Qualität und steigende Preise. Grund: die mögliche Privatisierung der Hamburger Wasserwerke (HWW), die bisher noch ausschließlich der Stadt gehören. Könnte das Lebensmittel Nummer 1 zum Spielball von Konzernen werden, nur um kurzfristig etwas Geld in die Stadtkasse zu spülen?
Immerhin interessiert sich HWW, viertgrößter Wasserversorger in Deutschland, für die Übernahme von Gelsenwasser, der Nummer 2 am Markt. Um den millionenschweren Einkauf zu bezahlen, so eine Vermutung,+ müsste sich HWW selbst einen Geldgeber ins Haus holen. Der will natürlich mitreden – und damit hätte, nach mehr als 150 Jahren in öffentlicher Regie, die Privatisierung der Hamburger Wasserversorgung begonnen.
Finanzsenator Wolfgang Peiner wäscht seine Hände in Unschuld: Das seien bloße „Gerüchte“. Behördensprecher Burkhard Schlesies bekräftigt: „Wir führen keine Verhandlungen mit Investoren, wir haben auch keine Angebote erbeten.“ Allerdings überprüfe die Finanzbehörde derzeit alle städtischen Beteiligungen, darunter auch HWW. Schlesies: „Der Senat entscheidet im Laufe des Sommers, wie er mit den Beteiligungen weiter verfährt.“
Die Privatisierung der Wasserversorgung liegt weltweit im Trend. Ob in Manila oder Prag, Hongkong oder Buenos Aires – immer öfter sind es kommerzielle Anbieter, die den Bürgern das Wasser reichen. Den Kommunen gefällt es: Sie können mit Erlösen aus dem Verkauf städtischen Eigentums das nächstliegende Haushaltsloch stopfen. Berlin hat 49,9 Prozent seiner Wasserbetriebe bereits versilbert – an RWE und Vivendi, die mit dem französischen Konzern Suez am internationalen Wassermarkt das Sagen haben.
Hamburg könnte eine wahre Perle zu Markte tragen. Die zentrale Wasserversorgung der Stadt ist die älteste auf dem europäischen Kontinent – und heute eines der profitabelsten Unternehmen in städtischem Besitz. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich Hamburgs Bürger ihr Wasser auf unterschiedliche Weise beschafft: Sie ließen sich Quellwasser auf ihre Grundstücke leiten, sie bezogen Alster- oder Elbwasser von den privaten „Wasserkünsten“, wie Speicherbehälter und Pumpsysteme früher genannt wurden, sie gingen selbst zum Schöpfbrunnen, oder sie wurden von Wasserträgern beliefert. Nach dem Großen Brand von 1842 fiel in Hamburg eine wegweisende Entscheidung: Der englische Ingenieur William Lindley plante ein Wassernetz in städtischer Trägerschaft. 1848 ging die „Zentrale Stadtwasserkunst“ in Betrieb und pumpte geklärtes Elbwasser in die Häuser. Im 20. Jahrhundert wurde zunehmend Grundwasser verwendet, aber erst seit 1964 wird Hamburgs Trinkwasser völlig ohne Elbwasser gewonnen.
HWW hat heute zwei Millionen Kunden, rund 1.200 Mitarbeiter erwirtschaften einen Umsatz von 182 Millionen Euro. Der Gewinn aus dem Wasserverkauf ist 2002 kräftig gestiegen: auf 35,7 Millionen Euro (Vorjahr: 26,8 Millionen). Damit wurde locker der millionenschwere Verlust der Hamburger Schwimmbäder ausgeglichen, die über Bäderland ebenfalls zu HWW gehören. Trotzdem blieben immer noch fast 19 Millionen Euro übrig, die das Unternehmen an die Stadt überwies. Eine Summe, die im Haushalt natürlich fehlen wird, wenn die Stadt nicht mehr allein Eigentümerin ist.
In der HWW-Zentrale in Rothenburgsort gibt man sich wortkarg, wenn es um eine mögliche Privatisierung geht. „Kein Kommentar“, lässt Geschäftsführer Hanno Hames ausrichten. Deutlich äußert sich dagegen „Unser Wasser Hamburg“. „Die Hamburger Wasserwerke haben am Markt überhaupt nichts verloren. Trinkwasser ist ein Menschenrecht – keine Handelsware“, sagt Volkswirt Jürgen Arnecke, einer der Sprecher. Das Bündnis formierte sich Anfang des Jahres. Zu den Initiatoren gehören die Globalisierungskritiker von Attac, die Umweltschutzverbände BUND und NABU, die Verbraucherzentrale und die beiden großen Hamburger Mietervereine.
„Unser Finanzsenator müsste eigentlich wissen, dass ein Privatunternehmen nur in ein Wasserwerk einsteigt, wenn es Profit machen kann“, ergänzt Klaus Milewski, der derzeit durch Europa tourt, um für Volksabstimmungen in der EU zu werben. Ein privater Kapitalgeber wolle, unabhängig von einer Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligung, das operative Geschäft kontrollieren und dann „massive Sparmaßnahmen“ einleiten.
Mit der exzellenten Qualität des Hamburger Trinkwassers wäre es nach einer Privatisierung womöglich vorbei, befürchtet das Bündnis. Gewinnorientierte Unternehmen könnten die Qualität des Trinkwassers auf das gerade noch erlaubte Maß absenken. Beispiel: Sie mischen dem hochwertigen Grundwasser chemisch aufbereitetes Oberflächenwasser bei, das weniger kostet.
Führt eine Privatisierung wenigstens zu sinkenden Preisen? Wohl kaum. Denn anders als im Strom- oder Telefonnetz können bei Wasser nicht mehrere Anbieter dieselben Leitungen nutzen. Dazu ist Wasser ein zu empfindliches Gut, das sich – im Gegensatz zu Strom – nicht einfach „mischen“ lässt. Folge: Der viel gepriesene Wettbewerb, der etwa bei Telefongesprächen für sinkende Preise gesorgt hat, kann bei Wasser gar nicht stattfinden. „Hier wird ein staatliches in ein privates Monopol überführt“, kritisiert Jürgen Arnecke, „das ist das Gegenteil von Wettbewerb.“ Hamburg würde „beim Grundnahrungsmittel Nummer 1 von einem einzigen Lieferanten abhängig“, der Preis und Qualität diktiere. Das Bündnis verweist auf Großbritannien, wo die Privatisierung zu einem Preissprung von 46 Prozent geführt habe. Statt marode Leitungen zu sanieren, sei die Dividende erhöht worden. Arnecke ironisch: „Wenn unser Trinkwassersystem dann nach 15 Jahren ohne nennenswerte Investitionen völlig heruntergewirtschaftet ist, dürfen wir es wieder zurückkaufen.“
Am sparsamen Umgang mit Wasser, befürchtet auch der GAL-Abgeordnete Christian Maaß, können private Anbieter kaum interessiert sein. Verluste im Netz würden sie in Kauf nehmen, solange betriebswirtschaftlich die Kasse stimmt – Ökologie nachrangig. Werbung fürs Wassersparen, wie HWW sie betreibe, werde ein privater Investor kaum fortführen, vermutet Maaß. Auch mit der finanziellen Stütze für die Hamburger Bäder, die bisher von Gewinnen aus der Wasserversorgung profitieren, dürfte es vorbei sein. Maaß: „Das bedeutet für zahlreiche Schwimmbäder Hamburgs das Aus. Gerade sozial benachteiligte Stadtteile wären betroffen.“
Um eine Privatisierung von HWW zu verhindern, hat „Unser Wasser Hamburg“ eine Volksinitiative gestartet. Die erforderlichen 10.000 Unterschriften sind bereits erreicht, obwohl die Frist noch bis Anfang August läuft. Auf der nächsten Stufe, beim Volksbegehren, müssen innerhalb von zwei Wochen gut 60.000 Hamburger unterschreiben. Ist auch das geschafft, könnte ein Volksentscheid über die Wasserversorgung stattfinden.
Doch vorerst bleibt alles im Fluss. Finanzsenator Wolfgang Peiner hat eine Privatisierung der HWW nicht offen befürwortet, aber auch nicht ausgeschlossen. SPD und GAL in der Bürgerschaft haben unterdessen versucht, den Verbleib von HWW im Eigentum der Stadt festzuschreiben. Doch das scheiterte an den Stimmen der Regierungskoalition.