„Ich möchte nicht, dass Günter denkt: du Arschloch.“
Vor 20 Jahren brach Ex-Hinz&Künztler Uwe Wichmann im Drogenwahn in der Agentur „Panfoto“ von Günter Zint ein. Er ließ so viel mitgehen, dass die Fotoagentur fast ruiniert war. Der finanzielle Schaden und der Vertrauensbruch wogen schwer, eine Versöhnung schien ausgeschlossen. Doch ein Artikel in Hinz&Kunzt über Uwes Leben und seine Firma brachte die Männer dazu, nach all den Jahren wieder miteinander zu reden. Nun will Uwe alles dafür tun, den Schaden wiedergutzumachen. Die Geschichte einer Annäherung.
(aus Hinz&Kunzt 207/Mai 2010)
„Wenn ich an damals denke, zittere ich immer noch“, sagt Günter Zint. „Uwe hat uns im Sommer 1990 bei ‚Panfoto‘ den Laden ausgeräumt; Kameras, Computer, Projektoren, Vergrößerungsgeräte – alles war weg. Selbst die Disketten waren verschwunden; unsere Büros sahen aus wie eine Möbelausstellung. Wir hätten das beinahe nicht überlebt.“ Er schaut geradeaus: „Ich bin wochenlang wie in Trance durch die Gegend gelaufen; ich habe kaum etwas mitbekommen.“ Uwe Wichmann nickt wortlos.
Der einstige Hinz&Kunzt-Verkäufer und der Fotograf sitzen nebeneinander im Sankt Pauli Museum, das Zint aufgebaut hat. Seit fast 20 Jahren haben sie nicht mehr miteinander geredet. Jetzt wollen sie ihre Geschichte erzählen.
Kennengelernt haben sich die beiden Mitte der 70er-Jahre, sie waren gut befreundet, und Uwe Wichmann arbeitete zeitweise in Zints Agentur Panfoto. „Wir haben auch eine Zeit lang zusammengewohnt, es war wie eine Familie. Das war ein Wahnsinnsvertrauensbruch, den ich da …“, sagt Uwe. Er schluckt, senkt den Kopf, versucht sachlich weiterzureden. Zu erklären. „Ich hab damals in der Freiheit Tür gemacht, da hab ich das Saufen wieder angefangen. Dabei war ich über zehn Jahre trocken. Ich bin bald mit so Halblitertulpen voll Baileys rumgerannt.“
Zint unterbricht: „Aber das war doch nicht nur der Alkohol?“ – „Nee“, sagt Uwe: „Bei den Chefs ging öfters mal eine Nase Koks rum und das war mein Untergang. Dann kam noch das Heroin dazu – Koks mit Heroin, es geht rasant, dass du dich total veränderst. Wenn du keinen Stoff mehr hast, hast du Todesangst.“
Zint hat Uwe damals gleich im Verdacht: „Wegen seiner Drogen und weil er wusste, wie man die Alarmanlage ausschaltet. Und ich hatte ihn schon vorher zweimal aus dem Knast geholt.“ Er sieht Uwe von der Seite an. „Uwe hat unglaublich viele Begabungen, aus denen er alles hätte machen können, wenn er nicht so abgestürzt wäre.“
Uwe rückt mit dem Stuhl näher an den Tisch heran: „Ich wollte – und das ist jetzt kein Spruch – ich wollte von Günter drei Kameras ausleihen, ins Pfandhaus bringen, später wieder auslösen. Ich hatte noch einen Schlüssel zu den Räumen …“ – weshalb später auch keine Versicherung für den Schaden aufkam. „Was ich nicht wusste“, unterbricht ihn Zint erneut. „Ich nehme an, du und deine Freundin …“ Uwe nickt: „Meine damalige Freundin war mit, die war genauso auf Turkey wie ich. Plötzlich hat sie gesagt: ‚Wenn du nicht die Computer mitnimmst und das noch und das alles noch, dann fang ich an zu schreien.‘ Es war der Wahnsinn!“ Uwe Wichmann fährt sich übers Gesicht, schweigt. „Beim Prozess dann bekamst du ein Jahr“, sagt Günter Zint und sieht Uwe an. „Auf Bewährung.“
Uwe Wichmann lebt anschließend lange auf der Straße, wird Hinz&Kunzt-Verkäufer, kommt nicht von den Drogen los. Erst als er niedergestochen wird, nur knapp überlebt, macht er einen Entzug – und hält durch. Heute hat er eine Firma, die bei Dreharbeiten für Film und Fernsehen für die Absperrungen verantwortlich ist. „Panfoto hat ja nicht nur fotografiert, sondern schon immer auch Filme produziert“, erklärt Zint. „Und Uwe hat da Requisite und Aufnahmeassistenz gemacht. Er hat bei uns gelernt, was er heute kann.“
Es bleibt nicht aus, dass Günter Zint Uwe Wichmann ab und zu auf St. Pauli trifft: „Immer, wenn ich ihn mit den Zeitungen gesehen hab, hab ich sofort die Straßenseite gewechselt. Automatisch.“
Uwe seinerseits traut sich lange nicht, auf Zint zuzugehen: „Ich hab das immer wieder versucht, ehrlich, aber ich hatte doch nichts in der Hand.“ Dann fasst er sich doch ein Herz, spricht ihn an: „Da hast du nur zu mir gesagt: ‚Geh mir aus den Augen, du Ratte.‘ Das war der zweite Messerstich für mich“, sagt er. Zint schüttelt den Kopf. „Ich hab gesagt: ‚Dir kann ich nur noch in’ Arsch treten‘; da war ich noch so was von sauer und fertig.“ Beide schweigen.
Im Januar dieses Jahres erscheint die Geschichte von Uwes Firma bei Hinz&Kunzt – der Einbruch wird nicht erwähnt. Zint ruft in der Redaktion an, berichtet entsprechend aufgebracht, was vor knapp 20 Jahren passiert ist: „Ich hätte ihm ja den Gerichtsvollzieher auf den Hals schicken können, aber ich wollte ihm nun auch nicht seine Firma kaputt machen.“
Uwe versucht, mit Zint Kontakt aufzunehmen, ruft ihn an, aber Zint legt immer wieder auf. „Nicht auflegen, nicht auflegen, nicht auflegen!“, flehte er zuletzt. Bei der Feier für den verstorbenen Kiez-Maler Erwin Ross Ende März sitzen die beiden unter den vielen Trauergästen zum ersten Mal länger an einem Tisch. Und halten es aus.
Uwe hat dann eine Idee: Er könnte Fördermitglied beim Verein des Sankt Pauli Museums werden. Könnte wenigstens versuchen, symbolisch den angerichteten Schaden wieder gutzumachen. Zint zögert – und willigt schließlich ein.
Dass Panfoto den Einbruch damals überhaupt überstanden hat, ist der Unterstützung zu verdanken, die Zint erfährt: Keiner seiner Mitarbeiter kündigt. Zugleich erscheint ein Spendenaufruf in der Taz und dem medizinkritischen Magazin Dr. Mabuse: „In der ersten Woche kamen allein 12.000 Mark zusammen; insgesamt wurden es mehr als 35.000 Mark. Wir konnten uns davon neue Computer kaufen und neue Kameras; eben alles, was wir brauchten“, erzählt Zint. „Ich weiß nicht, ob es diesen Zusammenhalt heute noch gibt.“
Und – hat er Uwe verziehen? Günter Zint atmet einmal heftig aus: „Diese Frage habe ich befürchtet.“ Er macht eine lange Pause. „Ehrlich – ich weiß es nicht“, sagt er schließlich: „Ich bitte da noch um eine Frist.“ Uwe Wichmann meint: „Ich kann den finanziellen Schaden nicht ungeschehen machen; aber ich kann versuchen, den emotionalen Schaden wieder gutzumachen.“ Und: „Ich möchte nicht, dass Günter, wenn er Fotos von früher sieht, immer wieder denkt: das Arschloch.“ Zint muss kurz schmunzeln: „Normalerweise gibt es bei uns Menschen einen wunderbaren Mechanismus im Gehirn, der unangenehme Dinge so langsam verschwinden lässt. Wenn du aber Fotograf bist, wenn du dann im Archiv wühlst – dann macht es hin und wieder: Bäng!“
Er wird wieder ernst, atmet noch einmal tief aus, sagt dann: „Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient; bei Uwe dürfte es die vierte sein. Aber ich freue mich, dass er heute clean ist. Ich wünsch mir, dass er diese Chance nutzt und dass er es schafft.“
Draußen beim Fotografieren stehen sie wie selbstverständlich nebeneinander. Sie fachsimpeln über Kameras, es geht zurück ins Museum, sie schauen sich Fotos an. Auch Uwe hat Bilder mitgebracht: darunter ein Kinderfoto – ein kleines Mädchen mit einer Strickmütze und einem Ast in der Hand.
Uwe schiebt das Bild Zint zu. „Weißt du noch?“, fragt er. „Ist das Lena?“, fragt Zint zurück. „Ja“, sagt Wichmann, „das muss im Niendorfer Gehege sein.“ Weitere Namen purzeln; viele, über die sie kurz sprechen, sind nicht mehr am Leben. „Aber wir leben noch“, sagt Günter Zint.
Text: Frank Keil
Foto: Mauricio Bustamante