Winternotprogramm

Mehr Plätze in der Spaldingstraße

Das Winternotprogramm in der Spaldingstraße wird aufgestockt: Ab heute stellt die Sozialbehörde 60 mehr Plätze in dem ehemaligen Bürogebäude zur Verfügung. Das ist auch dringend notwendig, denn die Notquartiere sind überfüllt, schon jetzt an den frostfreien Tagen. 

Spaldingstrasse

159 von 160 Betten belegt

In der Notunterkunft in der Spaldingstraße blieb in der ersten Nacht nur ein Bett frei. Hinz&Kunzt geht davon aus, dass die Bettenzahl jetzt aufgestockt wird. Und in Rostock gab es den ersten Kältetoten: Ein wohnungsloser Mann ist erfroren. 

Ankerplatz für Vertriebene

Das Café Exil ist Anlaufstelle für Flüchtlinge

(aus Hinz&Kunzt 126/August 2003)

Wenn der 25-jährige Mann aus dem westafrikanischen Guinea nach seinen Gefühlen zur Hamburger Ausländerbehörde gefragt wird, spricht er zunächst von Angst. „Ich habe immer Angst, wenn ich dort hingehe. Auf den Fluren habe ich schon viele Leute warten sehen, die später in Handschellen an mir vorbeigeführt wurden.“ Seit zehn Jahren lebt Ballo, so sein Name, als politischer Flüchtling mit Duldung in Hamburg, „doch die Angst geht immer mit, wenn ich das Amt betrete.“

Heute sitzt Ballo im „Café Exil“, einer unabhängigen Flüchtlingsberatungsstelle gleich gegenüber der Behörde. Neben ihm wartet schüchtern und schweigsam eine sehr junge Frau. Vor ein paar Tagen erst sei sie als politischer Flüchtling aus Guinea nach Hamburg gekommen, erzählt Ballo. Kein Wort Deutsch spricht die 15-Jährige, und ihr Begleiter will „Mut machen und sie unterstützen, wenn wir gleich rüber in die Behörde gehen“, zusammen mit einer Mitarbeiterin des Cafés.

Wenigstens im Moment soll sie sich nicht allein fühlen, denn niemand weiß, wie es mit ihr weitergehen wird. Ob sie überhaupt als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling angesehen wird, ist noch nicht sicher. Denn seit einiger Zeit werden jugendliche Asylbewerber oft per Augenschein als über 16-jährig erklärt. Die Folge: Sie gelten dann als Erwachsene, müssen nicht mehr betreut und beschult werden und können in Massenunterkünften irgendwo im Bundesgebiet untergebracht werden.

Etwas Hilfe und Hoffnung geben und ein wenig die Angst auffangen – seit acht Jahren existiert das Café Exil an der Spaldingstraße 41 (Telefon: 236 82 16). An fünf Tagen in der Woche ist geöffnet – zu den gleichen Zeiten wie die Ausländerbehörde. Neben Kaffee gibts Informationen und Kontakte zu anderen Beratungsstellen oder Ärzten. Der Name des Cafés ist zugleich Programm: „Wir wollen ein Ort sein, wo Menschen anders behandelt werden als gegenüber, nämlich mit Respekt“, sagt Mitarbeiterin Conni Gunßer mit Blick über die Straße.

Remy ist 18 Jahre alt. Seit zwei Jahren lebt der aus Burkina Faso stammende Flüchtling als Asylbewerber in Hamburg. Alle drei oder vier Monate müsse er die Ausländerbehörde aufsuchen, erzählt er, „und dort lassen sie mich immer schockbesetzt“. Schockbesetzt? „Die sagen alles, was mir Angst macht – und dann bin ich alleine damit“, sagt der Mann, der bei der Flucht seine Familie zurücklassen musste. Auf der Behörde lasse man Menschen wie ihm keine Ruhe, sagt Remy, „damit wir keine eigenen Lösungen finden können für unsere Probleme“.

Das „Café Exil“ hingegen empfindet der 18-Jährige als geschützten Raum, als Gegenpol zur Behörde, wo er jederzeit Hilfe bekommen und Probleme bereden kann. Täglich bis zu 20 Menschen besuchen die Einrichtung. Manche nur, um sich auszuruhen oder etwas Abstand zu gewinnen. Andere brauchen Rat oder auch Begleitung eines Mitarbeiters. Wer will, kann kostenlos über das Internet Kontakt halten zur fernen Heimat.

Zurzeit sind es vor allem Menschen aus Ex-Jugoslawien, Westafrika, Afghanistan, mittlerweile aber auch aus China oder Ägypten, denen Abschiebung droht und die Beratung und Hilfe suchen. In früheren Jahren waren dies ebenso Kurden, Rumänen oder Algerier. Die sich stets veränderten Flüchtlingsströme aus immer neuen Krisenregionen spiegeln sich auch an der Spaldingstraße wider.

Sämtliche Hilfe wird im Café Exil ehrenamtlich geleistet. 15 Menschen wechseln sich in der täglichen Betreuung der Besucher ab, weitere Helfer werden gesucht. Wer hilft, muss weniger über spezielle Kenntnisse im Asylrecht verfügen als vielmehr zuhören oder das Netzwerk weiterer Hilfeeinrichtungen kennen. Trotz der großen Zahl an Unterstützern vor Ort ist das Projekt immer wieder von Schließung bedroht. Sämtliche Kosten für Miete und Material müssen stets neu als Spenden gesammelt werden; monatlich immerhin rund 1500 Euro.

So ist das „Exil“ denn auch vor allem eines: einen Moment lang Ankerplatz für getriebene Menschen, die ihre alte Heimat verloren und noch keine neue gefunden haben. „Ich kann sagen, dass das ‚Exil‘ für mich eine Entdeckung war“, beschreibt es der Asylbewerber Remy, „entdeckt habe ich hier nämlich auch ein anderes Gesicht der Menschen in diesem Land.“

Peter Brandhorst