Sozialbehörde
Eine unterirdische Nacht
Hals über Kopf hat der Senat Anfang Dezember weitere Notschlafplätze für Obdachlose bereitgestellt – in einem Weltkriegsbunker. Für Hinz&Kunzt-Volontär Hanning Voigts war klar: Um ein Bild von den Zuständen vor Ort zu bekommen, musste er dort übernachten.
(aus Hinz&Kunzt 215/Januar 2011)
„Wir wollen das Geld zurück!“
Hamburgs Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) über den Kampf gegen Abzock-Vermieter und die Wohnungsnot in Hamburg
(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)
Kuhlmann zahlt 110.000 Euro an Sozialbehörde zurück
Die Hamburger Sozialbehörde teilte am Freitag mit, dass Abzockvermieter Thorsten Kuhlmann sich verpflichtet habe, der Stadt einen Abschlag in Höhe von 110.000 Euro auf zu viel kassierte Mieten von Hilfeempfänger zu erstatten.
Frühling heißt Platte machen
In kalten Nächten schlafen mehr als 200 Menschen in Winternotquartieren. Wenn die im April schließen, wissen die meisten Obdachlosen nicht, wo sie hin sollen
(aus Hinz&Kunzt 182/April 2008)
In diesen Tagen schließen die Winternotquartiere für Obdachlose. Mehr als 200 Menschen verlieren dann Bett und Dach über dem Kopf. Was aus ihnen wird, ist in den meisten Fällen nicht bekannt. Ein Besuch in der Notunterkunft Sportallee.
Nr. 1: Mehr Betten für kranke Obdachlose
Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen
(aus Hinz&Kunzt 122/April 2003)
Darum geht es:
Wer Fieber hat, gehört ins Bett. Für Menschen, die auf der Straße leben müssen, gelten andere Gesetze: Sie können sich nirgends auskurieren, ob bei Grippe oder offenen Beinen. Denn ein Fall fürs Krankenhaus ist das nicht. Zwar betreibt die Caritas eine Krankenstube für Obdachlose. Aber die hat nur 14 Betten – viel zu wenig für die mindestens 1281 Menschen, die laut der jüngsten Zählung der Sozialbehörde auf der Straße leben. Pflegedienstleiter Klaus Scheiblich: „Wir sind immer überbelegt.
Die Situation heute:
Obdachlose, die ein Bett ergattert haben und gepflegt werden müssen, sind trotzdem nicht aus dem Schneider. „Die häusliche Krankenpflege ist an die Bedingung geknüpft, dass es einen Haushalt gibt“, erläutert AOK-Sprecherin Renate Hillig die aktuelle Gesetzeslage. Diese wird strikt ausgelegt: Selbst Kassen-Mitglieder, die lange in einem Nachtasyl wie dem Pik As oder in einem Hotelzimmer leben, aber keine eigene Küche haben, haben bei schweren Krankheiten keinen Anspruch auf häusliche Pflege – ein Umstand, den laut Hillig auch manch Senior in einem Altenheim zu spüren bekommt.
Auch Obdachlose, die nicht krankenversichert sind und für deren Behandlungskosten eigentlich das Sozialamt aufkommt, gehen nach dieser Definition leer aus: „Krankenhilfeleistungen sind laut Gesetz entsprechend den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichten“, sagt die Sprecherin der Sozialbehörde, Anika Wichert, und gesteht: „Da gibt es eine Lücke.“
Pflegen & wohnen (p&w), Betreiber der Übernachtungsstätte Pik As, führt derzeit Gespräche, um Pflegekosten in den Übernachtungsstätten erstattet zu bekommen. „Der Bedarf ist da“, so Sprecher Kay Ingwersen. „Es ist immer ein fürchterlicher Kampf um den Einzelfall“, ergänzt ein ehemaliger Sozialarbeiter.
Immerhin: Die Sozialbehörde unterstützt die Krankenstube für Obdachlose mit 280.000 Euro jährlich, 230.000 Euro beträgt schon heute der Eigenanteil der Caritas. Die Krankenkassen zahlen nichts, dabei waren laut Caritas allein im vergangenen Jahr 27 Prozent der Krankenstuben-Patienten bei der AOK versichert. Eine vom Hamburger Diakonischen Werk 2002 vorgelegte Studie belegt, dass sogar 60 Prozent der Wohnungslosen Mitglied einer Krankenkasse sind.
Die Zukunft:
Künftig wird alles noch schlimmer: Vom Jahr 2004 an brauchen auch diejenigen ein Bett, die sich bisher im Krankenhaus auskurieren konnten. Denn Krankenhäuser sind künftig gesetzlich verpflichtet, Behandlungen nicht mehr nach Krankenhaustagen, sondern nach so genannten Fallpauschalen (DRG) abzurechnen.
Das vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen überwachte System hat zum Ziel, Behandlungskosten bundesweit zu vereinheitlichen, Leistungen transparent zu machen und teure Liegezeiten im Krankenhaus zu verkürzen. Aus wirtschaftlicher Sicht und für das Gros der Patienten, die schneller nach Hause entlassen werden, um sich dort in vertrauter Umgebung auszukurieren, ist diese Regelung von Vorteil. „Für Obdachlose und alleinstehende Wohnungslose ist sie fatal“, so die Ärztin Dr. Frauke Ishorst-Witte, die in der Tagesaufenthaltsstätte Bundesstraße (TAS) eine Sprechstunde für Obdachlose anbietet. Sie müssen auf die Straße entlassen werden.
Eine soziale Indikation, die es Ärzten bisher erlaubt hat, auf Probleme eines Patienten einzugehen und ihn länger als aus medizinischer Sicht erforderlich im Krankenhaus zu behalten, ist künftig kaum mehr möglich. Aufwändige Gespräche und Zeitverluste, die durch wenig kooperative Patienten entstehen, können nicht abgerechnet werden. Obdachlose gelten aber als besonders schwierige – und somit künftig unwirtschaftliche Patienten.
Doch darf Wirtschaftlickeit auf Kosten der Patienten gehen? Für Lungenentzündung hat eine US-Studie vor und nach Einführung der Fallpauschalen ergeben, dass die Verweildauer im Krankenhaus tatsächlich um 35 Prozent zurückging, die Sterblichkeit dort um 15 Prozent sank und die Krankenhauskosten um 25 Prozent. Dafür aber stieg die Sterblichkeit außerhalb des Krankenhauses innerhalb der ersten 30 Tage um 35 Prozent.
„Es ist notwendig, das ambulante System jetzt schon auszuweiten“, so Dr. Ishorst-Witte – und auf finanziell sichere Beine zu stellen. Denn: „Wohnungslose haben so viele Probleme, da sind manche selbst mit der regelmäßigen Einnahme ihrer Medikamente überfordert.“ Die Ärztin plädiert für eine stärkere Vernetzung zwischen niedergelassenen und Krankenhausärzten und der Obdachlosenhilfe: „Ärzte sollten sich mit der Caritas-Krankenstube in Verbindung setzen und, wenn die kein Bett haben, zumindest die Mobile Hilfe oder die TAS informieren.“ Manch Rückfall oder Krankenhausaufenthalt, der wegen Verschleppung einer Krankheit nötig wird, könnte vermieden werden.
Schon heute liegt die Lebenserwartung Obdachloser bei nur 44,5 Jahren, so eine Studie des Instituts für Rechtsmedizin an der Hamburger Uniklinik. Das sind 30 Jahre weniger als der Bevölkerungsdurchschnitt in Deutschland.
So sollte es laufen:
– Mehr Krankenstuben-Betten für Obdachlose, wo geschultes Personal auch mit schwierigen Patienten umzugehen weiß.
– In Übernachtungsstätten muss häusliche Pflege möglich sein und finanziert werden.
– Krankenkassen und Sozialbehörde müssen auch bei Obdachlosen die Kosten für häusliche Pflege übernehmen.
– Stärkere Vernetzung zwischen niedergelassenen Medizinern, Krankenhausärzten und der Obdachlosenhilfe.