Wohin mit Sicherheitsverwahrten?

Die Justizbehörde hat 31 Zimmer für Sicherungsverwahrte in Santa Fu eingerichtet. Aber wo sollen die hin, deren Sicherungsverwahrung endet und die immer noch als gefährlich gelten? Keiner will sie haben. Zwischenlösung: das Haftkrankenhaus des Untersuchungsgefängnisses.

(aus Hinz&Kunzt 216/Februar 2011)

Häftlinge sahen schwarz

Spezialisten-Team sucht Drogen im Knast – Protest von Santa-Fu-Insassen

(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)

Was geschah an einem Novemberabend in Zelle 334 in Santa Fu? Ein Gefangener hat Mitarbeiter der „Schwarzen Gang“ angezeigt, die in den Hafträumen nach Drogen suchen: Sie hätten ihn misshandelt. Das Strafvollzugsamt schließt solche Vorfälle aus.

26. November, kurz nach 22 Uhr. Lärm auf der Station C III in Santa Fu, dem Gefängnis für schwere Straftäter im Stadtteil Fuhlsbüttel. Die Revisionsgruppe des Strafvollzugsamtes, die auf die Drogensuche im Knast spezialisiert ist, hat sich die Zelle 334 vorgenommen. In den Hafträumen gegenüber gelingt es zwei Gefangenen, die Gucklöcher in ihren Türen zu öffnen. Der Häftling aus Zelle 334, so berichten die beiden später, habe auf dem Boden gelegen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ein Beamter der Revisionsgruppe habe auf ihm gekniet, ein anderer habe mindestens zwei Mal zugeschlagen. Als die Beamten außerdem die fixierten Arme hochgerissen hätten, habe der wehrlose Mann vor Schmerz geschrien.

Diese Beobachtungen sind in Eidesstattlichen Versicherungen niedergelegt. Decken sie ein schweres Vergehen von Vollzugsmitarbeitern auf? Oder wollen Gefangene die Revisionsgruppe in Verruf bringen, die erfolgreich gegen den Drogenhandel im Gefängnis vorgeht? Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass gegen zwei Beamte eine Anzeige wegen Körperverletzung eingegangen sei. Sprecher Rüdiger Bagger: „Die Ermittlungen laufen.“ Häftlinge in Santa Fu sammeln seit dem Vorfall Unterschriften, um „gegen die menschenverachtende und provozierende Vorgehensweise der Revisionsgruppe“ zu protestieren und sich „gegen jegliche Form von weiteren Übergriffen“ zu wehren. Bis Mitte Dezember hatten rund 50 Insassen unterschrieben.

Die Revisionsgruppe ist seit 1995 tätig. „Sie wird anstaltsübergreifend eingesetzt“, erklärt der stellvertretende Leiter des Strafvollzugsamtes, Hans-Jürgen Kamp. Jeder der zwölf Beamten führt einen Rauschgiftspürhund mit sich und ist geschult im Erkennen von Drogen. „Das Gesetz schreibt vor, Hafträume und Gefangene in Abständen zu durchsuchen“, sagt Kamp. In der Regel würden das die Beamten auf den Stationen übernehmen. Zusätzlich könnten die Anstalten die Spezialisten der Revisionsgruppe anfordern. „Sie sind rund um die Uhr tätig, also auch mal früh morgens oder nachts“, sagt Kamp. Die Gruppe habe keine Sonderrechte im Vergleich zu den Gefängnis-Mitarbeitern vor Ort.

Im vorvergangenen Jahr fanden die Spezialisten 1,5 Kilo Hasch, 50 Gramm Heroin und 36 Gramm Kokain – nach Einschätzung der Justizbehörde nur ein Bruchteil der Drogen, die in den Hamburger Gefängnissen gehandelt werden. Außerdem stellt die Revisionsgruppe immer wieder Messer, Schlagwerkzeuge und andere Gegenstände sicher, die als Waffe genutzt werden können, zum Beispiel spitz gefeilte Schraubenzieher.

Aktenkundig ist derzeit ein weiterer Vorwurf gegen die Revisoren, die wegen ihrer dunklen Schutzkleidung „Schwarze Gang“ genannt werden (wie die Drogenfahnder beim Zoll). Ein Santa-Fu-Häftling behauptet, zwei Beamte hätten ihm Rauschgift unterschieben wollen. Nach der Durchsuchung seiner Zelle hätten sie ihm einen durchsichtigen Beutel mit weißem Pulver vorgehalten. Der Gefangene bestritt den Besitz des Päckchens und sagte, er habe nie Drogen konsumiert. Einer der Beamten habe daraufhin geäußert: „Wir können das auch wieder verschwinden lassen, erzählen Sie uns, wo wir heute Abend noch Drogen finden können.“ Nach einer weiteren Drohung („Denken Sie genau nach, sonst finden wir hier öfter was“) sei die Durchsuchung beendet gewesen. Der Häftling erhob Dienstaufsichtsbeschwerde; von dem angeblichen Drogenfund hörte er nichts mehr.

Das Strafvollzugsamt weist die Vorwürfe entschieden zurück. „Ich schließe definitiv aus, dass Mitglieder der Revisionsgruppe Gefangene schlagen oder ihnen Rauschgift unterschieben könnten“, sagt Hans-Jürgen Kamp, der früher selbst Anstaltsleiter in Fuhlsbüttel war. „Für die persönliche Integrität der Mitarbeiter lege ich meine Hand ins Feuer.“ Kamp räumt ein, dass die Revisionsgruppe bei Gefangenen nicht unbedingt gut angesehen sei – aber gerade deswegen, weil sie bei den Durchsuchungen so erfolgreich sei. „Jeder Beschwerde gehen wir nach“, sagte er. „Sobald Vorwürfe strafrechtlich relevant sind, schalten wir auch von uns aus die Staatsanwaltschaft ein.“ Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Revisionsgruppe gebe es im Schnitt einmal im Monat, Strafanzeigen weit seltener. Kamp: „Mir ist aber kein Ermittlungsverfahren bekannt, das überhaupt zur Anklage geführt hätte.“

Die GAL-Abgeordnete Heike Opitz hat eine parlamentarische Anfrage gestellt, um Details zur Revisionsgruppe zu erfahren. Die Antwort lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Detlev Brockes

Härte statt Hilfe

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Justizsenator Roger Kusch verschärft den Strafvollzug. Der Sicherheit in der Stadt hilft das kaum. Nicht nur Gefangene protestieren gegen die Verschärfung, sondern auch namhafte Ärzte und Juristen.

Hinter Gittern rumort es. An einem Montag im Dezember meldeten sich Gefangene der Justizvollzugsanstalt II („Santa Fu“) kollektiv krank und erschienen nicht zur Arbeit. Nach Behördenangaben waren es rund 50, nach Angaben aus der Anstalt weit mehr als 100 Häftlinge. Sie wurden ärztlich untersucht – ohne Befund. Den Rest des Tages mussten die Streikenden in ihren Zellen verbringen.

Kein dramatischer Vorfall. Aber ein Hinweis auf die Unruhe unter Gefangenen. Denn die politischen Vorgaben von Justizsenator Roger Kusch (CDU) verändern den Hamburger Strafvollzug: Die Gangart wird härter.

Junkies im Knast

Drogenkonsum ist Alltag im Knast. Die Justizbehörde geht mit schärferen Kontrollen und Sanktionen dagegen vor, hat den Spritzentausch abgeschafft und fährt das einzige drogentherapeutische Angebot, die Substitution, zurück. „Verstärkter Druck auf die Abhängigen löst keines ihrer Probleme“, sagt dagegen Klaus Behrendt, leitender Arzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen im Klinikum Nord und Geschäftsführer der Hamburger Drogenambulanzen.

„Schwerstabhängige tun alles, um weiter zu konsumieren“, so der Arzt. Sie würden sich zum Beispiel prostituieren und noch höher verschulden, um an Stoff zu gelangen. Spritzen werden laut Behrendt im Gefängnis hoch gehandelt, über Monate verwendet und mit Margarine gangbar gemacht. Sogar angefeilte Kugelschreiberminen dienen demnach als Injektionsnadeln. Durch gemeinsame Benutzung der Spritzen steige das Risiko von HIV- und Hepatitis-Infektionen, so der Arzt. Behördensprecher Kai Nitschke hält dagegen: „Abhängige, die Hilfe brauchen, bekommen sie nach wie vor.“

Großgefängnis Billwerder

Hamburg hat derzeit rund 3.100 Haftplätze. Fast jeder vierte ist im offenen Vollzug, während es im Bundesdurchschnitt nur jeder sechste ist. Diesem Mittelwert wird sich Hamburg bald annähern: In Billwerder entsteht ein Großgefängnis mit etwa 500 zusätzlichen Plätzen – überwiegend geschlossen.

Hintergrund: Der Senat rechnet mit einem „weiterhin starken Anstieg der Gefangenenzahlen“ in Hamburg – aufgrund einer „Intensivierung der Strafverfolgung und der Verhängung von mehr und längeren Haftstrafen“. Billwerder sei „eine kostenintensive Fehlplanung“, sagt dagegen der ehemalige Abteilungsleiter in der Justizbehörde, Gerhard Rehn. „Für viele Gefangene ist geschlossener Vollzug nicht erforderlich.“

Weniger Lockerungen

Ausgang und Urlaub werden eingeschränkt. Im Jahr 2001 gab es rund 6.800 Bewilligungen, in den ersten neun Monaten 2002 waren es nur noch 3.789. Als Erfolg des neuen Kurses verbucht die Justizbehörde, dass Ausgang und Urlaub weniger missbraucht werden, Gefangene also pünktlich in die Haftanstalten zurückkehren. Die Statistik zeigt allerdings, dass Missbräuche seit 1996 kontinuierlich abnehmen – also auch schon unter Kuschs Vorgängern.

Geplant ist außerdem, Telefonate von Häftlingen stärker zu kontrol-lieren, ihre Bewegungsfreiheit im Knast zu begrenzen und Besuchs-zeiten zu kappen – auch, um Personal zu sparen. Diese Maßnahmen sorgen vor allem in „Santa Fu“ für Unruhe, wo bisher relativ groß-zügige Regeln gelten.

Gnade eingeschränkt

Erklärtes Ziel des neuen Senats war es auch, die angeblich „ausufernde Gnadenpraxis“ (Koalitionsvertrag) einzudämmen. In Hamburg hatte sich über Jahre eine für Gerichte, Staatanwaltschaft, Justizvollzugsanstalten, Polizei, Rechtsanwälte und soziale Einrich-tungen gut funktionierende Gnadenpraxis entwickelt. So konnte im Einzelfall bei besonderen Härten schnell geholfen werden. Im Septem-ber wurde die Gnadenabteilung, die vorher beim Landgericht angesie-delt war, zur Staatsanwaltschaft verlegt. Behördensprecher Kai Nitschke begründet dies mit „höherer Effizienz“. Böse Zungen behaupten, dass jetzt alle positiven Entscheidungen Roger Kusch vorgelegt werden müssen. Nitschke bestreitet das vehement.

Ob ein Haftbefehl vollstreckt oder aus bestimmten Gründen, wie beispielsweise bei einer schweren Krankheit, ausgesetzt wird, darüber entscheiden im Vorwege die Vollstreckungsdezernenten der Staatsan-waltschaft. Unter der rot-grünen Regierung galten Schwangerschaft und Mutterschaft bei geringen Strafen als Härtefall oder als Gnaden-grund. Das scheint sich geändert zu haben. Alleine im Oktober und November saßen insgesamt fünf junge Mütter im Knast, teils mit, teils ohne ihre Säuglinge (H&K 118).

Neue Grundorientierung

„Haft darf kein Luxusurlaub sein“: Mit solchen Äußerungen macht Senator Kusch Stimmung für mehr Härte gegenüber Gefangenen. „Ziel des Strafvollzugs ist Resozialisierung und Behandlung“, sagt dagegen der Hamburger Kriminologie-Professor Klaus Sessar. Der offene Vollzug solle die Regel sein, so schreibe es das Gesetz vor. Weil der Justizsenator in die entgegengesetzte Richtung marschiert, werfen ihm Sessar und andere Juristen „Abkehr von den gesetzlichen Grundlagen“ vor.

Mehr Sicherheit?

Macht Kuschs harte Linie Hamburg sicherer? Nein, meint das „Forum Hambur-ger Strafvollzug und Straffälligenhilfe“, dem neben Behrendt, Rehn und Sessar weitere Juristen, Ärzte und Gewerkschafter ange-hören. Wer nur auf Verwahrvollzug setze und Wiedereingliederung gering achte, schaffe nicht mehr, sondern weniger Sicherheit, so das „Forum“. Denn die Gefangenen würden „aggressiver und lebensun-tüchtiger entlassen, als sie es vorher waren“. Ein riskanter Kurs – denn fast jeder „Weggesperrte“ gelangt eines Tages wieder in die Freiheit.

db/bim