Der Wortspieler
Rupprecht Matthies schafft Kunst für Hinz&Kunzt
(aus Hinz&Kunzt 128/Oktober 2003)
Freiheit ist durchsichtig. In großen, geschwungenen Schreibschriftbuchstaben aus transparentem Plexiglas mit eingeschlossenen Luftblasen hängt das Wort ziemlich weit oben an der Wand. Weiter unten in einem dunklen, fast blutigen Rot „Ein Herz“. Das Wort „AUF-STEHEN“ leuchtet in Druckbuchstaben in einem kräftigen Gelb, „Nette Leute“ blinkt in verspiegelter Schönschrift. An die 30 Begriffe füllen gut zwei Quadratmeter der Atelierwand. Davor steht Rupprecht Matthies, 44, renommierter Hamburger Künstler. Er hat die Worte aus den farbigen Kunststoffplatten ausgesägt, deren Reste hier überall herumstehen, aus Kisten quellen und als feiner Staub den Boden bedecken. Die Vorlagen stammen von Hinz und Kunzt-Verkäufern, es sind ihre Antworten auf die Frage „Was bedeutet Hinz & Kunzt für dich?“, aufgeschrieben in ihrer eigenen Handschrift, die Rupprecht Matthies dann vergrößert hat.
Jetzt grübelt er über die Anordnung nach. „Man könnte das als Mobile aufhängen, dann bekommt ,Ein Herz‘ auch Licht von hinten und das Rot leuchtet viel stärker.“ Welchem Wort er welche Farbe zuordnet, was wo steht, das sind Fragen, mit denen er sich lange beschäftigt. „Letztlich entscheide ich das aus dem Bauch, oft mache ich einen Begriff noch mal, wenn ich das Gefühl habe, die Farbe passt nicht.“ Wenn dann schließlich alles richtig ist, „sollte jedes Wort so isoliert stehen, dass man ganz anders darüber nachdenken kann als im Alltag, wo man Sprache ja ständig einfach irgendwie benutzt.“ „AUF-STEHEN“ beispielsweise, beschreibt Rupprecht Matthies das Ziel seiner Arbeit, erscheine ja zunächst als ein ziemlich banaler Begriff. „Doch je länger man darüber nachdenkt, desto mehr merkt man, welche Kraft, aber auch welche Anstrengung damit verbunden sein kann.“
Überall im Atelier gibt es was zu lesen: Filigrane, kaum fünf Zentimeter hohe Schriftzüge, an einem zarten Stab befestigt, stehen in den Regalen, über der Tür hängt „etwas“ in einem zarten Grau und neben dem Fenster ein großes, feuerwehrrotes „Freude“.
„Das Sammeln von Worten ist inzwischen schon so etwas wie eine Zwangshandlung“, gibt er grinsend zu, „aber manchmal reagiere ich mich damit auch ab.“ Nach einem „besonders nervigen Telefonat“ habe er beispielsweise ein Bild gemalt, auf dem „ääh“, „öh“, „hmm“ zu lesen ist.
Mit Wortspielen hat er schon früh begonnen, „wie alle Zwanzigjährigen habe ich natürlich Gedichte geschrieben.“ Später, während des Studiums an der Hamburger Kunsthochschule, machte ihm dann Freude, was anderen ein Greuel war, nämlich Titel für seine Bilder zu finden. Bald begann er mit gemalten Worten, Acrylfarbe auf Leinwand. Schließlich 1996 hatte er einen Auftrag, das Foyer eines Herstellers von Plexiglas zu gestalten. Seitdem ist das sein Lieblingsmaterial. Nicht nur für Begriffe, sondern auch für abstrakte, vielfarbige Ornamente, bei denen das Plexiglas wie eine Intarsienarbeit ineinander gelegt ist. „Mustermaster“ heißen diese Arbeiten, die anders als die Worte „einfach einen Moment einfangen, meine Stimmung in einer ganz bestimmten Situation wiedergeben – und außerdem ist es natürlich auch Resteverwertung“, ergänzt Rupprecht Matthies und ist in diesem Moment ganz Handwerker.
Im vorigen Jahr waren seine Mustermaster in der Kunsthalle zu sehen, zusammen mit Köpfen und Figuren aus Acrylglas. Diese „Minnas und Fuzzis“ sind in einem gemeinsamen Projekt mit Jugendlichen in Brandenburg entstanden, die damit ihre Plattenbau-Siedlung verschönern. In der SAGA-Siedlung Wildschwanbrook drehen sich seit 1999 auf vier Meter hohen Stelen die Wörter „alles“, „locker“ und „usw“ im Wind – „Windwörter“ taufte Matthies sein Kunstwerk. Auf dem Deichtorhallenplatz stehen seine „Sprachzylinder“, eiserne Pavillons wie man sie aus Gärten kennt. Nur dass hier statt Gitterstäben Begriffe geschmiedet wurden, für die er Passanten befragte, was der Platz ihnen bedeutet. Auch mit Flüchtlingen auf den Asylschiffen hat er schon Begriffe gesammelt.
Ganz anders als das Klischee vom einsamen Künstler in seinem Atelier nahelegt, mag Rupprecht Matthies die Zusammenarbeit mit Menschen, kann gut zuhören, wirkt ausgeglichen und freundlich. „Aber dazu brauche ich auch ab und an ein paar Tage alleine mit meiner Stichsäge und dem Plexiglas“, schränkt er ein, und wenn er male, dann müsse man auch ihn schon mal ein paar Wochen in Ruhe lassen. Zur Zeit arbeitet er in Bremen zum Thema „Verzicht“ – gemeinsam mit Jugendlichen aus dem Knast und mit zufälligen Passanten auf dem Domplatz. „Ich interessiere mich sehr für Durchlässigkeiten“, erklärt er. Das bedeutet für ihn: Gesellschaftliche Gruppen, die sonst keine Berührungspunkte haben und vielleicht auch nichts voneinander wissen wollen, erfahren über den Umweg der Kunst plötzlich etwas voneinander und stellen vielleicht sogar Gemeinsamkeiten fest. „Denn schließlich unterscheiden wir uns doch gar nicht so sehr, wir haben alle nur ein Leben, mit dem wir irgendwie klar kommen müssen, und – innerhalb eines Landes – eine gemeinsame Sprache.“
Das ist auch die Idee beim „Hinz&Kunzt-Geburtstags-Kunstwerk“: „Leute, die sonst mit Obdachlosigkeit nichts zu tun haben, stehen in einer Galerie, sehen sich die Worte an und stellen vielleicht fest, dass der Begriff ‚Nette Leute‘ auch für sie Bedeutung hat oder ihnen ‚AUF-STEHEN‘ nicht immer leicht fällt.“ Die Worte, die Matthies selbst bei dieser Arbeit am wichtigsten sind? „‚Hoffnung‘, das braucht man immer“, sagt er und lächelt, „und ‚Arroganz nicht erwünscht‘, das ist doch eine zentrale Lebensäußerung für jeden Menschen.“