Worte wie Sterne
Der Schauspieler Rudolf H. Herget bringt Poesie ins Planetarium
(aus Hinz&Kunzt 130/Dezember 2003)
Der Mann ist ein Besessener. Ein Besessener der Poesie und der Sterne. Selbst im Lift hoch auf die Aussichtsplattform des Planetariums nutzt der Schauspieler Rudolf Heinrich Herget jede Gelegenheit, andere mit seiner Leidenschaft anzustecken. Zum Beispiel die zwei Kinder, die mit ihrer Mama auf dem Weg nach oben sind. „Warum ist die Sonne noch unverheiratet?“, fragt er die beiden unvermittelt. Die zwei Kinder haben sich im Leben noch keine Gedanken über das Liebesleben der Sonne gemacht. Sie drücken sich näher an ihre Mutter und zucken ratlos die Achseln.
Und schon legt Herget los: Dass sich vor vielen, vielen Jahren die Tiere Sorgen um die Sonne gemacht hätten, weil sie keinen Mann habe. Die Tiere seien erst Feuer und Flamme gewesen, ein passendes Ehegespons zu suchen. Dann sei ihnen irgendwann klar geworden, dass die Sonne bei einer Verheiratung ja nicht nur einen Mann, sondern vermutlich auch viele Kinder hätte. Und das wäre eine Katastrophe: „Da würden wir ja alle verbrennen!“ Das sehen auch die Kinder ein. Fasziniert schauen sie den fremden Mann an. Bestimmt kommen sie demnächst ins Kinderprogramm des Planetariums, um noch mehr Geschichten von Sonne, Mond und Sternen zu hören. Und vielleicht hat auch die Mutter wieder Lust bekommen, mal abzuschalten und zumindest literarisch hoch zu den Sternen zu fliegen. „Ich will eine Poesiewolke über den Stadtpark senden“, sagt Rudolf Herget über seine Mission.
Im Hamburger Planetarium gehört der Schauspieler fast schon zum Inventar. Allein im Dezember spricht und spielt er vier Mal den Kleinen Prinzen, an einem Sonntagabend lädt er mit Lyrik zum Innehalten ein, und natürlich erzählt er Kindern im Kuppelsaal Sternenmärchen. Da kann man dann die Geschichte von der Single-Sonne ausführlicher hören… An den übrigen Tagen tourt der Schauspieler durch die Planetarien anderer deutscher Städte.
Seine Liebe zu den Sternen und zur Poesie hatten sein Leben total verändert. Das war Anfang der achtziger Jahre. Damals lebte er zwei Jahre in Buenos Aires und spielte am dortigen Deutschen Theater. Das Ensemble war gerade auf Tournee in San Francisco. Und dort besuchte Herget zum ersten Mal ein Planetarium. „Ich war überwältigt“, sagt er. Vor allem deshalb, weil er gerade den Galileo Galilei gespielt hatte. „In dem Stück spielen die Sterne eine Hauptrolle, aber man steht immer nur auf einer kahlen Bühne.“
Plötzlich wurde ihm klar, dass nicht nur der Galilei unter den Sternenhimmel gehört, sondern auch lyrische Texte und seine Lieblingsgedichte. Kurz zuvor hatte er eine unschöne Erfahrung gemacht: Zusammen mit dem großen Schauspieler Will Quadflieg war er auf Tournee gewesen. Unter anderem gastierten sie in einer Schulaula. „Die Vorhänge wurden notdürftig zugezogen, die lustlosen Schüler wurden in den Raum getrieben.“ Herget glaubt, dass auch der lieblose, kalte Raum daran Schuld war, dass das Ganze für Literaturfreunde zum Horrorerlebnis wurde. „Im Planetarium, im Dunkeln, kann man poetische Texte ganz anders vortragen. Da wirkt es nicht überladen oder kitschig. Man lässt sich als Zuhörer auch ganz anders ein“, sagt er.
So begeistert war er von seiner Idee, Extra-Programme für Planetarien zu entwickeln, dass er nach diesem Schlüsselerlebnis den Schritt wagte, aus seinem Ensemble auszusteigen und als freier Schauspieler zu leben. Er hat es keinen Tag bereut. Grundsätzlich tritt er nur noch an Orten auf, bei denen es den Menschen leicht fällt, sich den Worten hinzugeben. Er liebt es, eine Art Magier zu sein. Wenn im Kuppelsaal das Licht ausgeht, die Zuhörer ihn nicht mehr sehen, sondern nur noch seine Stimme hören können. Er weiß, dass der ein oder andere in dieser Stimmung in einen Kurzschlaf fällt. Er lacht, das macht ihm gar nichts aus: Das ist Entspannung pur.
Diese besinnliche Stunde ist nur noch zu toppen durch die Nächte unter freiem Himmel: In der Rhön und in Bayern sind sie längst Kult. Man trifft sich bei Sonnenuntergang. Jeder bringt sich etwas zu essen, zu trinken und einen Schlafsack mit, und dann erzählt Herget droben auf einer Bergkuppe Liebeslyrik oder „Worte wie Sterne – Weisheiten der Ureinwohner“ oder „Der kleine Prinz“ oder… „Ich spreche fast ununterbrochen bis zum Sonnenaufgang“, sagt Herget. Nur manchmal unterbricht er seinen Vortrag für eine Viertelstunde der Stille. Schade, in Hamburg waren die Erzählnächte bislang noch nicht so magisch. „Es ist wie verhext. Immer hat es geregnet.“
Zehn Programme beherrscht er auswendig. Er arbeitet auch mit Musik und Multimedia-Effekten. „Poetisches Erzähltheater“ nennt er seine One-man-Shows. Auf rund 80 Schallplatten und CDs sind viele seiner Werke verewigt: Old Shatterhand, der kleine Prinz, Ben Hur sind darunter. Aber keine einzige seiner Planetarium-Shows. „Das ist ein Erlebnis, das man live erleben muss“, sagt Herget.
Manchmal lässt er seine Texte – wie ein Getriebener – in einem Affenzahn vor sich abspulen. So schnell geht das, dass man manchmal gar nicht merkt, dass er gerade nicht erzählt, sondern wieder zitiert: Die Erde ist unsere Mutter./Der Mensch schuf nicht das Gewebe,/er ist nur eine Faser. Dabei hält er ein kleines, weinrotes Ringbuch in der Hand, wie eine Art Talisman. Talisman deshalb, weil die Texte dort quasi in Spickzettelgröße eingeschrieben sind. So winzig, dass sie ihm nicht ernsthaft über einen Hänger hinweghelfen können.
Obwohl – stecken bleibt er eigentlich nie. Das liegt vermutlich daran, dass er sich jedes Mal schon lange vor seinem Auftritt intensiv auf seine Texte einstimmt. Ruhe braucht er dann, Besinnlichkeit. Damit nicht nur die Worte wieder das Licht der Welt erblicken. „Es ist wichtig, dass der, der einen Text spricht, auch das verkörpert, was zwischen den Zeilen steht“, sagt Rudolf Herget. „Denn jeder Gedanke, der geäußert wird, wird in diesem Moment neu geboren.“