Ein Ex-Rapper klärt auf
Antisemitismus ist allgegenwärtig. Dagegen setzt das Festival „Verbindet euch!“ neue Energien frei: Es soll Kräfte mobilisieren und bündeln, Augen öffnen und Spaß machen.
Antisemitismus ist allgegenwärtig. Dagegen setzt das Festival „Verbindet euch!“ neue Energien frei: Es soll Kräfte mobilisieren und bündeln, Augen öffnen und Spaß machen.
Der Rapper Disarstar kritisiert den Kapitalismus und soziale Ungleichheit, damit schafft er es nun auf Platz eins der deutschen Hip-Hop-Charts. Ein Treffen auf St. Pauli.
Gerade erst haben die Dynamite Brothers den Audio-Wettbewerb von Audiyou und Hinz&Kunzt gewonnen und bei der Preisverleihung ihr großes Vorbild getroffen: den Hip-Hop-Star Samy Deluxe. Jetzt standen die beiden jungen Nachwuchs-Rapper das erste Mal in einem richtigen Tonstudio.
(aus Hinz&Kunzt 211/September 2010)
(aus Hinz&Kunzt 208/Juni 2010)
Der Hamburger Hip-Hopper Samy Deluxe spricht mit den Schülern Abdulai Abaker und Jon Looft übers Verse schreiben, Erfolg und warum man auch als Rapper in der Schule gut aufpassen muss.
Ihm bleibt noch etwas Zeit zum Chillen. Samy Deluxe ist überpünktlich zur Preisverleihung in den Hinz&Kunzt-Vertrieb gekommen.
„Wie klingt die Straße?“, haben wir gefragt – und hörbare Antworten von knapp 100 Schülern bekommen. Gleich sollen die Sieger bekannt gegeben werden. Der Laudator wartet breitbeinig sitzend auf einem Barhocker darauf, dass es losgeht. Ein wenig ungeduldig ist er, will so schnell wie möglich ins Studio, wo er momentan sein neues Album aufnimmt. „Wie viele kommen denn da gleich?“, fragt er. „Na ja, die da draußen alle“, bekommt er als Antwort.
Langsam dreht sich der 1,95-Meter-Mann um – und guckt direkt in zwei plattgedrückte Jungengesichter an der Fensterscheibe und in einen Hof voller Kinder. „Ah ja“, kommentiert Samy Deluxe den Trubel und verzieht keine Miene.
Ein paar Minuten später steht er gelassen im Gewühl. Als der Siegerbeitrag – der Rap „Stell dir vor“ von den „Dynamite Brothers“ alias Abdulai Abaker (13) und Jon Looft (14) – eingespielt wird, nickt er im Beat mit. Trotz vollen Terminplans: Für ein Gespräch unter Kollegen mit den beiden Nachwuchs-Hip-Hoppern nimmt Samy Deluxe sich Zeit.
Hinz&Kunzt: Samy, wie gefällt dir „Stell dir vor“?
Samy Deluxe: Find ich gut, auf jeden Fall. Als Rapper wirst du ja danach beurteilt, ob man in der ersten Zeile schon genau weiß, was sich in der zweiten worauf reimt. Also es war nicht so, dass ich sagen würde: perfekt. Man wird auch nie perfekt. Ich bin’s auch nicht …
H&K: Wie habt ihr das gemacht mit eurem Rap?
Jon Looft: Wir haben über den Wettbewerb in der Hinz&Kunzt die Annonce gelesen und dann wollten wir sowieso gerade einen neuen Song machen. (Samy lacht.) Dann haben wir aufgeschrieben, was wir alles erwähnen wollen, und dann haben wir angefangen zu reimen.
Samy: Das war auf jeden Fall richtig so, wie man es als Rapper machen muss. Ihr habt ein Thema genommen und dann richtige Bilder zu dem Thema gemalt, aber trotzdem gute Reime geschrieben. Und das alles echt auch flowmäßig, also dass die Rhythmik in den Worten stimmt.
Abdulai und Jon schauen ziemlich verlegen drein. Immerhin haben sie gerade ein Lob von einem echten Hip-Hop-Star kassiert. Samy De-
luxe, geboren 1977, ist seit gut zehn Jahren einer der erfolgreichsten deutschen Rap-Musiker. Die CDs seiner Hip-Hop-Formation Dynamite Deluxe, seine drei Solo-Alben und Singles sind millionenfach verkauft worden. Er hat unter anderem den MTV Music Award und den Echo gewonnen.
Samy Deluxe ist als Samy Sorge in Eppendorf groß geworden. Seine Herkunft muss er sich mitunter vorwerfen lassen. So hat ein Rap-
Label aus Jenfeld ihn vor einigen Jahren musikalisch angegriffen: Er sei kein richtiger Rapper, schließlich käme er nicht aus dem Getto. Quatsch, meint Samy: „ Ich finde nicht, dass Aufwachsen in einem sozial schwachen Viertel einem die Berechtigung gibt, Rapper zu sein, genauso wenig, wie es einem eine Berechtigung gibt, kriminell zu sein.“ Zudem sei er nicht als Musiker in Eppendorf aufgewachsen, sondern als schwarzer Junge – „der einzige da, gefühlt“.
H&K:Samy, wie würdest du einen Song zum Thema Obdachlosigkeit angehen?
Samy: Ich habe gerade einen geschrieben für mein nächstes Album. Ich versetze mich in die Rolle eines Obdachlosen, der mal Rapper war, auch ein bisschen mit diesem Angeberding. Zum Beispiel habe ich einen Einkaufswagen, aber der hat Chromfelgen. Und ich hab da auch Tüten drin, nur steht da Gucci und Prada drauf. Aber der Inhalt ist natürlich der, den jeder Obdachlose hat.
H&K: Glaubt ihr, dass Musik auch etwas verändern oder Menschen etwas beibringen kann über Themen wie Obdachlosigkeit?
Jon: Ich glaube schon. Aber natürlich nur, wenn man die Möglichkeit hat, dass viele Leute das hören. (Samy brummt bejahend.) Es müssen ja nicht gleich die Charts sein. Aber wenn’s vielleicht mal im Radio gespielt wird oder drüber berichtet wird wie hier jetzt, dann denke ich schon, dass das was bewegen kann. Vielleicht kriegt das nur eine obdachlose Person mit und denkt: Vielleicht stimmt, was die rappen. Vielleicht kann ich es schaffen, aus der Obdachlosigkeit rauszukommen.
Abdulai Abaker: Manche interessiert es ja gar nicht, wie es Obdachlosen geht. Und denen wollen wir halt zeigen, wie so ein Leben ist. Und wir wollen auch Obdachlose motivieren, was zu tun.
Samy: Und was ist euer Ziel mit eurer Musik, weil ich euch jetzt schon über Charts reden höre? Wollt ihr das als Spaßding machen oder wollt ihr unglaublich reich werden oder was ist euer Plan?
Jon: Also „unglaublich reich“ kann man nicht so richtig planen, glaube ich.
Samy: Ganz schön schlau, der Junge.
In seinem 2009 erschienenen Buch „Dis wo ich herkomm – Deutschland Deluxe“ widmet Samy Deluxe ein ganzes Kapitel dem Thema „Erfolg“. Der kam für Samy, wie er schreibt, zwar nicht über Nacht, aber teilweise zu schnell. Bekanntheit, sagt er, heiße vor allem, dass jeder eine Meinung über einen hat. Das muss man aushalten können. Auf der anderen Seite nutzt Samy Deluxe seine Popularität für Projekte, die ihm am Herzen liegen. 2007 gründete er mit anderen „Crossover“. Der Verein veranstaltet Musik- und Sport-Workshops für Schüler aus unterschiedlichen Stadtvierteln oder Schulformen. Sein Ziel ist, Jugendlichen Erfolgserlebnisse und Selbstvertrauen zu vermitteln.
Jon: Wenn wir berühmt werden würden, wäre das natürlich schön. Aber auch wenn’s nicht klappt, kann man das ja immer noch als Hobby machen. Musik ist ja nicht so, dass es eine Pflicht ist, damit Geld zu verdienen. Anders als Bürokaufmann, das macht ja keiner als Hobby, glaube ich.
H&K:Habt ihr schon andere Lieder geschrieben?
Abdulai: In der Schule im Musikunterricht hat unsere Lehrerin uns beide zusammengetan und gesagt, wir sollen für das Weihnachtskonzert in unserer Aula einen Weihnachtsrap schreiben. Und das haben wir dann gemacht. Da haben wir gemerkt, dass uns das Spaß bringt, dass wir gut zusammenarbeiten können.
Samy: Cool.
H&K: Habt ihr schon Pläne für neue Lieder?
Jon: Als nächstes wollen wir einen Aufstiegsrap für St. Pauli schreiben.
Samy: Yeah. Das ist super. Da werdet ihr viele Fans haben, auf jeden Fall. Ihr wisst ja, Lotto King Karl hat nur mit einem Song eine Riesenkarriere gemacht. „Hamburg meine Perle.“ Das werden sie noch spielen, wenn er hundert ist und die Leute werden ihn immer noch lieben.
H&K: Samy, worum ging es in deinem ersten Lied?
Samy: Als ich angefangen habe, waren die deutschen Rap-Lieder sehr referatlastig, so würde ich das nennen. Da war wenig Musikalität im Spiel. Eins meiner ersten Lieder war „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“. Da habe ich darüber geschrieben, dass Schwarz im Sprachgebrauch immer etwas Negatives ist und Weiß ist immer was Tolles. Weiße Weste haben heißt, du bist ein ganz toller Typ und dagegen dann Schwarzfahren und schwarzes Schaf.
Später hat mich das genervt, immer nur über ernste Sachen zu schreiben und dass es nicht so flüssig geklungen hat. Und da habe ich mich mit Reimen und Wortspielen beschäftigt. Ich find’s langweilig, immer nur mit dem Zeigefinger zu kommen. Man kann nicht nur sagen, die Fakten sind so und gestern war da ein Tsunami und hier geht’s Leuten schlecht und da sind Leute krank.
Jon: Das mit den Nachrichten macht ja schon die Tagesschau, ne?
Samy: Genau. Wenn man den Leuten was zu sagen hat, was sie eh nicht so gerne hören wollen, und Themen nahebringen will, über die sie sich nicht so gerne Gedanken machen, dann muss man das schon auf eine sehr unterhaltsame Weise tun, glaube ich.
Seit seinem 13. Lebensjahr hat Samy sich auch musikalisch immer wieder mit Rassismus beschäftigt. Er könne das gar nicht auslassen, sagt er. Im Gegenteil: „Ich find’s furchtbar, Menschen in Deutschland in der Öffentlichkeit zu sehen, die einen Migrationshintergrund haben und nie mit diesem Thema sich auseinandersetzen. Das sind für mich einfach merkwürdige Menschen. Entweder kriegen sie die Hälfte nicht mit, was auf der Straße und im Leben passiert, oder sie wollen sich nicht damit auseinandersetzen.“
Jon: Samy, wann hast du angefangen mit Rappen?
Samy: Ich hab angefangen auf Englisch zu rappen, da war ich 14. Da gab’s noch nicht so richtig deutschen Rap.
Abdulai: Konntest du flüssig Englisch?
Samy: Ich hab ein halbes Jahr in England gelebt und da sehr schnell Englisch gelernt und angefangen zu verstehen, worum diese ganzen Rap-Lieder gingen, die ich schon die Jahre davor gehört hatte. Wenn ihr Rapper werden wollt, müsst ihr richtig gut Englisch lernen, sonst werdet ihr diese Kunstform nie verstehen. Ihr müsst die Geschichte studieren. Wenn ihr wirklich damit Karriere machen wollt, dann bedeutet das auch viel Arbeit und nicht nur ein paar Reime schreiben.
Jon und Abdulai: Hmmm …
„Dis wo ich herkomm – Deutschland Deluxe“, das Buch von Samy Deluxe, ist erschienen im Rowohlt-Taschenbuchverlag, 8,95 Euro. Sein neues Album „Schwarz-Weiß“ soll zu Beginn kommenden
Jahres veröffentlicht werden.
Unter dem Titel „Wie klingt die Straße?“ riefen Hinz&Kunzt und die Internetplattform AUDIYOU im Januar Schüler auf, Hörbeiträge zum Thema Obdachlosigkeit einzureichen. Die Jury, bestehend aus Schulsenatorin Christa Goetsch, H&K-Beirat und EX-NDR-
Programmchef Rüdiger Knott, H&K-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer und H&K-Verkäufer Peter Konken, wählte im Mai die besten aus. Den ersten Platz belegten die „Dynamite Brothers“ Abdulai und Jon, den zweiten acht Kinder des Radiokurses der Grundschule Ludwigstraße, den dritten Raffaela und Chris Bothe. Alle Beiträge des Wettbewerbs sind im Internet unter www.audiyou.de zu hören.
Interview: Beatrice Blank
Fotos: Roderick Aichinger
… du bist 13 oder 14, schreibst gerade mal deinen zweiten Hip-Hop-Song und gewinnst glatt einen Wettbewerb damit!
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