Die Leerprobe
(aus Hinz&Kunzt 208/Juni 2010)
Wer wenig Geld hat, findet in Hamburg nur mit Mühe eine Wohnung. Dabei stehen viele Häuser schon seit Jahren leer und könnten sofort bezogen oder zumindest zu Wohnraum umgebaut werden – wenn die Stadt oder die Privateigentümer es wollten. Sechs Beispiele, die für viele stehen.
Ehemaliges AK Ochsenzoll: Wer über das Gelände der ehemaligen Klinik geht, entdeckt eine architektonische Perle nach der anderen. Kein Wunder, dass die Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Der Versuch der Stadt, das Gelände der ehemaligen psychiatrischen Klinik als Ganzes zu verkaufen, scheiterte. Nun wird laut Finanzbehörde „ein Marketingkonzept erarbeitet“, um „in mehreren Tranchen marktgerechte Baufelder“ anzubieten. Der Verkauf der ersten Fläche stehe bevor.
Das denkmalgeschützte Häuser-Ensemble soll bis Ende 2011 neu erschlossen und dann verkauft werden. Da die ehemaligen Klinikgebäude seit Jahren nicht genutzt und deshalb auch nicht mehr beheizt werden, beklagte die Bezirksversammlung Nord im Dezember: „Die Zeit arbeitet hier im negativen Sinn.“ Sie befürchtet, die Stadt wolle die Häuser so lange verfallen lassen, bis der Denkmalschutz aufgehoben wird – um die Flächen anschließend besser verkaufen zu können. Die Finanzbehörde bestreitet das.
Die GAL Nord fordert, nach dem Vorbild des ehemaligen Krankenhauses Barmbek (Quartier 21) die Häuser einzeln für Wohn- oder andere Zwecke zu verkaufen. Interessenten für eine sofortige Nutzung gibt es. So will der Freundeskreis Ochsenzoll in der alten Kirche eine Ausstellung einrichten, die die Geschichte der deutschen Psychiatrie dokumentiert. Im Bezirk gibt es dafür breite Unterstützung: Ein interfraktioneller Antrag der Bezirksversammlung soll laut GAL noch in diesem Monat an die Stadt gehen.
Elbtreppen-Häuser („Heuburg“): Seit Jahren tobt ein Kampf um das historische Ensemble mit Elbblick. Die Saga will die Mehrzahl der Häuser abreißen, elf Wohnungen würden verloren gehen. An ihrer Stelle sollen „bezahlbare Mietwohnungen“ entstehen. „Die Substanz ist teilweise so schlecht, dass eine Sanierung wirtschaftlich völlig unvernünftig wäre“, so Saga-Sprecher Mario Spitzmüller. Er verspricht „deutlich mehr Wohnfläche und günstige Mieten“, wenn die Pläne der städtischen Wohnungsgesellschaft Wirklichkeit werden.
Die Bewohner der „Heuburg“ bezweifeln, dass sie oder andere Menschen mit geringem Einkommen die neuen Mieten bezahlen könnten. Sie wollen die Gebäude mithilfe einer Mieter-Genossenschaft in eigene Verantwortung übernehmen, um sie anschließend zu sanieren. Ein Kaufangebot mit diesem Ziel lehnte die Saga vor vier Jahren als „preislich nicht akzeptabel“ ab. Nun, so der Vorwurf der Mieter, lasse sie die Häuser verrotten. Heizungen und sanitäre Einrichtungen seien demontiert, Fußböden aufgerissen worden. Mindestens sechs Wohnungen stehen leer, laut Bewohnern teils seit 1996.
Während ein Gutachter, den die „Heuburg“-Bewohner beauftragt haben, das gesamte Ensemble für denkmalschutzwürdig hält, will das Denkmalschutzamt just nur jene Häuser schützen, die die Saga nicht abreißen will.
Wer am Ende die Oberhand behalten wird, ist nicht entschieden. Uwe Szczesny, Fraktionsvorsitzender der CDU
Altona, erklärte auf Anfrage: „Die Saga muss ein neues Konzept vorlegen.“ Dazu Saga-Sprecher Mario Spitzmüller: „Wir haben Planungen vorgelegt und alle Anträge gestellt.“
Ehemaliges Altenheim Alsterberg: In der ehemaligen Kaserne lebten zuletzt Senioren. Die sind vergangenen Oktober in einen schmucken Neubau umgezogen, seitdem steht ein halbes Dutzend weitläufiger Gebäude leer. Das Bezirksamt Nord erklärte, die Häuser seien „in privatem Besitz“, das Gelände werde „als Wohnbaufläche geführt“. Jedoch: „Was damit im Einzelnen geplant wird, ist dem Bezirksamt noch nicht bekannt.“
Nesselstraße und Co: Nahe Santa Fu liegt ein kleines Paradies. In der Nesselstraße hört man die Vögel zwitschern, die schmucken Häuser wurden vor rund 100 Jahren gebaut. Heute stehen hier und in den Nachbarstraßen zahlreiche Wohnungen leer, in denen früher Gefängniswärter lebten. Für 84 Wohnungen hat die Saga die Verwaltung übernommen. Sie lasse die Häuser verrotten, um sie in ein paar Jahren billig von der Stadt abzukaufen, glauben Anwohner. Die Saga bestreitet das. Der Senat erklärte kürzlich, eine Vermietung sei „nur nach grundlegenden Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen“ möglich. Wer sich wann darum kümmern wird, will die Stadt nicht sagen. „Die Gespräche über die vorzunehmenden weiteren Schritte laufen derzeit noch“, so die Finanzbehörde auf Nachfrage von Hinz&Kunzt.
Geisterdorf Neuenfelde: Die Hasselwerder Straße erinnert an die Kulisse einer verlassenen Westernstadt: Rund 50 zum Teil prächtige Altbauten stehen hier seit mindestens fünf Jahren leer und verfallen. Die Stadt hat die Häuser einst aufgekauft, um die Verlängerung der Airbus-Startbahn durchzusetzen, „zur Vermeidung von Klagebefugnissen“, wie die Finanzbehörde es ausdrückt. Nun fliegen die Flugzeuge übers Dorf, und schönster Wohnraum verrottet. Die Stadt verweist auf Klagen gegen die Werkserweiterung, über die vor Gericht noch nicht abschließend entschieden wurde, und auf laufende Begutachtungen. Die sollen ausschließen, dass „unzumutbare Wohnbelastungen“ auftreten. Wann Ergebnisse vorliegen werden, konnte die Finanzbehörde auf Nachfrage nicht sagen. Einschätzung der Hinz&Kunzt-Redaktion: An der Stresemannstraße lebt sich’s schlechter.
Ehemaliges Polizeirevier Oberaltenallee: Das 1893 erbaute repräsentative Gebäude steht seit einem Jahr leer. Zuletzt arbeitete hier das Polizeikommissariat 31. Die Hamburgische Immobilien Management Gesellschaft für Polizei und Feuerwehr (IMPF) teilte auf Anfrage mit, das Gebäude sei „keine städtische Immobilie mehr“. Wem der „Backsteinbau mit Sandsteingliederung und Terrakotta-schmuck“ (Schild an der Fassade) heute gehört, und was der Eigentümer damit vorhat, verriet die IMPF nicht.
Text: Ulrich Jonas
Fotos: Benne Ochs