Wohnungslose: brisante Zahlen

(aus Hinz&Kunzt 143/Januar 2005)

Die Zahl klingt alarmierend: Um 78 Prozent sei im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Menschen gestiegen, die sich obdachlos gemeldet hätten. Das berichtet pflegen & wohnen (p&w), zuständig für die Unterbringung der meisten Betroffenen, in einem internen Papier von November, das Hinz & Kunzt vorliegt.

Nr. 9: Kleinere Unterkünfte

Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen

(aus Hinz&Kunzt 130/Dezember 2003)

Darum geht es:

Weit mehr als 10.000 Menschen in Hamburg leben in Massenunterkünften – manchmal mehrere hundert auf engem Raum. Neben 2800 Wohnungslosen (allein Stehende und Familien) sind auch viele Zuwanderer betroffen. Für die meisten bedeutet das ein oft jahrelanges perspektivloses Leben im Ghetto. Deshalb fordert H&K, Wohnungslose und Flüchtlinge in Wohnungen oder kleinen Unterkünften unterzubringen, in denen maximal 20 Menschen leben. Das erhöht ihre Chance auf Integration, vermindert Konflikte – und spart langfristig Geld.

Der Hintergrund:

Wer seine Wohnung verliert oder nie eine eigene gehabt hat, wird „öffentlich untergebracht“. Für die Stadt erledigt das in der Regel „pflegen & wohnen“ (p&w, 14.700 Plätze), daneben haben die Bezirke eigene Unterkünfte angemietet. Oft leben dort mehrere hundert Menschen, in Hamburgs größter Unterkunft, dem Billstieg, sind mehr als 900 Flüchtlinge untergebracht.

Für die Vermieter der meist schlicht gebauten Häuser, die oft in Industriegebieten liegen, bedeutet das ein einträgliches Geschäft: Die Unterbringung eines allein stehenden Wohnungslosen kostet laut Sozialbehörde durchschnittlich 222 Euro pro Monat, die eines Zuwanderers im Schnitt 176 Euro. Die Bezirke überwiesen im Jahr 2001 im Mittel sogar 310 Euro monatlich pro Zuwanderer, so der Senat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage (neuere Zahlen liegen nicht vor, Red.). Da sich in den kleinen Zimmern und Wohnungen oft mehrere Menschen drängen, kommen bemerkenswert hohe Summen zusammen. Wohlgemerkt: Sozialarbeit ist in diesen Preisen nicht inklusive.

Das Problem ist: Der Stadt fehlen Alternativen. Will sie oder ein freier Träger in einer „normalen“ Wohngegend Sozialwohnungen für Flüchtlinge oder eine Unterkunft für Wohnungslose errichten, bildet sich meist postwendend eine Bürgerinitiative dagegen. Frei nach dem Motto: Sozialstaat ja, aber nicht vor meiner Haustür! Auch Wohnungseigentümer vermieten eher ungern an sozial Schwache. Selbst die städtischen Wohnungsgesellschaften SAGA und GWG, klagen Sozialarbeiter, würden Wohnungslosen und Flüchtlingen immer seltener die Chance auf eigene vier Wände eröffnen. Die Folge: Wenige Betroffene schaffen den Sprung aus der Massenunterkunft. Je länger sie dort jedoch bleiben, desto schwerer finden sie zurück in ein normales Leben.

Zwar wollen die Hamburger Wohnungsunternehmen zusätzlich 600 Mietwohnungen bereitstellen. Doch auch das Kontingent von dann 1570 Wohnungen reicht offenkundig nicht. Mehr als 2500 Hamburger verlieren jedes Jahr ihre Wohnung. Und 8000 Sozialwohnungen fallen jährlich aus der Mietpreisbindung heraus – aber nur 2000 neue werden gebaut.

Selbst wenn es ausreichend Wohnungen gäbe: Nicht für jeden macht der sofortige Sprung in eigene vier Wände Sinn. Wie gut kleine, dezentrale Unterkünfte im Vergleich zu Massenquartieren sind, zeigt die Arbeit der Neuen Wohnung. Nicht mehr als 20 ehemals Obdachlose leben in den Containerdörfern und Häusern des gemeinnützigen Projekts und werden dort von je einem Sozialarbeiter betreut (der Betreuungsschlüssel in einer p&w-Unterkunft liegt bei 1:100).

Das kostet zwar erst mal mehr – 600 Euro pro Bewohner und Monat –, doch rechnet sich die Investition: Jeder zweite zieht früher oder später in die eigene Wohnung, so die Neue Wohnung, im Schnitt bleiben die Bewohner nicht mal ein Jahr. Zum Vergleich: Aus den p&w-Unterkünften schaffen nach Angaben des Betreibers pro Jahr 400 der 2300 untergebrachten Menschen (allein Stehende und Familien) den Sprung in privaten Wohnraum. Einer internen Untersuchung von p&w-Sozialarbeitern zufolge leben 72 Prozent der allein stehenden Wohnungslosen länger als ein Jahr in einer Unterkunft.

Wie machen es andere:

Was 2004 endlich auch in Hamburg Wirklichkeit werden soll – die Einrichtung bezirklicher Fachstellen, deren oberstes Ziel die Vermeidung von Wohnungslosigkeit ist –, praktizieren andere Städte schon lange. So gelang es beispielsweise Duisburg, durch Prävention die Zahl der Zwangsräumungen quasi auf Null zu drücken. Folge: In den städtischen Notunterkünften leben statt ehemals 2500 nur noch knapp 100 Menschen. Vorteil der Duisburger: Wohnraum fehlt dort nicht.

In Berlin dürfen Asylbewerber seit kurzem in den eigenen vier Wänden statt in Massenunterkünften leben. Das ermögliche den Betroffenen nicht nur mehr Eigenständigkeit, sondern sei auch „finanziell günstiger“, so Sozialsenatorin Heide Knake-Werner (PDS). Bisher zahlte die Hauptstadt rund 300 Euro monatlich für die Unterbringung eines Asylbewerbers in einer Unterkunft. Mit der Reform werde der Haushalt deutlich entlastet, so eine Sprecherin. In der Regel müssen die Sozialämter die Kosten der Unterbringung tragen, da Asylbewerber in Deutschland nicht arbeiten dürfen. Vorteil für Berlin: Auch dort ist der Wohnungsmarkt deutlich entspannt.

So müsste es laufen:

– Sozialbehörde und Bezirke müssten die Verträge mit Vermietern überteuerter Massenunterkünfte kündigen und mit dem Geld kleine, dezentrale Unterkünfte für Wohnungslose und Flüchtlinge anmieten beziehungsweise errichten lassen

– Die städtischen Wohnungsunternehmen SAGA und GWG müssten verpflichtet werden, vermehrt an sozial Schwache zu vermieten

Ulrich Jonas

Nr. 1: Mehr Betten für kranke Obdachlose

Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen

(aus Hinz&Kunzt 122/April 2003)

Darum geht es:

Wer Fieber hat, gehört ins Bett. Für Menschen, die auf der Straße leben müssen, gelten andere Gesetze: Sie können sich nirgends auskurieren, ob bei Grippe oder offenen Beinen. Denn ein Fall fürs Krankenhaus ist das nicht. Zwar betreibt die Caritas eine Krankenstube für Obdachlose. Aber die hat nur 14 Betten – viel zu wenig für die mindestens 1281 Menschen, die laut der jüngsten Zählung der Sozialbehörde auf der Straße leben. Pflegedienstleiter Klaus Scheiblich: „Wir sind immer überbelegt.

Die Situation heute:

Obdachlose, die ein Bett ergattert haben und gepflegt werden müssen, sind trotzdem nicht aus dem Schneider. „Die häusliche Krankenpflege ist an die Bedingung geknüpft, dass es einen Haushalt gibt“, erläutert AOK-Sprecherin Renate Hillig die aktuelle Gesetzeslage. Diese wird strikt ausgelegt: Selbst Kassen-Mitglieder, die lange in einem Nachtasyl wie dem Pik As oder in einem Hotelzimmer leben, aber keine eigene Küche haben, haben bei schweren Krankheiten keinen Anspruch auf häusliche Pflege – ein Umstand, den laut Hillig auch manch Senior in einem Altenheim zu spüren bekommt.

Auch Obdachlose, die nicht krankenversichert sind und für deren Behandlungskosten eigentlich das Sozialamt aufkommt, gehen nach dieser Definition leer aus: „Krankenhilfeleistungen sind laut Gesetz entsprechend den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichten“, sagt die Sprecherin der Sozialbehörde, Anika Wichert, und gesteht: „Da gibt es eine Lücke.“

Pflegen & wohnen (p&w), Betreiber der Übernachtungsstätte Pik As, führt derzeit Gespräche, um Pflegekosten in den Übernachtungsstätten erstattet zu bekommen. „Der Bedarf ist da“, so Sprecher Kay Ingwersen. „Es ist immer ein fürchterlicher Kampf um den Einzelfall“, ergänzt ein ehemaliger Sozialarbeiter.

Immerhin: Die Sozialbehörde unterstützt die Krankenstube für Obdachlose mit 280.000 Euro jährlich, 230.000 Euro beträgt schon heute der Eigenanteil der Caritas. Die Krankenkassen zahlen nichts, dabei waren laut Caritas allein im vergangenen Jahr 27 Prozent der Krankenstuben-Patienten bei der AOK versichert. Eine vom Hamburger Diakonischen Werk 2002 vorgelegte Studie belegt, dass sogar 60 Prozent der Wohnungslosen Mitglied einer Krankenkasse sind.

Die Zukunft:

Künftig wird alles noch schlimmer: Vom Jahr 2004 an brauchen auch diejenigen ein Bett, die sich bisher im Krankenhaus auskurieren konnten. Denn Krankenhäuser sind künftig gesetzlich verpflichtet, Behandlungen nicht mehr nach Krankenhaustagen, sondern nach so genannten Fallpauschalen (DRG) abzurechnen.

Das vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen überwachte System hat zum Ziel, Behandlungskosten bundesweit zu vereinheitlichen, Leistungen transparent zu machen und teure Liegezeiten im Krankenhaus zu verkürzen. Aus wirtschaftlicher Sicht und für das Gros der Patienten, die schneller nach Hause entlassen werden, um sich dort in vertrauter Umgebung auszukurieren, ist diese Regelung von Vorteil. „Für Obdachlose und alleinstehende Wohnungslose ist sie fatal“, so die Ärztin Dr. Frauke Ishorst-Witte, die in der Tagesaufenthaltsstätte Bundesstraße (TAS) eine Sprechstunde für Obdachlose anbietet. Sie müssen auf die Straße entlassen werden.

Eine soziale Indikation, die es Ärzten bisher erlaubt hat, auf Probleme eines Patienten einzugehen und ihn länger als aus medizinischer Sicht erforderlich im Krankenhaus zu behalten, ist künftig kaum mehr möglich. Aufwändige Gespräche und Zeitverluste, die durch wenig kooperative Patienten entstehen, können nicht abgerechnet werden. Obdachlose gelten aber als besonders schwierige – und somit künftig unwirtschaftliche Patienten.

Doch darf Wirtschaftlickeit auf Kosten der Patienten gehen? Für Lungenentzündung hat eine US-Studie vor und nach Einführung der Fallpauschalen ergeben, dass die Verweildauer im Krankenhaus tatsächlich um 35 Prozent zurückging, die Sterblichkeit dort um 15 Prozent sank und die Krankenhauskosten um 25 Prozent. Dafür aber stieg die Sterblichkeit außerhalb des Krankenhauses innerhalb der ersten 30 Tage um 35 Prozent.

„Es ist notwendig, das ambulante System jetzt schon auszuweiten“, so Dr. Ishorst-Witte – und auf finanziell sichere Beine zu stellen. Denn: „Wohnungslose haben so viele Probleme, da sind manche selbst mit der regelmäßigen Einnahme ihrer Medikamente überfordert.“ Die Ärztin plädiert für eine stärkere Vernetzung zwischen niedergelassenen und Krankenhausärzten und der Obdachlosenhilfe: „Ärzte sollten sich mit der Caritas-Krankenstube in Verbindung setzen und, wenn die kein Bett haben, zumindest die Mobile Hilfe oder die TAS informieren.“ Manch Rückfall oder Krankenhausaufenthalt, der wegen Verschleppung einer Krankheit nötig wird, könnte vermieden werden.

Schon heute liegt die Lebenserwartung Obdachloser bei nur 44,5 Jahren, so eine Studie des Instituts für Rechtsmedizin an der Hamburger Uniklinik. Das sind 30 Jahre weniger als der Bevölkerungsdurchschnitt in Deutschland.

So sollte es laufen:

– Mehr Krankenstuben-Betten für Obdachlose, wo geschultes Personal auch mit schwierigen Patienten umzugehen weiß.

– In Übernachtungsstätten muss häusliche Pflege möglich sein und finanziert werden.

– Krankenkassen und Sozialbehörde müssen auch bei Obdachlosen die Kosten für häusliche Pflege übernehmen.

– Stärkere Vernetzung zwischen niedergelassenen Medizinern, Krankenhausärzten und der Obdachlosenhilfe.

Annette Bitter

Ärger auf dem Wohnschiff

Wachdienst schikanierte Obdachlose

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Zwei Übergriffe durch Wachmänner meldeten Obdachlose vom Wohnschiff „Bibby Altona“.

In der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember 2002 soll eine Frau von zwei Männern auf den Kopf geschlagen worden sein. Der Vorfall soll sich ereignet haben, nachdem sich Christine B., die an einer schweren Lungenkrankheit leidet, geweigert habe, in einem für sie bestellten Krankenwagen mitzufahren. Die Wachleute seien wegen dieser Geschichte „richtig genervt“ gewesen, so ein Bekannter der Frau.

Christine B. erzählt, dass sie von Wachmännern gepackt und in eine Ecke gedrängt wurde. Dort sei sie geschlagen worden. Ihr Bekannter konnte nichts sehen, hörte aber die Schreie der Frau, ebenso andere Bewohner. Er beschloss deshalb, Christine B. selbst ins Krankenhaus zu bringen. Der Wachdienst Pütz Security bestreitet, die Frau geschlagen zu haben.

Allerdings war das nicht der erste Zwischenfall. Vier Obdachlose wurden mitten in der Nacht von Sicherheitsleuten vom Schiff gejagt. Der Hintergrund: Ein Mann hatte in den Flur uriniert. Das wurde von den diensthabenden Wachmännern morgens gegen 1.15 Uhr entdeckt. Daraufhin weckten sie sämtliche Bewohner, deren Zimmer auf den Flur führten.

Als alle „angetreten“ waren, zwangen die Wachmänner die Obdachlosen einen nach dem anderen, einen Teil des Flures zu putzen. Vier Obdachlose weigerten sich. Die Sicherheitsleute zwangen die Männer nach deren Aussagen, sofort das Schiff zu verlassen. „Wir hatten kaum Zeit, unsere Sachen zu packen.“ In einem offenen Brief an den Betreiber des Schiffes, pflegen & wohnen (p&w), beschwerten sich die Männer über diese Schikane.

p&w-Sprecher Kay Ingwersen ging der Sache sofort nach. Die Sicherheitsmänner räumten ein, die Bewohner mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und sie zur Säuberung des Flurs gezwungen zu haben. Allerdings stritten sie ab, die Verweigerer von Bord gejagt zu haben. p&w erteilte dem Wachdienst eine mündliche Ermahnung. „Das ist ein drastischer Hinweis: So geht das nicht“, sagte der Sprecher.

Noch am Nachmittag wurden die Obdachlosen wieder aufs Schiff gelassen. Peter Krause, Leiter der zentralen Erstaufnahme, entschuldigte sich bei den Männern. Krause hat allerdings in diesem Fall eine Erklärung für den Vorfall: Am Tag davor hätten vier Obdachlose eine Kabine mit Kot verschmiert. Krause geht davon aus, dass dies mutwillig geschah. Die Obdachlosen erhielten Hausverbot. Und die diensthabenden Wachleute bekamen von ihm einen Anschiss. Da hätten die Männer wohl „überreagiert“.

Das glauben viele Bewohner allerdings nicht. Dass man „blöd angemacht“ werde, komme häufig vor. Drei bis fünf Wachleute von den 20 hätten es regelrecht auf Streit abgesehen. „Denen darf man gar nicht in die Augen gucken, sonst fühlen die sich provoziert“, sagten mehrere Männer. Der Pütz Security Service gehört allerdings zu den Sicher-heitsdiensten mit einem relativ guten Ruf. Die Drogeneinrichtung Fixstern arbeitete mit Pütz zusammen und war „sehr zufrieden. Da hatten wir allerdings zwei bestimmte Ansprechpartner.“

Genau das strebt der Betreiber p&w jetzt auch an: Für das Winternotprogramm sollen in Zukunft zwei spezielle Wachleute zuständig sein. Krause: „Wir versprechen uns davon eine Verbesserung des Klimas.“

Birgit Müller

Not-Lösung

Wie Wohnungslose leben

(aus Hinz&Kunzt 117/November2002)

Welche Angebote gibt es in Hamburg für Menschen, die nicht mehr auf der Straße leben wollen? Im ersten Teil unseres Überblicks stellen wir die Notunterkunft Achterdwars, das Container-Projekt der Neuen Wohnung und das betreute Wohnen im Jakob Junker Haus vor.

Kleine Ewigkeiten

In den Notunterkünften von pflegen & wohnen (p & w) leben Menschen, die keiner haben will: Alkohol- und Drogenkranke, Verwirrte und Alte, Einsame und Uneinsichtige. Hans-Jürgen zum Beispiel hat zuletzt in einer sozialtherapeutischen Einrichtung gewohnt. Gärtnern sollte er dort, um sich das Trinken abzugewöhnen. Das gefiel ihm nicht, und deshalb ist er gegangen. „Wer arbeitet denn für 150 Mark im Monat?“, fragt der 53-Jährige noch heute empört.

17 Jahre ist das nun her. In der Bergedorfer Unterkunft Achterdwars ist der mittlerweile Pflegebedürftige dann gestrandet. 172 „alleinstehende obdachlose Männer“ leben hier in dreistöckigen, unauffälligen Klinkerbauten, „öffentlich untergebracht“ laut Behördendeutsch. Die meisten teilen sich zu viert die schlichten Zwei-Zimmer-Appartements mit Küche und Bad, jeweils zwei Betten pro Raum. Für schwierige Kunden stehen 24 Einzelzimmer bereit. „Wir nehmen jeden so, wie er hier ankommt, und versuchen ihm ein Gefühl von Zuhause zu vermitteln“, sagt Werner Glissmann, Leiter der Wohnunterkunft. Da haben seine beiden Sozialarbeiter eine Menge zu tun.

Eigentlich sollen ihre Klienten hier nur vorübergehend leben. Doch wie Hans-Jürgen gibt es manchen, der den Weg aus dem Provisorium niemals mehr findet. Laut einer Studie, die p & w-Sozialarbeiter vor zwei Jahren anfertigten, ist jeder fünfte Bewohner der Notunterkünfte „nicht bzw. nur äußerst schwer integrierbar“. Viele der Dauerbewohner hätten nicht nur schwere Suchtprobleme, sondern seien auch psychisch krank und verwahrlost.

40 Menschen haben dieses Jahr den Sprung in die eigene Wohnung oder „andere dauerhafte Wohnformen“ (z.B. WG) geschafft, so die Statistik. Wie viele davon in eine Notunterkunft zurückkehren („Drehtüreffekt“), weil sie ihre Probleme nicht in den Griff bekommen, erfasst p & w nicht. Und auch nicht, wie lange die Menschen in den Unterkünften verweilen.

„Es geht nicht nur darum, Wohnungen zu vermitteln“, meint Sozialarbeiter Mike Schulze. Ein soziales Umfeld sei ebenso wichtig. Manch ehemaliger Bewohner komme trotz eigener vier Wände regelmäßig in der Unterkunft vorbei, weil er anderswo keine Freunde findet. „Einige haben sogar schon gefragt, ob sie nicht wieder einziehen dürfen – weil die Kommunikation hier so gut ist.“ Der Weg ins bürgerliche Leben ist eben lang. Und bei manchem psychisch kranken Schützling, den der Spardruck aus der Psychatrie vertrieben hat, denkt der Sozialarbeiter auch: „Ich wüsste nicht, wo der besser untergebracht sein sollte.“

Ulrich Jonas

Notunterkunft Achterdwars
Größe: 172 Plätze
Unterkunftsart: Doppel- und Einzelzimmer in Zwei-Zimmer-Appartements (40 Quadratmeter), möbliert
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:100
Bewohner: Obdach- und Wohnungslose
durchschnittliche Verweildauer der Bewohner: keine Angaben
Auszüge in eigene Wohnung: 21 von 113 (1998) = 19 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 10,89 (Doppel-) bzw. 13,79 Euro (Einzelzimmer), finanziert von der Sozialbehörde
Träger: pflegen & wohnen
Kontakt: Wohnunterkunft W 611, Achterdwars 7–13, 21035 Hamburg, Tel. 040 / 721 15 19

Sprungbrett Container

„Bis Januar will ich eine Wohnung finden“, sagt Sascha. Seit anderthalb Jahren lebt der Ex-Obdachlose im Containerdorf an der Langenfelder Straße. „Von der Atmosphäre her ist das hier ein bisschen wie in der Jugendherberge: Man hat immer jemanden zum Reden“, sagt der 25-Jährige. „Aber ich will mich jetzt um meine Zukunft kümmern. Um Arbeit zum Beispiel.“

Projektleiter Michael Struck hört solche Sätze gern. Schließlich ist es das Ziel der gemeinnützigen Neue Wohnung GmbH, aus verzweifelten Existenzen normale Mieter zu machen. Oft gelingt das: Rund 150 Obdach- und Wohnungslose haben Struck und sein Kollege Karsten Lüdersen seit 1994 in Wohnraum vermittelt. Dieser Erfolg fußt auf drei Säulen: Nicht mehr als 20 Bewohner leben in einem Container-Projekt, wer Hilfe vom Fachmann braucht, der bekommt sie schnell, und jeder kann seine Tür hinter sich schließen. Das kostet, doch es macht Sinn: „So können sich die Menschen in Ruhe Gedanken machen, was sie wann in Angriff nehmen wollen“, sagt Lüdersen.

Monate lang mussten die Helfer mit der Stadt verhandeln, bis die sich bereit erklärte, die laufenden Kosten eines neuen Container-Projekts zum größten Teil zu übernehmen. Und obwohl die Neue Wohnung das Ziel der Sozialsenatorin – kleine, dezentrale Unterkünfte für Obdachlose – vorbildlich umsetzt, musste schließlich eine Stiftung die 180.000 Euro Investitionskosten für die neue Unterkunft in Barmbek berappen.

Sorge bereitet den Sozialarbeitern vor allem, dass sich die Suche nach Wohnungen zunehmend schwierig gestaltet. „Man möchte sich nicht mehr mit dem Lumpenproletariat abgeben“, sagt Struck ketzerisch. Nur neun Wohnungslose konnten dieses Jahr in Wohnungen umziehen, in früheren Jahren waren es deutlich mehr. „Zusätzlich 2000 Wohnungen für Sozialschwache – sofort!“ fordern die Sozialarbeiter von den städtischen Wohnungsgesellschaften SAGA und GWG. Diese sollten auch Menschen mit Altschulden als Mieter akzeptieren: „Die Schranken zum Wohnen sind einfach zu hoch.“

Ulrich Jonas

Containerprojekt Neue Wohnung
Größe: 19 Plätze
Unterkunftsart: 1-Mann-Container (13 Quadratmeter), möbliert
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:20
Bewohner: Wohnungslose mit Kostenübernahme vom Sozialamt
durchschnittliche Verweildauer der Bewohner: sechs Monate
Auszüge in eigene Wohnung: 88 von 170 (1994 bis 2001) = 51 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 23 Euro, davon Behörden-Zuschuss 17,90 Euro, ab Januar 20, 20 Euro;
Rest über eine Stiftung
Träger: Neue Wohnen gGmbH
Kontakt: Neue Wohnung gGmbH, Langenfelderstr. 132, 22769 Hamburg, Tel. 040 / 851 23 78

Blut und Feuer

Das Haus gehört zur Division Nord, die Leitung haben zwei Kapitäne, und am Eingang hängt das Wappen mit der Inschrift „Blut und Feuer“. Auf militärische Dramatik muss man sich einstellen bei einem Träger, der Heilsarmee heißt. Doch die Streiter für den christlichen Glauben sind eifrige Verfechter tätiger Nächstenliebe: In Hamburger Stadtteil Groß Borstel unterhalten sie seit 25 Jahren das Jakob Junker Haus, eine betreute Unterkunft für Obdachlose.

Besonderheit: Die Bewohner bereiten ihre Mahlzeiten nicht selber zu, sondern essen in der hauseigenen Kantine (die von der Rathauspassage beliefert wird). „Das wird rege angenommen“, sagt Betreuungsleiter Christoph Güra. „Die Vollverpflegung ist unser Part in der Hamburger Hilfelandschaft.“

Die 60 Einzelzimmer werden derzeit renoviert. Sie sollen auch künftig unter einem Dach bleiben: Eine Dezentralisierung des Angebots ist nicht geplant. Zusätzlich gibt es elf Zimmer, in denen Bewohner sich selbst versorgen – um mehr Selbstständigkeit zu üben. Wer ausgezogen ist, kann trotzdem noch Unterstützung bekommen: Ein Mitarbeiter im Jakob Junker Haus ist ausschließlich für Nachbetreuung zuständig.

Die Heilsarmee unterhält außerdem einen Tagestreff für Alkoholgefährdete in Billstedt (Park-In) und ist an der Beratung für Wohnungslose in Harburg beteiligt. Mit sechs Container-Plätzen beteiligt sich das Jakob Junker Haus am Winternotprogramm für Obdachlose. Die Polsterei, ein Beschäftigungsprojekt mit 14 Plätzen, muss allerdings zum Jahresende geschlossen werden. Grund: die Kürzungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Detlev Brockes

Jakob Junker Haus
Größe: 71 Plätze
Unterkunftsart: 60 möblierte Einzelzimmer (ca. 12 Quadratmeter) mit Verpflegung,
11 möblierte Zimmer mit Selbstversorgung
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:8
Bewohner: wohnungslose Männer mit besonderen sozialen Schwierigkeiten
Durchschnittliche Verweildauer: sieben Monate
Auszüge in eigene Wohnung: 41 von 110 (2001) = 37 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 60,15 Euro, finanziert von der Sozialbehörde
Träger: Heilsarmee
Kontakt: Jakob Junker Haus, Borsteler Chaussee 23, 22453 Hamburg, Tel. 040 / 51 43 14 0