Palmen für St. Pauli
Wünschen hilft doch – der Traum von einem Park wird Wirklichkeit
(aus Hinz&Kunzt 125/Juli 2003)
Palmen sind auf St. Pauli nicht vorgesehen, eigentlich. Aber schön wäre es schon, dachte sich vor sieben Jahren so mancher aus der Nachbarschaft, einige wünschten sich „verschiebbare Inseln“, andere Plattformen, auf jeden Fall mit Palmen. Und tatsächlich: Seit ein paar Wochen wachsen aus dem Dach der neu gebauten Turnhalle am Pinnasberg drei meterhohe Palmen. Sie sind aus Stahl, schließlich liegt St. Pauli nicht in der Südsee, sondern gegenüber vom Blohm+Voss-Dock. Doch von weither sichtbar grüßen sie Einheimische wie Fremde und erinnern daran, dass das Wünschen auch heutzutage manchmal hilft.
Jedenfalls, wenn man es so hartnäckig und phantasievoll betreibt wie die Gruppe Park Fiction. Die errang im vergangenen Sommer die Aufmerksamkeit der internationalen Kunstwelt, weil ihr Projekt zur documenta nach Kassel eingeladen wurde. Jetzt ist die Ausstellung mit Film-, Bild-, und Ton-Dokumenten, Park-Modellen, Briefwechseln und Texten wieder in Hamburg zu sehen. Das freut die Aktivisten wie den 36-jährigen Dirk Mescher. Doch viel mehr freuen ihn und all die anderen, die im Laufe der Jahre für einen Park gearbeitet und gestritten haben, dass die Wirklichkeit nur noch 500 Meter Luftlinie von der Fiktion entfernt liegt. „Als ich die Palmen das erste Mal gesehen habe, musste ich mich kneifen, um mir sicher zu sein, dass ich nicht träume“, lacht Dirk Mescher, der um die Ecke in der Detlev-Bremer-Straße wohnt. Jessica David sagt, dass ihr die Tränen kamen, als sie sah, dass Bauarbeiter am Antonipark „wirklich Palmen aufgestellt und Rollrasen verlegt haben“.
Jessica ist zwölf und lebt im Kinderhaus am Pinnasberg. Mit anderen „Kinder-Guides“ führt sie durch die Park Fiction-Ausstellung. Als das Projekt begann, war sie gerade geboren. Als sie sechs war, fragte die Filmemacherin Margit Czenki sie und andere aus dem Kinderhaus nach ihren Park-Wünschen. Jessica malte ein Bild, das sie jetzt aus dem „Wunscharchiv“ der Ausstellung zieht. Darauf sieht man ein Hausdach mit einer Rutsche und ein riesiges Klettergerüst, „mindestens fünf Meter hoch, damit die Kinder ihre Höhenangst überwinden können“, erläutert sie ihre Idee von damals. Daneben hat sie zwei Schaukeln gemalt: „Eine für die Jungs und eine für die Mädchen, damit alle genug Platz haben und sich nicht ständig in die Quere kommen.“
Diesen Wunsch kann man gut verstehen, wenn man weiß, dass Jessica, wie viele Kinder auf St. Pauli, immer nur den Spielplatz an der Silbersackstraße hatten, einen der wenigen in einem Viertel, das zu den dichtbesiedeltsten in der Stadt zählt. Ein Viertel, in dem auch Erwachsene wenig Auslauf haben: die größte zusammenhängende Grünfläche ist bislang das Millerntorstadion. Kein Wunder also, dass es schon 1959 St. Paulianer gab, die einen Park forderten. Der Wunsch blieb eine Utopie, die Anfang der neunziger Jahre, nach dem erfolgreichen Kampf um die Hafenstraße, vom „Hafenrandverein für selbstbestimmtes Leben auf St. Pauli“ wieder aufgegriffen wurde. Damals drohte eine Blockbebauung allen Grünträumen den endgültigen Riegel vorzuschieben. Sie wurde verhindert, und anders als andere Stadtteil-Initiativen beschränkten sich die Park-Aktivisten dabei nicht auf die üblichen Rituale von Protest und Mitbestimmung. „Nur damit hätten wir niemals so lange durchgehalten“, ist sich Dirk Mescher sicher.
Mit Theaterstücken, Filmen, symbolischen Baumpflanzungen, Grillaktionen, Festen und irgendwann dem ,Park-Fiction-Container‘ am Ort „haben wir immer schon ein Stück Utopie wirklich werden lassen, und dadurch sind natürlich auch wieder neue Ideen entstanden“. Park Fiction eben, an der Künstler wie Christoph Schäfer und die Filmemacherin Margit Czenki maßgeblichen Anteil hatten. „Aber als wirklich Beteiligte“, als Anwohner, die genauso hier leben wie die Kinder vom Pinnasberg, die Nachbarn, die sich in der Gemeinwesenarbeit St. Pauli Süd engagieren, die Lehrer an der Schule Friedrichstraße oder die Gastronomen am Hein-Köllisch-Platz.
Oder eben der Anwohner und Sozialwissenschaftler Dirk Mescher, der jetzt vor der leuchtend bunt gemalten Bautafel steht und erklärt, wie die Wünsche Wirklichkeit wurden. Das Tartan-Sportfeld mit dem Tulpenmuster beispielsweise, eine Idee der damals 17-jährigen Nesrin Biegün. „Sie wollte Platz für Sportarten wie Basketball oder Badminton, ließ sich von den Teppichmustern ihrer türkischen Heimat inspirieren und entdeckte dabei schließlich die Tulpe als Symbol für einen aufgeklärten, toleranten Islam wieder.“ Sabrina hatte sich als Kind eine riesige Erdbeere gebaut, „die soll ein Baumhaus sein. In das dürfen nur Kinder rein und keine Erwachsenen. Damit wir die Erwachsenen endlich mal loshaben.“ Auch die Erdbeere wird demnächst wohl gebaut, aber Sabrina ist inzwischen kein Kind mehr, sondern ein Teenager, die ihre Idee von damals kindisch und uncool findet, erzählt Dirk Mescher.
So etwas passiert eben, wenn es so lange dauert, bis Wünsche wahr werden. Wie lange und mühselig es war, dokumentieren die Ak-tenordner voller Anträge und Gegen-Anträge, Bürgerschafts- und Bezirksversammlungs-Beschlüsse in dem Teil der Ausstellung, der „Mit der Bürokratie im Bett“ heißt.
Doch nicht nur die Bürokratie steht den Wünschen im Weg, manchmal sind es auch die Menschen selbst, vor allem die Älteren, die gar nicht mehr wissen, wie das Wünschen überhaupt geht. Vielleicht, weil sie lange nicht danach gefragt worden sind. Wie viele andere ist Dirk Mescher von Haus zu Haus gegangen, damit der Park nach den Vorstellungen der Leute Gestalt annimmt.
Ausgerüstet mit dem „Action Kit“, einer Art Bastelkoffer mit Knete, Buntstiften und einem Panorama der Gegend. „Ein älterer Mann meinte zum Beispiel, es müsse etwas für Kinder geben. Aber für ihn selbst fiel ihm erst mal gar nichts ein.“ Schließlich habe er sich Bänke gewünscht, weil er nicht mehr so gut zu Fuß war, „wie Bänke eben so aussehen“. Doch am Ende habe er eine Art Bank-Schlange durch den ganzen Park entworfen, „so dass man sich jederzeit setzen kann“.
Auch Jessica sagt von sich, dass sie durch die ganzen Park-Ideen überhaupt erst gelernt habe, „mir Sachen vorzustellen. Früher konnte ich das überhaupt nicht.“ Heute ist sie eine der Engagiertesten in der Theatergruppe ihrer Schule, und das soll später auch mal ihr Beruf werden, wünscht sie sich ganz selbstbewusst. Auch wenn am Ende längst nicht alles verwirklicht werden kann: Dass so viele die Kraft der Wünsche überhaupt wieder entdeckt haben, das ist wahrscheinlich die größte Kunst an Park Fiction. Margit Czenki sagt es in ihrem Film mit einem wunderbaren Satz, der vor Ort fast schon ein geflügeltes Wort ist: „Die Wünsche verlassen die Wohnung und erobern die Straße.“
Abgesehen davon freuen sich der balkonlose Dirk Mescher und die von Mallorca träumende Jessica jetzt erst mal wahnsinnig auf das erste Sonnenbad in ihrem Park. Und wenn auf St. Pauli schon Palmen wachsen, wer weiß, was dann noch alles möglich ist. Zu wünschen bleibt jedenfalls genug.