„Alkohol und Schläge, das war normal“

Seit zehn Jahren bei Hinz&Kunzt: Armin S.

(aus Hinz&Kunzt 203/Januar 2010)

Der Bruch fehlt in Armin Satzingers Leben. Er ist nicht abgestürzt, er war nie oben. Erinnerungen an seine Kindheit in Bayern sind vor allem Erinnerungen an Suff, Streit und Schläge. „Bei uns wurde ziemlich viel Alkohol getrunken, damit bin ich aufgewachsen“, sagt der 33-jährige Hinz&Künztler. „Das war ganz normal.“ Auch dass sein Vater ihn und seine drei Geschwister regelmäßig verprügelte.
Als er ein kleiner Junge war, machte das auch „das große Haus mit eigenem Swimmingpool“ nicht besser. In der Schule ließ Armin seinen Frust an Lehrern und Mitschülern aus. Die einen beschimpfte er, die Schwächeren schlug er. Wenn sein Vater davon erfuhr, setzte es die nächste Tracht Prügel – und Armin wurde noch wütender.
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Mit 16 Jahren fand er eine Möglichkeit, seine Wut zu betäuben. Es fing mit Alkohol an, ging mit Haschisch weiter, mit Tabletten und Koks. Bis er sich den ersten Schuss Heroin setzte. Da klappte erst recht nichts mehr: Er bekam den Ausbildungsplatz als Schlosser nicht und die Zulassung zur Führerscheinprüfung auch nicht. Armin weiß selbst, was sein größtes Problem ist: „Drogen.“ Mehrere Entgiftungen hat er schon hinter sich, aber nie lange ohne Betäubungs mittel durchgehalten.
Den ersten Rückfall hatte Armin, als vor zehn Jahren seine schwangere Freundin an einer Überdosis starb. Bis heute macht Armin sich Vorwürfe, dass er Heike nicht beschützt hat. Nach ihrem Tod verließ er seine bayerische Heimat und schlug sich nach Hamburg durch. Auch hier kam er nicht von den Drogen los, dafür zu Hinz&Kunzt. Das Magazin – „Ich verkaufe jeden Tag“ – ist die einzige Regelmäßigkeit in seinem Leben.

HINZ&KUNZT: Was hast du diese Woche Besonderes erlebt?
ARMIN: Auf dem Weihnachtsmarkt habe ich eine Frau kennengelernt. Sie war hübsch und wir haben uns gut unterhalten. Sie hat sogar nach meiner Telefonnummer gefragt, aber ich habe ja kein Telefon.

H&K: Wo wohnst du derzeit und wie ist es da?
ARMIN: Ich mache Platte in der Stadt, ist mir lieber als Winternotprogramm. Da ist mir zu viel los.

H&K: Wie hat dir die Dezember-Ausgabe gefallen?
ARMIN: Den Regisseur auf dem Titelblatt fand ich gut, ich hab ihn sofort erkannt. Die neue Gestaltung sieht auch gut aus, die Zeitung kenne ich seit Jahren, und ich finde, die wird immer besser.

H&K: Wie möchtest du in fünf Jahren leben?
ARMIN: In eigener Wohnung, mit einer Freundin und einem Hund.

H&K: Hast du eine schöne Kindheitserinnerung?
ARMIN: Wir haben früher öfter Urlaub in Spanien gemacht. Sonne, Meer, und die ganze Familie war gut drauf. Das war schön.

Text: Beatrice Blank

Foto: Mauricio Bustamante

„Ich will leben!“

Rainer K. (47) verkauft seit zehn Jahren Hinz&Kunzt an seinem Stammplatz am „Marienhof“ in Wedel.

(aus Hinz&Kunzt 207/Mai 2010)

Reiner-8491Rainer will durchhalten. ­Gerade hat er eine 48-wöchige Therapie gegen Hepatitis C hinter sich, die Nebenwirkungen der Spritzen setzen ihm zu: Rainer ist ständig müde, seine Haut juckt, oft hat er zu nichts Lust. „Aber ich will die Krankheit besiegen“, sagt er. Weil es durchaus eine Heilungschance gibt, will er die harte Behandlung noch ein weiteres Jahr ertragen. „Da muss ich mich durchkämpfen. Ich will leben!“
Es gab Zeiten, da hing Rainer nicht so an seinem Leben. Geboren wurde er in Speyer. Im Alter von neun Jahren stirbt seine Mutter, Rainer wächst im Heim auf. Sein Vater kümmert sich nicht um ihn. Nach der Schule macht er eine Ausbildung zum Facharbeiter und arbeitet auf dem Bau, heiratet und bekommt eine Tochter. Aber Glück findet Rainer nicht: Er leidet an seiner Vergangenheit, trinkt zu viel, in der Ehe häufen sich die Konflikte. „Ich hab immer mehr getrunken“, sagt Rainer, „weil ich mir eingebildet habe, dann ginge es mir besser.“ Irgendwann wachsen ihm die Schwierigkeiten über den Kopf: Rainer haut ab, tingelt durch die Pfalz, 2000 kommt er nach Hamburg.
In Hamburg macht Rainer Platte oder schläft bei Bekannten in Wedel. Es ist eine traurige Zeit. „Ich hab immer ge­soffen. Alles Schöne um mich herum habe ich zwar gesehen, aber nicht wahrgenommen“, sagt er. In betrunkenem Zustand muss er sich auch mit Hepatitis C infiziert haben, genau weiß er das nicht mehr. Oft ist Rainer in dieser Zeit alles egal, nur sein Hund Greif nicht. Ihn hat Rainer als Welpen von einer ­alten Witwe geschenkt bekommen. Für das Futter des Tieres schränkt Rainer sogar seinen Alkoholkonsum ein.
Schließlich kommt Rainer über einen Freund zu Hinz&Kunzt. „Meine Kunden haben mir zugehört, das hat gutgetan“, sagt Rainer. Viele schließen auch Greif ins Herz. „Wenn ich mal nicht an meinem Stammplatz stehe, dann fragen meine Kunden nicht nach Rainer, sondern nach Greif und seinem Herrchen“, grinst Rainer. Im Sommer 2008 rafft er sich endlich auf und geht in eine Entzugsklinik. „Das war an meinem Geburtstag, die Therapie hab ich mir zum Geschenk gemacht“, sagt er. Zu dem Zeitpunkt waren viele seiner Bekannten schon am Alkohol gestor­ben. Auch wenn Rainer jetzt wieder nach vor­ne schauen will, weiß er: Sicher vor einem Rückfall ist er nicht.

H&K: Wo wohnst du derzeit? Und wie ist es da?
Rainer K: Ich habe eine kleine Wohnung im Bunker in der Mistralstraße. Da können Obdachlose für drei Jahre unterkommen. Lieber wäre mir aber ­eine richtige Wohnung, die würde ich auch immer sauber halten!

H&K: Wie möchtest du in fünf Jahren leben?
Rainer: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wer weiß schon, was kommt? Zuerst möchte ich meine Krankheit in den Griff kriegen.

H&K: Wo ist dein Lieblingsplatz in Hamburg?
Rainer: Hamburg finde ich fast überall schön, besonders gern bummele ich durch die Mönckebergstraße. Aber am schönsten finde ich es unter Leuten, die mich als Mensch wahrnehmen, egal an welchem Ort.

Text: Hanning Voigts

Foto: Mauricio Bustamante

„Ich will nicht noch mehr Mist bauen“

Marco L., 38, verkauft seit April 2008 das Straßenmagazin
(aus Hinz&Kunzt 206/April 2010)

marcoWie es sich anfühlt, zu einer Familie zu gehören, weiß Marco. Aber nicht, wie es ist, sie zu behalten.
Seinen leiblichen Vater kennt er gar nicht. Seine Mutter arbeitete Tag und Nacht als Kellnerin. Der Stiefvater beachtete ihn nur, wenn er ihn prügelte.
In seiner Kindheit gab Marcos Oma ihm so etwas wie ein Zuhause. Als sie starb, haute der 13-jährige Marco ab. „Ich bin total durchgedreht und wollte nur noch weg.“ Auf dem Hamburger Kiez – nur ein paar Hundert Meter von der elterlichen Wohnung, aber Welten von einer behüteten Kindheit entfernt – schlug er sich alleine durch. „Mit Diebstahl und Prostitution und so“, sagt der 38-jährige Hinz&Künztler.
In mehrere Heime hätten sie ihn gebracht, aber da sei er immer wieder abgehauen. Noch als Teenager fing er mit Drogen an. Das erste Koks bekam er „von einem guten Freund, der jetzt tot ist“.
Mit Anfang zwanzig verliebte Marco sich. Er heiratete die Frau und zog mit ihr in eine Kleinstadt in Schleswig-Holstein. Sie hatte schon drei Kleinkinder aus einer früheren Beziehung, gemeinsam bekamen die beiden noch einen Sohn. Seine Frau verdiente das Geld, Marco schmiss den Haushalt für die sechsköpfige Familie. Sieben Jahre lang blieb er clean.
„Dann der Rückfall“, sagt er. „Ich glaube, ich war überfordert: der Haushalt, die Kinder. Du musst immer nett sein, auch wenn sie rumschreien und zanken.“ Marco brach aus dem Leben als Hausmann aus. Er landete auf der Straße und geriet wieder in den Kreislauf der Sucht: Das Geld dafür beschaffte er auch auf illegalem Weg. Mehrmals stand Marco deswegen vor Gericht, zuletzt am 26. September 2009. Ein wichtiges Datum, denn damals beschloss er: „Ich will nicht noch mehr Mist bauen.“ Seitdem bekommt er Methadon, eine Ersatzdroge, die er nicht in der Szene kaufen muss, sondern beim Arzt abholt.
Seinen Alltag bestimmen mittlerweile nicht mehr die Drogen, sondern Hinz&Kunzt: Jeden Tag verkauft er das Straßenmagazin und kommt in den Vertrieb in der Altstädter Twiete, auf einen Kaffee und zum Klönen. „Hier werde ich anerkannt“, sagt Marco. „Hier ist jetzt meine Familie.“

H&K: Wo wohnst du derzeit? Und wie ist es da?
Marco: In einem Zimmer zur Untermiete bei einer Bekannten. Da wohnen auch noch ihr Freund und zwei Hunde.

H&K: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Marco: Ich will unbedingt meine eigene Wohnung. Ich würde sie von dem Geld, das ich mit Hinz&Kunzt verdiene, einrichten. Dann kann mich auch mein Sohn besuchen und meine Mutter.

H&K: Wo ist dein Lieblingsplatz in Hamburg?
Marco: In der Sternschanze, da sind die Leute in Ordnung, da macht mich nie einer blöd an.
Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante

„Ich wollte keine Hilfe“

Hinz&Künztler Andreas K.

(aus Hinz&Kunzt 202/Dezember 2009)

Gleich nach der Wende machte Andreas rüber, um in einer Tischlerei in Horneburg bei Buxtehude Geld für seine Familie zu verdienen. Seine Frau und die beiden Söhne blieben in der mecklenburgischen Heimat, 170 Kilometer entfernt. Andreas sah sie nur an den Wochenenden. Er wollte seine Lieben nachholen. „Ich hatte schon ein Häuschen in Buxtehude für uns gefunden“, sagt der 54-Jährige. Doch die Wochenendehe hielt nicht: Andreas überraschte seine Frau mit ihrem neuen Freund. Sie wollte die Scheidung.

„Die freuen sich, dass ich noch lebe“

Chris, 44

(aus Hinz&Kunzt 201/November 2009)

Als Chris 16 Jahre alt war, zog er mit seiner Freundin zusammen und fühlte sich zum ersten Mal geliebt. Kurz darauf probierte er Hasch und war zum ersten Mal entspannt. Er stieg von einer Droge auf die nächst härtere um, konsumierte immer öfter – bis er sich schließlich täglich Heroin spritzte. Mit 21 hatte Chris zum ersten Mal Entzugserscheinungen und realisierte, dass er abhängig ist. „Da dachte ich, mein Leben ist vorbei.“

„Ich habe die Lust auf ein normales Leben verloren“

Christian H. verkauft Hinz&Kunzt seit 2004 an seinem Stammplatz an der U-Bahn-Haltestelle Mönckebergstraße

(aus Hinz&Kunzt 205/März 2010)

ChristianChristian ist ein freundlicher Mensch, der gerne lacht und erzählt. Wenn der 55-Jährige allerdings von seiner Vergangenheit berichtet, klingt seine Stimme belegt. Christian wächst in Duisburg auf, der Vater ist ein starker Trinker. „Schöne Kindheitserinnerungen habe ich nicht“, sagt er. Nach der Schule lernt er Maler und Lackierer. Als er 25 Jahre alt ist, stirbt sein Vater an seiner Sucht. Das ist auch der Grund, warum Christian noch nie einen Tropfen Alkohol angerührt hat: „Ich habe gesehen, was das anrichtet.“
Mit 30 Jahren heiratet Christian seine Freundin, aber dann verliert er 1988 seinen Job, die Ehe geht in die Brüche. Das wirft ihn so aus der Bahn, dass er auf die Straße flüchtet. Seitdem ist er obdachlos, zieht durch unterschiedliche Städte. Ende der 90er-Jahre findet er in Celle wieder eine Wohnung und eine Arbeit in einem Café für Obdachlose. Als er länger krank ist, verliert er diesen Job. Ohne Kontakte und Beschäftigung hilft ihm auch die Wohnung nichts: „Ich saß immer alleine zu Hause“, erzählt er, „mir ist die Decke auf den Kopf gefallen, und da bin ich wieder auf die Straße“. Seit im Jahr 2000 seine Mutter gestorben ist, hat er auch seinen letzten emotionalen Rückhalt verloren. „Einmal im Jahr konnte ich wenigstens meine Mutter besuchen“, erzählt Christian traurig, „jetzt habe ich die Lust verloren, ein normales Leben zu führen.“
Seit Anfang Februar hat Christian einen Schlafplatz in einem Wohncontainer, den er mindestens bis März behalten kann. „Vorher habe ich Platte in St. Georg gemacht“, erzählt er, „das ist bei der Kälte selbst mit einem guten Schlafsack zu hart.“

H&K: Was hast du diese Woche Besonderes erlebt?
Christian: Ich habe endlich Hartz IV beantragt. Die Beamtin am Empfang wollte mich sofort wegschicken, weil mir ein Formular fehlte. Aber als ich höflich nach ihrem Vorgesetzten gefragt habe, durfte ich plötzlich doch reinkommen und die haben mir sogar mit dem Antrag geholfen. Man darf sich eben nicht so einfach abspeisen lassen!

H&K: Wie hat dir die Februar-Ausgabe gefallen?
Christian: Sehr gut, vor allem die Geschichte mit den beiden Verkäufern Klaus und Klaus. Schließlich habe ich die beiden zu Hinz&Kunzt geholt!

H&K: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Christian: Ich würde mir wünschen, dass ich möglichst lange gesund bleibe. Und dass ich irgendwann doch mal Glück habe und in meinen eigenen vier Wänden meine Ruhe finden kann.

Text: Hanning Voigts

Foto: Mauricio Bustamante

Happy End

Thomas wohnt wieder! Der Hinz&Künztler aus der Momentaufnahme in der August-Ausgabe des Straßenmagazins hört gar nicht mehr auf zu strahlen.

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Lachend kommt Hinz&Künztler Thomas in die Redaktion gehüpft: „Ich habe ein Zimmer!“ Das sind für den 41-Jährigen die besten Neuigkeiten seit Langem. Wie er in der Momentaufnahme in der August-Hinz&Kunzt erzählte, musste er aus Leipzig weg, weil er dort seinen Job verlor. In Hamburg schlief er bisher auf der Straße. Jobangebote konnte er ohne festen Wohnsitz nicht annehmen. Jetzt passierte ihm „ein Sechser im Lotto“, wie er strahlend sagt. Beim Hinz&Kunzt-Verkauf wurde er von einem jungen Mann angesprochen, der ihm ein Zimmer in seiner Wohnung auf der Veddel anbot. Thomas kann´s noch gar nict glauben: „Ich wohne wieder!“ Jetzt will er sich so schnell wie möglich als Hamburger melden und dann wieder ins Berufsleben starten. „Hinz&Kunzt war ja nur als Übergangslösung gedacht.“ Der Zeitungsverkauf war ihm in den letzten Monaten eine wichtige Stütze. Doch die Aussicht, darauf bald verzichten zu können, erleichtert ihn unendlich. Auch das sagt sein Strahlen.