Klickergolfer und Betonhauer
Leben in 18 Bahnen: Wie in Hamburg Miniaturgolf erfunden wurde
(aus Hinz&Kunzt 127/September 2003)
Der Nachmittag ist schwül, die Luft steht. An Bahn zwölf, unter den ehrwürdigen Bäumen des Hammer Parks, rüstet sich Rolf (81) zum nächsten Schlag. Die ersten beiden Versuche sind zu sanft, der Kunststoffball schafft es nicht über die „Liegende Schleife“. Das lädt die Mitspieler zu freundlichen Kommentaren ein. „Softie“, feixt Sepp (63). „Das liegt am Wetter“, meint Antje (66) begütigend. „Was hat der heut’ bloß gegessen?“, fragt Reinhold (78). Bei so viel Aufmunterung muss der nächste Schlag gelingen: Der Ball überwindet souverän das Hindernis und ist nach einem weiteren Tick eingelocht.
Jeden Donnerstag trifft sich in der Miniaturgolf-Anlage am Hammer Park eine sechsköpfige Clique, keiner unter 60. Das schlagkräftige Sextett gehört zu den Stammspielern auf der Freizeitanlage, einige haben hier ihr zweites Wohnzimmer. Für familiäre Atmosphäre sorgt die warmherzige Besitzerin Ursula Meins (62). „Uschi“, sagt Stammspieler Sepp, „ist die gute Seele hier“.
Auf der anderen Seite der Stadt, am Eckhoffplatz in Lurup, hat Sieghardt Quitsch um 13 Uhr das Kassenhäuschen geöffnet. Der 70-Jährige ist Vorsitzender des Hamburger Bahnengolfverbandes (sieben Vereine, 320 Mitglieder) und hilft in dieser Saison in Lurup als Platzwart aus. Quitsch ist ein großer Zeitzeuge fürs kleine Golf. Denn er war dabei, als vor 47 Jahren in Hamburg das Miniaturgolf erfunden wurde.
Miniatur gleich Mini? Nein, auch bei Bahnengolfern gibt es den kleinen Unterschied, deshalb wollen wir historisch genau sein. Die Betonpisten des Minigolf sind zwölf Meter lang, die erste Anlage baute Paul Bongni 1953 im Tessin, und damit hatte Sieghardt Quitsch überhaupt nichts zu tun. Drei Jahre später ging in Hamburg der Geschäftsmann Albert Rolf Pless an den Start. Seine Miniaturgolfbahnen sind kleiner, sie messen nur 6,25 Meter. Prototypen entstanden in Planten un Blomen und am Hammer Park – und an den Plänen dafür hat der heutige Verbandsvorsitzende Quitsch mitgezeichnet.
Gemeinsam ist beiden Systemen: Sie sind standardisiert. Nur so konnte Bahnengolf seit den fünfziger Jahren überhaupt Karriere machen. Kleingolfplätze hatte es auch vorher schon gegeben, vor allem in England und den USA, aber sie zeugten vornehmlich von der Fantasie ihrer Besitzer: Mal dienten Gartenzwerge als Hindernis, mal Autoreifen oder Windmühlen. Das taugte zur Volksbelustigung, aber nicht zum Leistungssport.
Am Hammer Park klappt Erwin das Köfferchen auf, das er von Bahn zu Bahn trägt. In einem Polstereinsatz ruhen mehr als 30 Bälle, leichte und schwere, elastische und dämpfende. „Zu Hause habe ich 200 Stück. Das ist wie eine Sucht“, sagt Erwin, der seit 20 Jahren auf der Anlage spielt – sein Freizeitvergnügen. Seit seiner Jugend hat der 59-Jährige als Maler gearbeitet, jetzt meldete seine Firma Insolvenz an. Noch hofft der Arbeitslose auf eine Stelle: „50 Jahre Maler wollte ich eigentlich schaffen.“ Er lässt den olivgrünen Ball zum Test einmal springen und legt ihn dann auf den Abschlagpunkt.
Zwei Schläge braucht er für die zickzackförmige Bahn 18. Ein Spruch hilft immer: „Das war gut, aber nicht gut genug“, sagt Erwin.
Theoretisch lässt sich jede Bahn mit nur einem Schlag, einem As, schaffen. Macht 18 Schläge für den gesamten Parcours. Zweimal in seinem Leben hat Sieghardt Quitsch das geschafft – und winkt gleich ab: Auf der Anlage in Lurup, wo der örtliche Verein trainiert, komme das „fast jede Woche“ vor. Dass er als junger Mann Miniaturgolfer wurde, ist einer von diesen Zufällen im Leben. Als angehender Grafiker besuchte Quitsch die Landeskunstschule. 1956 tauchte dort Albert Rolf Pless auf. Er arbeitete in der väterlichen Firma, die Geräte für die Eisherstellung lieferte, brachte aber aus einem Schweden-Urlaub eine ganz andere Geschäftsidee mit: Er wollte eine Kleingolfanlage schaffen – und die Grafik-Klasse sollte den Entwurf liefern.
Pless’ Vorgabe: Bahnen kürzer als beim Minigolf, außerdem leicht auf- und abzubauen. Die Schüler zeichneten Bahnen, Hindernisse, Lagepläne. Pless ließ die Prototypen errichten, wo Quitsch zu Studienzwecken fleißig spielte und dabei zum Fan wurde. Ende der fünfziger Jahre ging Miniatur-Golf mit Bahnen aus Faserzementplatten in Serie.
„Wie sieht das hier wieder aus“, sagt Ursula Meins, als sie mit Amadeus, ihrem kleinen tibetischen Rassehund, über den Platz geht. Tadellos sieht es aus, aber die Besitzerin hat hier ein Blatt, dort einen Zweig entdeckt. „Dabei habe ich doch heute Morgen erst gepüstert.“Am Wochenende kommen bis zu 80 Spieler pro Tag, aber es gibt auch Tage, an denen die Stammgäste weitgehend unter sich bleiben. „20 bis 25 Grad und bewölkt, das ist ideales Wetter“, erklärt Ursula Meins aus Unternehmersicht.
Die 62-Jährige, früher als Sekretärin bei der Neuen Heimat tätig, geht in ihrer Arbeit auf: „Ich bin die ganze Zeit draußen und habe mit Menschen zu tun. Für mich ist das wie Urlaub hier.“
Als Hinz&Kunzt-Verkäufer Uwe Dierks dieses Jahr seinen 60. Geburtstag am Hammer Park feierte, kam sogar hoher Besuch (allerdings nicht zum Spielen): Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt überreichte Dierks, den sie von seinem Verkaufsplatz am Rathaus kennt, eine Torte. Und noch eine Verbindung gibt es zu Hinz & Kunzt: Seit sieben Jahren lädt ein Mitarbeiter des Arbeitsamtes seine Kollegen zu Benefiz-Turnieren ein und spendet den Erlös dem Hamburger Straßenmagazin.
Die sechziger Jahre waren die Boomzeit des Bahnengolf. 3.000 Anlagen entstanden allein in Deutschland, schätzt Quitsch; heute mögen es noch 2.000 sein. Zugleich gründeten sich viele hundert Vereine. Was den praktischen Vorteil hatte, dass dadurch die Anlagen zu Sportstätten wurden, für die keine Vergnügungssteuer fällig war. Der Wettstreit der Systeme – Mini gegen Miniatur, Betonhauer gegen Klickergolfer – war bald beigelegt. In Hamburg schlägt man seit 1964 vereint – damals wurde der Bahnengolfverband gegründet. Wer heute Turniere spielt, muss mit beiden Systemen zurechtkommen.
55 Schläge haben Rolf und Rudolf heute gebraucht, um den Parcours mit Wippe und Salto, Bodenwellen und Vulkan zu durchlaufen. Als Schlusslichter müssen die beiden das Après-Golf am Gartentisch bezahlen. Zeit für tiefschürfende Spielanalysen („das ganze Sabbeln bringt nichts, der Ball muss rein“), entspanntes Nachdenken über Sein und Zeit („85, das ist doch kein Alter“) und heitere Anekdoten, die zumindest den Eingeweihten erfreuen („erinnert ihr euch noch, wie damals der Sandkuchen in den Sand fiel?“).
Gegen 18 Uhr brechen die Spieler auf. Sepp, der als Jüngster in der Gruppe noch im Beruf steht – er entwickelt als selbstständiger Chemiker Rezepturen für Gummi –, hat geschäftliche Anrufe auf sein Handy umgeleitet. Aber es hat niemand angerufen. Mit Küsschen verabschieden sich die Spieler von Ursula Meins und ihrem Wohnzimmer mit den 18 Bahnen. Bis nächsten Donnerstag.