Die Magie des Würfels

Christoph Heinrich, Leiter der Galerie der Gegenwart, verabschiedet sich zum zehnjährigen Museums-Jubiläum mit einer Präsentation hauseigener Werke

(aus Hinz&Kunzt 176/Oktober 2007)

Oh – das geht nicht! Christoph Heinrich stoppt mitten im Laufen und geht in die Hocke: Auf dem Boden liegt ein loses Kabel, nicht mehr festgeklebt, man könnte gut darüber stolpern. Da muss er gleich mal in der Technik Bescheid sagen. Heinrich (47) leitet die Galerie der Gegenwart, den Erweiterungsbau der Hamburger Kunsthalle. Vollgestopft mit Kunst des 20. Jahrhunderts; ein dreistöckiger Sandsteinklotz zwischen Hauptbahnhof und Alster.

Warten auf den Paukenschlag

Das ehemalige Karstadt-Gebäude in Altona-Altstadt sollte abgerissen werden. Doch daraus wird erst mal nichts

(aus Hinz&Kunzt 177/November 2007)

Neulich am Nebentisch. Er: „Dass der Klotz da immer noch steht …“ Sie: „Nichts ist passiert, rein gar nichts!“ Pause – beide nehmen einen Schluck Kaffee. Wieder er: „Am besten sprengen; einfach in die Luft jagen!“ Und sie: „Das werden wir beide wohl nicht mehr erleben.“

Kunstvoll geholfen

Hamburger Galerien unterstützten mit einer Verkaufsaktion Hinz&Kunzt – Besuch bei vier Kunsthändlern in der Admiralitätstraße und der Altstadt

(aus Hinz&Kunzt 178/Dezember 2007)

Die meisten Galeristen sind Idealisten und Kunstliebhaber und werden als solche nicht gerade reich. Trotzdem beschlossen sie jetzt, Hinz&Kunzt zu unterstützen: Ein Zehntel ihrer Verkaufserlöse aus der Aktion „Der Rote Punkt“ im November spenden sie dem Straßenmagazin. Beim Tag der offenen Galerien lernten Birgit Müller (Text) und Susanne Katzenberg (Fotos) vier Kunsthändler kennen.

„Jetzt malen wir mal ein schönes Ballerbild“

Daniel Richter über die Kunst des Kreativseins und die Vieldeutigkeit seiner Werke

(aus Hinz&Kunzt 171/Mai 2007)

Daniel Richter lebt in Hamburg und malt in Berlin. Will man sich eines seiner Bilder ins Wohnzimmer hängen, muss man tief in die Tasche greifen. Zum Glück widmet ihm die Hamburger Kunsthalle eine große Ausstellung.

Kunst im Büdchen

Das Hafenkiosk-Festival will Imbisse zu Orten der Kultur machen

(aus Hinz&Kunzt 174/August 2007)

Späte Ehre für einen Kulturort: Beim Hafenkiosk-Festival werden die Kioske und Imbisse im Harburger Hafen für einen Tag zu kleinen Galerien und Bühnen.

„Kommen die ins Museum?“

Kleckern und klotzen: Im Schanzenpark bauen Kinder und Erwachsene zwei Wochen lang Skulpturen und Gebäude aus Lehm

(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)

Noch leuchtet Carlottas Pullover in schönstem Rosa. Die dunkelblonden Haare der Achtjährigen sind zu einem ordentlichen Zopf gebunden, richtig schick sieht sie aus. Aber nicht mehr lange. Carlotta freut’s: „Ich mache mich gerne dreckig“, sagt sie fröhlich. Heute steht das Schmutzigwerden für Carlotta und die anderen Kinder der Klasse 3a von der Grundschule Sanderstraße auf dem Stundenplan. Denn die 3a ist eine der Gruppen, die sich für die neuntägige Baukunstaktion „Lehmbauten“ des Vereins Bunte Kuh angemeldet hat.

Hilfreiche Kunst

Die Künstlergruppe KiK aus dem Klinikum Nord unterstützt Hinz&Kunzt

(aus Hinz&Kunzt 151/September 2005)

Natürlich ein Künstler. Ein Blick auf Rolf Becker reicht, um sofort zu wissen, wie er seine Zeit verbringt. Die Baskenmütze, die das halblangen Haar bändigt, das Hemd etwas nachlässig geknöpft, dazu der Vollbart – klar, dass so einer nicht hinter einem Bankschalter zu finden ist. Der 49-Jährige malt in Öl auf Leinwand, die Motive findet er in seiner Erinnerung. Italienische Dörfer aus längst vergangenen Urlauben zum Beispiel.

Unvermuteter Glücksfall

Malende Außenseiter: „Die Schlumper“ werden 25 Jahre alt und stellen in der Hamburger Kunsthalle aus

(aus Hinz&Kunzt 153/November 2005)

„Was ohn’ Vorgedanken, ohn’ Kunst, unversehens geschieht, das ist Schlump, der unvermutete Glücksfall“, schreiben die Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch.

Als Rolf Laute (65) Anfang der 80er-Jahre seine Künstlergruppe „Die Schlumper“ ins Leben rief, ahnte er von dieser Wortbedeutung noch nichts. „‚Schlumper‘ lag damals auf der Hand, weil unser Atelier in den Kellerräumen des Stadthauses ‚Am Schlump‘ untergebracht war.“ Auf die Grimmsche Übersetzung stieß Laute erst später. „Das passt natürlich auf die Art der Kunst der meisten Schlumper“, sagt er, „da die Werke ohne Planung, ohne intellektuelle Vorgedanken entstehen.“ Denn die zurzeit 24 Schlumper sind Künstler mit geistiger Behinderung.

Wohnung mit Publikum

„Stephanslust“: Warum der Sammler und Künstler Stephan Watrin inmitten seiner Ausstellung lebt

(aus Hinz&Kunzt 127/September 2003)

„Der Teppich muss frei bleiben“, sagt Stephan Watrin, „sonst wird mir das zu viel!“ Der Teppich ist blau, knapp zwei Quadratmeter groß und bildet vermutlich die größte zusammenhängende Freifläche in der mehr als 100 Quadratmeter großen Wohnung. Ansonsten ist alles voll: Von der Flurdecke baumeln Spazierstöcke, die Wände sind kaum mehr zu erkennen vor lauter Aschenbechern, Schuhlöffeln, Tiergeweihen, Blechschildern, Kaffeekannen, alten Prospekten oder Kaffeefilter-Packungen – immer schön in Gruppen geordnet.

Zwischen diesen Sammlerstücken, die weder vor der Küche noch vor dem Klo Halt machen, schlängeln sich Lichterketten, die von Gläsern, Flaschen und Spiegelscherben reflektiert werden. Das Strandgut des banalen Alltags beginnt geheimnisvoll zu leuchten und bekommt einen unerklärlichen Zauber. Sammlers Traum und Albtraum, durch den der 53-jährige Stephan Watrin zu gleiten scheint, ohne sich je an etwas zu stoßen. Ein bisschen erinnert er an einen freundlichen schwerelosen Kobold.

„Ich bin ja verrückt“, sagt er verbindlich lächelnd, so wie andere vielleicht sagen würden, sie seien leider nicht zum Aufräumen gekommen – in jenem weichen niederrheinischen Tonfall, den auch 30 Jahre Hamburg nicht vollständig aushärten können.

Wie bei allen Sammlern begann es auch bei ihm ganz harmlos: mit einer Kindernähmaschine, eigentlich gedacht als Geschenk für eine junge Liebe, die damals Modedesign studierte. „Aber dann gefiel mir die Maschine so gut, dass ich sie selbst behalten habe.“ Das ist jetzt mehr als 20 Jahre her, es folgten weitere Kindernähmaschinen, Sammeltassen, Avis-Annoncen und jedes Wochenende mindestens ein Flohmarkt. Eine große Leidenschaft, ein großer Fluch.

„Meine Frau hat es irgendwann vor zwölf Jahren nicht mehr ausgehalten und ist ausgezogen. Kann man ja auch verstehen“, sagt Stephan Watrin und sieht jetzt aus wie ein bekümmerter Kobold. Denn anders als vielleicht andere Sammler ist er keiner, dem der Rest der Welt egal wäre. Er mag Frauen und andere Menschen, interessiert sich für ihre Bedürfnisse und versteht sogar seine Vermieterin, „die sich Sorgen macht, weil in der Wohnung wegen meiner Sammelei seit 23 Jahren nicht gestrichen werden kann“.

Seine soziale Ader hatte Stephan Watrin Anfang der achziger Jahre auch bewogen, seine gut dotierte Abteilungsleiter-Stelle im Kaufhaus aufzugeben und als Erzieher im Kindergarten zu arbeiten. Das tat er bis vor drei Jahren, dann kündigte er, weil er sich nicht so gut mit seinen neuen Vorgesetzten verstand und „weil ich mehr Zeit für meine Kunst haben wollte“.

Denn damals hatte er sich nicht mehr länger damit begnügt, die Dinge aufzuheben und zu ordnen, sondern begonnen, sie zu gestalten. Mit feinem Kupferdraht umwickelt er seitdem seine Fundstücke und verbindet sie zu Skulpturen, die immer ein ernsthaftes Anliegen haben: den Irakkrieg, den Nahostkonflikt, aber auch den Kampf zwischen den Geschlechtern. „Wenn mich da etwas bewegt, egal ob ich es selbst erlebe oder in der Zeitung lese, dann setze ich mich direkt hin und mache eine Skulptur. Das ist meine Art, es zu verarbeiten“, sagt der Drahtkünstler und sieht dabei nicht mehr wie ein Kobold aus, sondern wie ein zerbrechlicher Elf.

Wie eine zweite Schicht beginnen sich diese nachdenklichen Skulpturen nun vor die Sammelstücke zu schieben, so dass er seine Wohnung vor drei Jahren kurzerhand zur Museumswohnung erklärt hat. Weil aber „viele Leute doch Hemmungen haben, einfach so eine Privatwohnung zu betreten“, und weil sowieso nicht genügend Platz wäre, ist er froh, dass er die Räume des Galeristen Olaf Woerderhoff am Schulterblatt 59-1 nutzen kann – und jetzt eröffnet er im Karoviertel „Senator Watrin“, ein Galerie-Café mit Kinderbetreuung.

„Da soll dat dann endlich alles zusammenkommen, die Kunst, der Kommerz und dat Soziale“, sagt er, und es klingt wie die einfachste Sache der Welt. Ist es für ihn auch. Denn wenn ein Problem nicht so groß ist, dass man es nur noch mit Draht umwickeln kann, dann packt Stephan Watrin es einfach an und löst es mit niederrheinischem Pragmatismus.

So wie neulich, als ihm eine Galerie-Besucherin im Rollstuhl erzählte, dass sie bis zum Pferdemarkt fahren müsse, um eine geöffnete Behindertentoilette zu finden. Seitdem hat Stephan Watrin für ein Behindertenklo auf dem Schulterblatt gekämpft – mit Erfolg, wie er, der selbst ernannte Klominister, genüsslich erzählt. Da ist er wieder ganz Kobold, der den Behörden „so lange auf den Senkel geht, bis die kapieren, dass ich es ernst meine“.

Allerdings weiß er auch genau, an wen er sich wenden muss. Schließlich engagiert er sich seit Jahren in Nachbarschaftsinitiativen und im Sanierungsbeirat des Viertels, „da kennt man sich dann irgendwann.“ Jedenfalls gibt es jetzt im Flora-Park eine provisorische Behindertentoilette, für die einige Gastronomen an der Piazza nicht nur den Schlüssel verwalten, sondern auch zur Finanzierung beigetragen haben – von Stephan Watrin charmant überredet. „Schließlich verlangt die Gastronomie hier den Anwohnern auch einiges ab, also kann sie auch mal was für die Nachbarschaft tun.“

Mit diesem Argument wird jetzt im September auch ein Fest für die Piazza-Lärm-geplagten Anwohner ausgerichtet. Und wenn der Flora-Park im nächsten Jahr ein richtiges, gemauertes Toilettenhäuschen bekommt, dann werden die Jugendgruppen aus der Flora genauso in die Schlüsselverwaltung einbezogen wie die Kneipiers und der Künstler selbst. Wenn er so etwas organisieren kann, „wo sich die unterschiedlichsten Leute zusammensetzen und wat jutes machen“, dann ist Stephan Watrin so glücklich, dass er sogar das Sammeln vergisst – jedenfalls eine Zeit lang.

Gute Chancen also, dass der blaue Teppich weiterhin leer bleibt. Wenn ihm dieser Freiraum nicht mehr reicht, dann fährt er für ein paar Wochen in die Sahara und genießt die Leere der Wüste. Und wer weiß, vielleicht kommt eines Tages doch noch die Märchenprinzessin und erlöst ihn von seiner Sammlung. Denn „wenn ich mich in eine Frau verlieben würde und die wollte hier einziehen und es wäre zu wenig Platz, dann würde ich mich auch von der ganzen Sammlung trennen“. Von wegen verrückt – der Mann ist einfach ein Romantiker!

Sigrun Matthiesen