Wieso mein Garten Punkrock ist
Schrebergärten als Ausdruck von Kleinbürgertum und Spießigkeit? Weit gefehlt, meint Gartenkolumnist Benjamin Laufer.
Schrebergärten als Ausdruck von Kleinbürgertum und Spießigkeit? Weit gefehlt, meint Gartenkolumnist Benjamin Laufer.
(aus Hinz&Kunzt 125/Juli 2003)
Hein Gas präsentiert die Dart-Reportage: Hamburg hat viele unbekannte Ecken. Mit Häusern voller Geschichte und Menschen mit besonderen Lebensläufen. Um sie zu finden, werfen die Reporter einen Dartpfeil auf den Stadtplan. Die Geschichten erzählen von viel menschlicher Wärme oder dem Mangel daran. Diesmal: die Kleingartenanlage Altona Nord II.
Mein Dartpfeil ist in einer Schrebergartenanlage gelandet. Ich bin ihm gefolgt und stehe nun inmitten von Grün. Es ist still. Es riecht nach frischer Erde und nach Gras. Unter meinen Schuhen knirscht es, als ich einen schnurgeraden Kiesweg entlanggehe – die Hauptstraße der Kleingartenanlage Altona Nord II. Rechts und links hohe Hecken, dahinter ducken sich die insgesamt 52 Holzlauben in den Schutz hoher Bäume. Ein Idyll, das eingeklemmt ist von Hochhäusern auf der einen Seite und den Gleisen des Hauptgüterbahnhofs Eidelstedt auf der anderen.
Ich will erfahren, wie es so ist, das Leben als Schrebergärtner. Doch eigentlich mag ich keinen stören. Die Menschen sind alle so beschäftigt: sie entspannen, säen, zupfen Unkraut, mähen Rasen, lesen Zeitung, trinken Kaffee, plaudern, gucken in den Himmel. Sie sitzen meist ganz hinten in ihren Gärten, weit weg vom Gartenzaun. Doch das Ehepaar Will lässt mich herein. Das Gartentor knarrt leise. Wir setzen uns unters Wellblechdach ihrer Gartenterrasse. Helmut Will war früher Fahrdienstleiter am Hauptbahnhof, im Schichtdienst. Heute haben sie mit der Bahn eher Ärger. Laut donnern die Züge an den Gärten vorbei. Das scharfe Geräusch verdrängt für einen Moment Vogelgezwitscher und Blätterrascheln und verkrallt sich im Ohr. Gegen den Lärm haben die Wills Holzplatten vor die Hecke gestellt, die zu den Gleisen zeigt, und diese mit Gummimatten ausgekleidet. Es hilft nicht viel. „Und die Bahn will den Takt noch erhöhen“, sagt Helmut Will. „Noch mehr Züge sollen fahren, die Höchstgeschwindigkeit soll raufgesetzt werden.“
Am Bahndamm hat er mal zusammen mit ein paar Leuten aus dem Gartenverein Draht gespannt. Der Grund: „Immer wieder spielen Kinder dort, legen Gegenstände auf die Gleise, und wenn ein Zug dann da drüber rasselt, knallt es. Die Bahn sperrt das nicht genügend ab.“ Der Draht draußen am Damm ist an verrosteten Pfählen befestigt. Er ist an vielen Stellen schon wieder auf den Boden gedrückt oder ganz heruntergerissen. Zwischen Brennnesseln, Pusteblumen und Disteln liegen ein paar zerdrückte Bierdosen. Hier jedoch wird alles liebevoll gepflegt.
„Es ist schön, wenn man so sitzt und alles blüht“, sagt Frau Will und sieht über den Garten, der den Eheleuten schon seit 30 Jahren gehört. Die Fische im Teich sind zutraulich. Sie kommen angeschwommen, und wenn Herr oder Frau Will die Finger ins Wasser halten, saugen sie daran. An meinen Fingern saugen sie nicht, die gucken sie nur an. Die Wills haben Schnüre über den See gespannt, damit die Reiher die Fische nicht holen. Im Winter kommen sie jeden Tag her und sehen nach, ob alles heil ist. Füttern die Vögel, die Fische brauchen dann nichts. Es kam schon vor, dass eines Tages das Vogelhaus zusammen mit Mülltüten im Gartenteich lag, Blumentöpfe zerbrochen, die Erde verstreut. „Die haben noch nicht mal was geklaut, nur randaliert“, sagt Helmut Will und schüttelt den Kopf. Seine Frau nickt.
Der Blick fällt auf die Hochhäuser nebenan. Auch wenn viele, die hier einen Garten haben, in der Gegend wohnen, ist der Blick auf die Plattenbauten meist ein skeptischer. Ein Chaotenviertel sei das, sagt mir jemand, oder: „Dort wohnt jetzt alles.“ Von dort oben wurde mal geschossen, erzählt entrüstet eine Frau. Einer wollte sich runterstürzen, und vor 30 Jahren sei tatsächlich einer gefallen, er saß im Fenster und hatte zu viel Bier getrunken. Kommen nun von dort diejenigen, die auf den Spielplätzen Reifen zerstechen und in den Gärten randalieren? „Es gibt eben auch immer welche, die sich nicht ganz anpassen“, so erklärt sich das Frau Will. Richard Schmidt ist der gleichen Ansicht. Der 71-Jährige ist bereit, seinen Garten mit allen Mitteln zu verteidigen. Nicht gegen den Zuglärm, der stört ihn nicht. „Terror im Kleingarten. Du wirst abgefackelt!“, sagt er und zeigt mir einen drei Jahre alten Zeitungsartikel aus einem Lokalblatt. Seit damals sein Geräteschuppen in Brand gesteckt wurde und dabei fast die Laube abgebrannt wäre, hat er aufgerüstet. Drei Gewehre und eine Pistole hängen neben Geweihen im Haus. Nach eigenem Bekunden alle geladen. „Ich hab seitdem einen Waffenschein“, sagt er und bietet mir einen Kaffee an. „Irgendwie muss ich ja die Enkel verteidigen, wenn sie hier schlafen und irgendwas ist.“ Seit dem Vorfall hat er Gartentor und Laube mit einer Alarmanlage gesichert. Auch einen Schäferhund haben sie jetzt, wie der Nachbar.
Meine Blicke huschen durch die kleine Gartenlaube. „Haben wir alles in Handarbeit selbst aufgebaut“, sagt er stolz. Es ist alles da, sogar ein Fernseher. Eine kleine Küchenzeile. Auf der ausklappbaren Couch sitzen Puppen, auf dem Regal stehen zwei beleuchtete Mickeymäuse neben diversen Pokalen. Eine Art Miniwohnung auf 20 Quadratmetern. Richard Schmidts Sohn Thomas mäht derweil draußen um einen Fahnenmast herum, an dessen Spitze eine Hamburg-Flagge weht. Im Hintergrund ein Wetterhahn auf dem Laubendach. Davor Blumenbeete, um die herum gleichfarbige, gleichgroße Steine liegen. Auf den Beeten Gartenzwerge. Der 39-Jährige arbeitet in der eigenen Gartenbaufirma, zusammen mit seinem Vater. Familienbetrieb seit fast sechzig Jahren. Vor seinem Haus in Bahrenfeld hat er auch einen Garten. So wird das Leben der Schmidts maßgeblich von Gärten geprägt.
Ein paar Parzellen weiter treffe ich einen Mann mit grauem, nach hinten gekämmtem Haar. Er trägt eine blaue Latzhose und klobige Arbeitsschuhe. Wolfgang Brenker erzählt über den Zaun hinweg. Sein Garten ist ihm alles, als Rentner hat er Zeit. Er kommt jeden Tag. „Ich mach dann hier was und da was. Und wenn ich nicht mehr kann, setz ich mich hin und ruh mich aus.“
Sein Blick fällt auf den Garten nebenan. Dort stehen weiße Blumen auf der Wiese, die viel höher ist als in all den anderen Gärten. Am Obstbaum hängen noch Ostereier, obwohl Ostern längst vorbei ist. Der Garten gehört einer alten Dame, frisch operiert, die kann im Moment nicht mehr so, klärt mich der alte Mann auf. „Bald geh ich nach drüben und mach das weg. Das kommt sonst alles hier rüber“, erklärt er. Schade, denke ich, und sehe auf die hohe Wiese. Ich denke an die Schmetterlinge, die über die Blüten flattern und miteinander flirten. Wolfgang Brenker stützt sich auf seinem Gartenzaun ab. „Und wissen sie, warum ich es noch nicht weggemacht habe?“ Er sieht mich an und blinzelt gegen die Sonne: „Wegen den Schmetterlingen lass ich es noch eine Weile stehen.“
Als der Kiesweg aufhört und es unter meinen Schuhen wieder still ist, habe ich die Schrebergärten hinter mir gelassen. Ich will schon gehen, da sehe ich Eduard. Er sitzt auf einer Bank und sieht auf das Hochhaus, in dem er wohnt. Eduard ist 73. Er ist vor zwölf Jahren mit seiner Frau aus Kasachstan gekommen. Hier gefällt es ihm. Mit der Zwei-Zimmer-Wohnung ist er zufrieden. Er hat nette Nachbarn, sagt er. Mit einem macht er immer vor dem Haus sauber, sammelt den Müll weg, das macht sonst keiner. „Und ich kann mittlerweile ganz gut lesen“, sagt er. Früher war er Analphabet. „Sechs Stunden pro Woche lesen wir in der Bibel. Zwei am Sonntag, zwei am Dienstag, zwei am Donnerstag. So habe ich es gelernt.“ Eduard ist Zeuge Jehovas. Heute war er schon im Dienst, hat viele Prospekte verteilt. Jetzt lässt er sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
Als ich gehe, schaue ich noch mal zurück. Eduard ist jetzt ganz klein. Er winkt.
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