Kinderarbeit in Burkina Faso

Am Abgrund

In den Minen Burkina Fasos müssen schon die Jüngsten ihren Eltern bei der schweren Arbeit helfen. Und begeben sich dabei in Lebensgefahr. Lokale Initiativen wollen die Kinder von den Minen fernhalten – können aber nicht alle retten.

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Geboren, um zu arbeiten

Eine Fotoreportage von G.M.B. Akash

G.M.B. Akash wurde 1977 in Bangladesch geboren. 2007 lebte er auf Einladung der Stiftung für politisch Verfolgte ein Jahr lang in Hamburg, weil er nach der Veröffentlichung  einer Geschichte über misshandelte Jungen in Moscheen fliehen musste. In der Dezember-Hinz&Kunzt Sehen Sie einige seiner Bilder, auf denen er Kinderarbeiter in Bangladesch zeigt.

Shilu trennt Steine von Sand auf den Dämmen des Piyain River. 1000 Kinder arbeiten dort. Der Tageslohn eines Arbeiters in der Baustoffindustrie beträgt 150 Taka, weniger als zwei US-Dollar.
Shilu trennt Steine von Sand auf den Dämmen des Piyain River. 1000 Kinder arbeiten dort. Der Tageslohn eines Arbeiters in der Baustoffindustrie beträgt 150 Taka, weniger als zwei US-Dollar.

Freizeitspaß oder Kinderarbeit?

Der Deutsche Kinderschutzbund warnt vor der Ausbeutung Jugendlicher

(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)

Sie helfen an Marktständen oder verteilen von Haus zu Haus Werbezettel. Andere verrichten gegen Bezahlung schwere körperliche Dienstleistungen in fremden Haushalten. In Berlin arbeitete eine 14-Jährige wöchentlich sechs Stunden als Barkeeperin in einer Kneipe, ein 16-Jähriger jedes Wochenende in einer Diskothek. Über Kinderarbeit in Deutschland wird nur wenig gesprochen. „Dennoch“, sagt der Geschäftsführer des Kinderschutzbundes in Hamburg, Uwe Hinrichs, „ist sie ein großes Problem.“

Weltweit wird von 250 Millionen Kindern ausgegangen, die arbeiten müssen – etwa die Hälfte von ihnen jeden Tag, zumeist in Afrika, Asien und Lateinamerika. In Deutschland geht der Kinderschutzbund von rund 700.000 Kindern aus, die verbotene Arbeit verrichten. Für Hamburg wird vorsichtig die – nur geschätzte – Zahl 5000 genannt. Geschäftsführer Hinrichs: „Jeder weiß, dass es verbotene Kinderarbeit gibt. Es fehlen aber Untersuchungen, die das Ausmaß beschreiben.“

Wenn Kinder arbeiten, dann ist dies auch hierzulande nicht grundsätzlich verboten. Arbeiten darf, wer mindestens das 9. Schuljahr beendet hat, also zumeist 15 Jahre alt ist. Erlaubt ist dann bis 20 Uhr die Verrichtung nicht gefährlicher Tätigkeiten. Leichte Dienstleistungen dürfen auch schon von 13-Jährigen ausgeübt werden, wenn dies nur gelegentlich geschieht, allerdings nicht am Wochenende und höchstens bis zu zwei Stunden, niemals jedoch länger als bis 18 Uhr. Besondere Ausnahmeregelungen gelten für Kinder, auch ganz kleine, die als Darsteller vor Kamera oder Mikrofon stehen – in der Medienstadt Hamburg bis zu 3000 im Jahr.

Die Verbote sollen junge Menschen vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor Gefahren schützen, die mit der Arbeit verbunden sind. Frühe körperliche Arbeit verursacht gesundheitliche Schäden und kann auch die moralische oder soziale Entwicklung beeinflussen. Was aber ist leichte Arbeit, was schwere oder gefährliche? Wann werden erlaubte Tätigkeiten zu verbotenen? Wenn 13-Jährige nach der Schule Nachbars Tochter hüten und dafür ein paar Euro erhalten, dann ist das erlaubt. Wenn sie dies jedoch auch mal abends machen – weil Vater oder Mutter zum Elternabend müssen oder ins Kino wollen –, dann bleibt das verboten. Und auch wer gegen Bezahlung einen Nachmittag lang einen Hund betreut und mit dem dann länger als zwei Stunden durch einen Park tobt, handelt unerlaubt. Nachvollziehbarer hingegen das grundsätzliche Verbot von Tätigkeiten wie Regale auffüllen in Supermärkten oder Arbeiten auf Baustellen und auch im gewerblichen Bereich, zum Beispiel in Tischlerwerkstätten.

Manche Tätigkeit bewegt sich so in einer Grauzone zwischen Freizeitspaß und Kinderarbeit. Babys sitten oder im Reitstall Pferde pflegen ist nicht nur Arbeit, die ein paar Euro oder freie Reitstunden einbringt. Sie ist auch ein Erleben, das Freude bereiten kann. Dass häufig jedoch auch schwere körperliche Arbeit verrichtet wird, zeigt – neuere Studien gibt es in Deutschland nicht – eine neun Jahre alte Untersuchung der Berliner Sozialbehörde. Etwa die Hälfte der anonym befragten Siebt- bis Zehntklässler hatte danach bereits Erfahrungen in der Arbeitswelt gesammelt. Davon wiederum ging mehr als die Hälfte gegen Bezahlung verbotener Arbeit nach: Dienstleistungen wie Putzen in fremden Haushalten, Vertrieb von Zeitungen oder Werbematerial, Mitarbeit im Handel oder bei Handwerkern. Besonders bedenklich nannten die Autoren, dass jeder zehnte befragte Junge auf Baustellen mit Abrissarbeiten oder anderen schweren Arbeiten beschäftigt war.

Vieles spielt sich im privaten oder nachbarschaftlichen Bereich ab. Eltern verpflichten ihre Kinder, für sie Treppenhäuser zu putzen oder im eigenen Betrieb mitzuhelfen. Andere Kinder jobben in Praxen oder Büros mit dem Versprechen, später einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Oder helfen in der Nachbarschaft auf privaten Baustellen. Drei Viertel arbeiten, so heißt es beim Kinderschutzbund, um sich Konsumwünsche erfüllen zu können. Die anderen leben in Armut. „Kinderarbeit“, sagt Geschäftsführer Hinrichs vom Kinderschutzbund, „ist auch in Deutschland ein Ausdruck von Armut und Not.“

Hinrichs appelliert an die Eltern, sich ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern bewusst zu sein. „Was Kinder machen, ist oft von den Eltern gewollt“, sagt er, „übertriebener Ehrgeiz beim Sport kann aber ebenso schaden wie Stress verursachende Filmaufnahmen.“ Zwar sind in der gut ausgeleuchteten Künstlerszene praktisch keine Verstöße festzustellen, „doch auch was erlaubt ist, ist nicht immer gut für ein Kind.“

Beim Hamburger Amt für Arbeitsschutz ist Klaus-Dieter Mayer zusammen mit einem weiteren Mitarbeiter für das Aufspüren verbotener Kinderarbeit zuständig. 2002 wurden fünf Verstöße festgestellt. Kein Anlass zur Sorge also? „Jedenfalls konnten wir nicht mehr Fälle belegen“, antwortet Mayer. In größeren Betrieben würden kaum Probleme auftreten. Doch in Kleinbetrieben gibt es nach seiner Erfahrung eine Dunkelziffer, „da wird in der Tat geklüngelt.“

Beim Kinderschutzbund fordert Geschäftsführer Hinrichs genauere Untersuchungen und stärkere staatliche Kontrollen. Bisher bleibe vor allem ein Gefühl der Unzufriedenheit. Die Politik unternehme zu wenig, um Missstände aufzudecken. Und von den Betroffenen selbst – den Kindern, Eltern und Betrieben – rede sowieso niemand öffentlich über das Thema. „Die haben alle ihr spezielles Interesse, dass dies im Verborgenen bleibt. Denn jeder profitiert auf seine Weise davon.“

Peter Brandhorst

Ohne Arbeit geht es nicht

Kinder in Bolivien zwischen Schule und Broterwerb

(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)

Ein Kinderalltag in Bolivien beginnt häufig mit Arbeit und hört mit Arbeit auf. Die Schule kommt dabei meist zu kurz. Nur wenige haben das Glück, beides miteinander vereinbaren zu können. Ein Projekt in der Großstadt Santa Cruz gibt Kindern und Jugendlichen eine Chance, Bildung und Broterwerb miteinander zu vereinbaren.

Auf dem Busbahnhof von Santa Cruz herrscht mittags Hochbetrieb. Lange Reihen von kleinen Stadtbussen schieben sich stockend durch die Gassen. Schulkinder drängeln auf Gehsteigen, Erwachsene eilen vorbei. Im Schatten blauer Plastikplanen warten Straßenverkäufer auf Kundschaft. Radiogedudel, Motorenlärm, Dieselgestank. Dazwischen der Duft von Gebratenem.

Jasmani wartet geduldig vor Bus 105. Er streicht seine rötlich gefärbten Haare aus der Stirn. Ein silberner Ring und ein Freundschaftsband zieren die schlanke Hand. Nachdem der letzte Fahrgast eingestiegen ist, schwingt sich Jasmani hinter den Busfahrer. „Meine sehr verehrten Fahrgäste“, erklingt seine helle Stimme. Das Tuscheln und Kichern lässt nach. Alle lauschen dem freundlichen Jungen, der aufrecht im Gang steht. Er macht einen guten Eindruck mit seinem hellen Jeanshemd und der sauberen Hose. „Ich wünsche Ihnen einen guten Tag und entschuldige mich, dass ich störe.“

Jasmani verkauft Gedichte. Kleine Heftchen über die Liebe oder über Jesus Christus. Verdient pro Stück 1,25 Boliviano. Bei rund 25 Heftchen am Tag macht das – umgerechnet – knapp fünf Euro. Das meiste Geld liefert er bei seiner Mutter ab, die vor ihrem Häuschen in einem Außenbezirk selbst gemachte Hamburger verkauft. Den Vater kennt Jasmani nur vom Foto: „Er wollte mich als Kind mit einem Lappen ersticken. Da ist meine Mutter mit mir abgehauen.“ Früher schwänzte Jasmani oft den Unterricht, um sich und seine Mutter zu ernähren. Seit sechs Jahren geht er vor der Arbeit zur Schule. Nächstes Jahr beendet der 16-Jährige seine Grundschule. „Ich hatte Glück, dass mich ein Freund zu Mi Tai gebracht hat“, sagt er zwischen zwei Busauftritten. „Die Leute kümmern sich um uns und passen auf, dass wir nicht unter die Räder kommen.“

Mi Tai ist ein Projekt für arbeitende Kinder und Jugendliche. „Wir wollen diesen Kindern ein würdevolles Leben ermöglichen“, sagt Martha Estensoro. Die ehrenamtliche Leiterin betreut mit drei Erziehern und einer Praktikantin 320 Kinder zwischen sechs und 17 Jahren. Viele von ihnen finden in dem Projekt, was der Name in der Indianersprache Guarani bedeutet: „Unser Haus“. In dem Gebäude hinter den hohen Mauern fühlen sie sich geborgen. Hier bekommen sie ein preiswertes Essen, hier können sie spielen, ruhen, Probleme besprechen, Freundschaften schließen. Und hier gehen sie zur Schule.

Santa Cruz de la Sierra ist das Wirtschaftszentrum Boliviens. Gut eine Million Menschen – ein Achtel der Gesamtbevölkerung – leben in der Tieflandmetropole. Tendenz: rasant steigend. Santa Cruz zieht vor allem Arme an. Davon hat der Andenstaatgenug. Zwei Drittel der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, in ländlichen Regionen sind es bis zu 95 Prozent. Tausende von ihnen hoffen vergeblich auf ihr großes Glück in Santa Cruz. Die meisten halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, putzen Schuhe oder verkaufen alles Mögliche auf den Straßen. Rund 20.000 von ihnen sind Kinder. Kinderarbeit ist in Bolivien gesetzlich verboten. Schulpflicht besteht für die Dauer von fünf Jahren auf dem Land und von sechs Jahren in der Stadt. Dennoch brechen viele die Schule ab. „Die Mitarbeit der Kinder ist für breite Teile der Bevölkerung lebensnotwendig“, wettert Martha Estensoro. „Das Verbot der Kinderarbeit geht an der Realität völlig vorbei!“

Aus diesem Grund entstand 1996 Mi Tai. „Wir wollen arbeitende Kinder in ihren Rechten stärken, ihre Arbeitsbedingungen verbessern, Berufsperspektiven bieten und gleichzeitig Prävention betreiben“, erklärt Erzieherin Dolly Rivas. Die Ausbildung spielt dabei eine zentrale Rolle. Auch bei Mi Tai besteht Schulpflicht. Wer dreimal fehlt, fliegt raus. Drogenkonsum, Diebstahl oder der Besuch von Spielhöllen sind weitere Gründe.

Dolly Rivas zwängt sich durch das Gewusel der Markthalle Abasto. Hier betreut sie die „carreteros“: Jungen, die für wenig Geld die Einkäufe auf Schubkarren transportieren: Fleisch, Gemüse, Stoffe, Küchenartikel, Eisenwaren. Der Abasto ist ein riesiger Markt mit 3.776 offiziellen Ständen. Dazwischen hocken Indianerfrauen auf Planen und bieten Orangen, Melonen oder Kartoffeln an.

Die Jungs von Mi Tai sind mit ihren grünen Kitteln schon von weitem erkennbar. Dolly grüßt ihre Schubkarrenfahrer, knufft ihnen liebevoll in die Seite. Vor allem den Halbstarken schaut sie eindringlich in die Augen: „Hallo Roberto, kommst du am Sonnabend zur Gesprächsrunde?“ Die Stippvisiten am Arbeitsplatz dienen der Kontrolle, aber auch der Konfliktlösung: „Es gibt immer wieder Probleme mit anderen carreteros, die unsere Jungen erpressen oder bedrohen“, weiß die 30-jährige Erzieherin. „Manchmal bedrohen sie die Jungen sogar mit dem Messer.“

Der 12-jährige Diogenes arbeitet mit seiner Schubkarre seit einem halben Jahr auf dem Markt. Seine Eltern haben ihn an eine Tante abgeschoben. Für sie buckelt er nun zwölf Stunden am Tag, um am Abend 20 Boliviano abzuliefern. Kleinlaut pirscht er sich an Dolly ran. Er kennt die Jungen von Mi Tai und möchte gerne dazugehören. Dolly hört ihm aufmerksam zu, fragt nach und beschließt: „Okay, ich werde sehen, dass ich mit deiner Tante spreche.“ Im Gegensatz zu Straßenkindern haben die Mitglieder von Mi Tai Familienanschluss und schlafen zu Hause. Auch wenn die häusliche Situation schwierig ist.

Viele von ihnen kommen aus kinderreichen Familien. Die Väter haben sich meistens aus dem Staub gemacht. Oder sie trinken und arbeiten selbst als Handlanger für einen Hungerlohn. „Unser Kinder arbeiten auf der Straße“, betont Leiterin Martha Estensoro. „Es sind keine Kinder von der Straße.“ Die Stadt zahlt 12.000 Boliviano im Monat. Das sind theoretisch vier Boliviano Essensgeld täglich für 100 Kinder – umgerechnet rund 65 Cent pro Nase für zwei Mahlzeiten. Doch über Spenden aus der Nachbarschaft und einen geringen Eigenanteil der Kinder verpflegt Mi Tai tatsächlich dreimal so viele Kinder und finanziert außerdem noch einen Zahnarzt. Ein Arzt kommt regelmäßig vorbei, ohne Geld zu verlangen.

Wasser, Strom sowie die Gehälter für Erzieher und Lehrer zahlt die Stadt extra. Für das Gelände hat Mi Tai ein 30-jähriges Wohnrecht. „Zum Glück“, so die Leiterin. „Sonst wären wir schon eingegangen wie viele andere Projekte.“ Die Schulglocke läutet zur Pause. Die Großen stürzen auf den betonierten Innenhof zum Fußballspielen. Viele sind barfuß, einer trägt unterschiedliche Schuhe. Die sengende Mittagshitze macht ihnen nichts aus. Sie rennen, lachen, schnaufen und fluchen. Im Schatten der Backsteinmauern lungern die Erstklässler herum. Kleine Mädchen kämmen sich die Haare. Ihr Kichern hallt unter dem Vorbau der Waschräume wider.

Jasmani schlendert zum Speisesaal. Gleich gibt es Suppe mit Reis und Tee. Danach geht er wieder zum Busbahnhof, Geld verdienen und ein bisschen sparen. Denn Jasmani hofft wie alle Kinder von Mi Tai, dass er eine weiterführende Schule besuchen kann und einen richtigen Beruf ergreifen wird. „Ich möchte gerne wie Dolly als Erzieher arbeiten“, sagt er und geht verträumt zum Essen.

Constanze Bandowski