Mein Sohn, der Stürmer

Warum es nicht so einfach ist, den eigenen Kindern beim Fußball zuzusehen – Beobachtungen bei der Eimsbüttler F-Jugend

(aus Hinz&Kunzt 148/Juli 2005)

„Über links, da ist doch alles frei!“ – „Los, dranbleiben!“ – „Da muss man doch abspielen! Was ist denn mit euch los, Jungs?“

Hausbesuch bei Baby Lynn

Wie die Hinz & Künztler Karin und Thorsten trotz ihrer Drogenabhängigkeit als Familie leben

(aus Hinz&Kunzt 145/März 2005)

„Hauptsache von da weg!“

Ein junger Tschetschene flieht aus seiner Heimat und hofft auf eine Zukunft in Hamburg

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Ausgrenzung und Abschiebung gehören in Deutschland zum Alltag. Insbesondere jugendliche Flüchtlinge haben darunter zu leiden. Konkrete Hilfe und vielleicht die Aussicht auf eine Perspektive bietet in Hamburg der Verein „Woge“.

„Warum sollte er böse sein?“

Wie Kinder Obdachlose sehen – ein Malwettbewerb von Hinz & Kunzt

(aus Hinz&Kunzt 142/Dezember 2004)

Hinz&Kunzt war neugierig darauf, was Kinder von Obdachlosen halten. Deswegen veranstaltete das Straßenmagazin in mehreren Einkaufszentren einen Malwettbewerb. Die Ergebnisse sind im Dezember bei Hinz&Kunzt ausgestellt.

Meine Eltern: Ohne Wohnung

Besuch bei zwei Familien, in den Mutter oder Vater zeitweise obdachlos waren

(aus Hinz&Kunzt 142/Dezember 2004)

Ein halbes Jahr lang lebten Jennifer und Jacquelin bei ihrer Tante. Was sie nicht wussten: Ihre Mutter war in der Zeit obdachlos.

„Holt euch Hilfe!“

Die Geschichte einer Mutter, die ihre Kinder verwahrlosen ließ und heute wieder ein enges Verhältnis zu ihnen hat

(aus Hinz&Kunzt 154/Dezember 2005)

„Wenn ich heute zurückblicke, kann ich nur eins sagen: Etwas Besseres, als dass meine Kinder in die Wohngruppe gekommen sind, konnte gar nicht passieren.“ Bettina kann selbst kaum glauben, dass sie diesen Satz über die Lippen bringt. 42 Jahre ist sie alt, Mutter von Lara (18), Johanna (16) und Benedikt (14). Und heute geht es ihr und den Kindern verhältnismäßig gut.

„Wie ein Zuhause“

Milieunahe Erziehung: In zwei Wohngruppen im Schanzenviertel finden vernachlässigte Kinder Hilfe – und halten trotzdem Kontakt zu ihren Eltern
(aus Hinz&Kunzt 154/Dezember 2005)

„Wir sollten uns nichts vormachen“

Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram über vernachlässigte Kinder und die Perspektivlosigkeit vieler Eltern

(aus Hinz&Kunzt 154/Dezember 2005)

Hinz&Kunzt: Eine Mutter steht morgens nicht auf, das Kind kommt nicht in den Kindergarten, die Post bleibt ungeöffnet liegen: Können Sie sich das vorstellen?

Ein Herz für Kinder

Professor Jochen Weil behandelt junge Patienten mit Herzfehlern

(aus Hinz&Kunzt 135/Mai 2004)

Glaube, Liebe, Hoffnung – wenn es etwas gibt, das alles drei symbolisiert, dann das Herz. Was aber, wenn das Herz kaputt ist? Nicht, weil es zerbrochen oder verloren gegangen ist im Laufe des Lebens, sondern von Beginn an einen Fehler hat? Professor Dr. Jochen Weil leitet die Klinik für Kinderkardiologie am Universitätsklinikum Eppendorf. Ein Ort der Liebe, der Hoffnung und manchmal auch des Glaubens.

Ohne Arbeit geht es nicht

Kinder in Bolivien zwischen Schule und Broterwerb

(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)

Ein Kinderalltag in Bolivien beginnt häufig mit Arbeit und hört mit Arbeit auf. Die Schule kommt dabei meist zu kurz. Nur wenige haben das Glück, beides miteinander vereinbaren zu können. Ein Projekt in der Großstadt Santa Cruz gibt Kindern und Jugendlichen eine Chance, Bildung und Broterwerb miteinander zu vereinbaren.

Auf dem Busbahnhof von Santa Cruz herrscht mittags Hochbetrieb. Lange Reihen von kleinen Stadtbussen schieben sich stockend durch die Gassen. Schulkinder drängeln auf Gehsteigen, Erwachsene eilen vorbei. Im Schatten blauer Plastikplanen warten Straßenverkäufer auf Kundschaft. Radiogedudel, Motorenlärm, Dieselgestank. Dazwischen der Duft von Gebratenem.

Jasmani wartet geduldig vor Bus 105. Er streicht seine rötlich gefärbten Haare aus der Stirn. Ein silberner Ring und ein Freundschaftsband zieren die schlanke Hand. Nachdem der letzte Fahrgast eingestiegen ist, schwingt sich Jasmani hinter den Busfahrer. „Meine sehr verehrten Fahrgäste“, erklingt seine helle Stimme. Das Tuscheln und Kichern lässt nach. Alle lauschen dem freundlichen Jungen, der aufrecht im Gang steht. Er macht einen guten Eindruck mit seinem hellen Jeanshemd und der sauberen Hose. „Ich wünsche Ihnen einen guten Tag und entschuldige mich, dass ich störe.“

Jasmani verkauft Gedichte. Kleine Heftchen über die Liebe oder über Jesus Christus. Verdient pro Stück 1,25 Boliviano. Bei rund 25 Heftchen am Tag macht das – umgerechnet – knapp fünf Euro. Das meiste Geld liefert er bei seiner Mutter ab, die vor ihrem Häuschen in einem Außenbezirk selbst gemachte Hamburger verkauft. Den Vater kennt Jasmani nur vom Foto: „Er wollte mich als Kind mit einem Lappen ersticken. Da ist meine Mutter mit mir abgehauen.“ Früher schwänzte Jasmani oft den Unterricht, um sich und seine Mutter zu ernähren. Seit sechs Jahren geht er vor der Arbeit zur Schule. Nächstes Jahr beendet der 16-Jährige seine Grundschule. „Ich hatte Glück, dass mich ein Freund zu Mi Tai gebracht hat“, sagt er zwischen zwei Busauftritten. „Die Leute kümmern sich um uns und passen auf, dass wir nicht unter die Räder kommen.“

Mi Tai ist ein Projekt für arbeitende Kinder und Jugendliche. „Wir wollen diesen Kindern ein würdevolles Leben ermöglichen“, sagt Martha Estensoro. Die ehrenamtliche Leiterin betreut mit drei Erziehern und einer Praktikantin 320 Kinder zwischen sechs und 17 Jahren. Viele von ihnen finden in dem Projekt, was der Name in der Indianersprache Guarani bedeutet: „Unser Haus“. In dem Gebäude hinter den hohen Mauern fühlen sie sich geborgen. Hier bekommen sie ein preiswertes Essen, hier können sie spielen, ruhen, Probleme besprechen, Freundschaften schließen. Und hier gehen sie zur Schule.

Santa Cruz de la Sierra ist das Wirtschaftszentrum Boliviens. Gut eine Million Menschen – ein Achtel der Gesamtbevölkerung – leben in der Tieflandmetropole. Tendenz: rasant steigend. Santa Cruz zieht vor allem Arme an. Davon hat der Andenstaatgenug. Zwei Drittel der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, in ländlichen Regionen sind es bis zu 95 Prozent. Tausende von ihnen hoffen vergeblich auf ihr großes Glück in Santa Cruz. Die meisten halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, putzen Schuhe oder verkaufen alles Mögliche auf den Straßen. Rund 20.000 von ihnen sind Kinder. Kinderarbeit ist in Bolivien gesetzlich verboten. Schulpflicht besteht für die Dauer von fünf Jahren auf dem Land und von sechs Jahren in der Stadt. Dennoch brechen viele die Schule ab. „Die Mitarbeit der Kinder ist für breite Teile der Bevölkerung lebensnotwendig“, wettert Martha Estensoro. „Das Verbot der Kinderarbeit geht an der Realität völlig vorbei!“

Aus diesem Grund entstand 1996 Mi Tai. „Wir wollen arbeitende Kinder in ihren Rechten stärken, ihre Arbeitsbedingungen verbessern, Berufsperspektiven bieten und gleichzeitig Prävention betreiben“, erklärt Erzieherin Dolly Rivas. Die Ausbildung spielt dabei eine zentrale Rolle. Auch bei Mi Tai besteht Schulpflicht. Wer dreimal fehlt, fliegt raus. Drogenkonsum, Diebstahl oder der Besuch von Spielhöllen sind weitere Gründe.

Dolly Rivas zwängt sich durch das Gewusel der Markthalle Abasto. Hier betreut sie die „carreteros“: Jungen, die für wenig Geld die Einkäufe auf Schubkarren transportieren: Fleisch, Gemüse, Stoffe, Küchenartikel, Eisenwaren. Der Abasto ist ein riesiger Markt mit 3.776 offiziellen Ständen. Dazwischen hocken Indianerfrauen auf Planen und bieten Orangen, Melonen oder Kartoffeln an.

Die Jungs von Mi Tai sind mit ihren grünen Kitteln schon von weitem erkennbar. Dolly grüßt ihre Schubkarrenfahrer, knufft ihnen liebevoll in die Seite. Vor allem den Halbstarken schaut sie eindringlich in die Augen: „Hallo Roberto, kommst du am Sonnabend zur Gesprächsrunde?“ Die Stippvisiten am Arbeitsplatz dienen der Kontrolle, aber auch der Konfliktlösung: „Es gibt immer wieder Probleme mit anderen carreteros, die unsere Jungen erpressen oder bedrohen“, weiß die 30-jährige Erzieherin. „Manchmal bedrohen sie die Jungen sogar mit dem Messer.“

Der 12-jährige Diogenes arbeitet mit seiner Schubkarre seit einem halben Jahr auf dem Markt. Seine Eltern haben ihn an eine Tante abgeschoben. Für sie buckelt er nun zwölf Stunden am Tag, um am Abend 20 Boliviano abzuliefern. Kleinlaut pirscht er sich an Dolly ran. Er kennt die Jungen von Mi Tai und möchte gerne dazugehören. Dolly hört ihm aufmerksam zu, fragt nach und beschließt: „Okay, ich werde sehen, dass ich mit deiner Tante spreche.“ Im Gegensatz zu Straßenkindern haben die Mitglieder von Mi Tai Familienanschluss und schlafen zu Hause. Auch wenn die häusliche Situation schwierig ist.

Viele von ihnen kommen aus kinderreichen Familien. Die Väter haben sich meistens aus dem Staub gemacht. Oder sie trinken und arbeiten selbst als Handlanger für einen Hungerlohn. „Unser Kinder arbeiten auf der Straße“, betont Leiterin Martha Estensoro. „Es sind keine Kinder von der Straße.“ Die Stadt zahlt 12.000 Boliviano im Monat. Das sind theoretisch vier Boliviano Essensgeld täglich für 100 Kinder – umgerechnet rund 65 Cent pro Nase für zwei Mahlzeiten. Doch über Spenden aus der Nachbarschaft und einen geringen Eigenanteil der Kinder verpflegt Mi Tai tatsächlich dreimal so viele Kinder und finanziert außerdem noch einen Zahnarzt. Ein Arzt kommt regelmäßig vorbei, ohne Geld zu verlangen.

Wasser, Strom sowie die Gehälter für Erzieher und Lehrer zahlt die Stadt extra. Für das Gelände hat Mi Tai ein 30-jähriges Wohnrecht. „Zum Glück“, so die Leiterin. „Sonst wären wir schon eingegangen wie viele andere Projekte.“ Die Schulglocke läutet zur Pause. Die Großen stürzen auf den betonierten Innenhof zum Fußballspielen. Viele sind barfuß, einer trägt unterschiedliche Schuhe. Die sengende Mittagshitze macht ihnen nichts aus. Sie rennen, lachen, schnaufen und fluchen. Im Schatten der Backsteinmauern lungern die Erstklässler herum. Kleine Mädchen kämmen sich die Haare. Ihr Kichern hallt unter dem Vorbau der Waschräume wider.

Jasmani schlendert zum Speisesaal. Gleich gibt es Suppe mit Reis und Tee. Danach geht er wieder zum Busbahnhof, Geld verdienen und ein bisschen sparen. Denn Jasmani hofft wie alle Kinder von Mi Tai, dass er eine weiterführende Schule besuchen kann und einen richtigen Beruf ergreifen wird. „Ich möchte gerne wie Dolly als Erzieher arbeiten“, sagt er und geht verträumt zum Essen.

Constanze Bandowski