Kinderschutz nach Jessica

Was sich in Hamburg seit 2005 geändert hat

(aus Hinz&Kunzt 179/Januar 2008)

Immer wieder schockieren Fälle von Kindesmisshandlung. Seit dem Tod der siebenjährigen Jessica versucht der Hamburger Senat mit unterschiedlichen Maßnahmen, derartiges zu verhindern.

Wochenlang beschäftigten die grausamen Details im Fall Jessica Hamburg. Am 1. März 2005 fand die Polizei das siebenjährige Mädchen in einer Hochhaussiedlung in Jenfeld. Jessica war über Wochen verhungert. Bei seinem Tod wog das Mädchen nur noch neun Kilogramm. Die Eltern, die später wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, hatten das Kind in einem abgedunkelten Zimmer eingesperrt.

Unterwegs mit Plattenbau-Kids

Filmemacherin Astrid Schult drehte eine Dokumentation über Kinder in Berlin-Hellersdorf.

(aus Hinz&Kunzt 179/Januar 2008)

Der achtjährige Dominik lebt in einer Berliner Plattenbausiedlung. Seine Mutter zieht ihn und seine beiden jüngeren Geschwister alleine groß. Dominik ist gezwungen, das Leben eines Erwachsenen zu leben. Filmemacherin Astrid Schult begleitete Dominik für ihren Film „Zirkus is nich“.

Die Kinder sind dann mal weg

Frau T. wurden die Kinder weggenommen, sie will sie wiederhaben, aber das ist gar nicht so leicht. Frank Keil hat die Geschichte aus ihrer Sicht aufgeschrieben

(aus Hinz&Kunzt 190/Dezember 2008)

Am Anfang hat sie immer geweint. Nicht vor den Kindern! Da hat sie sich immer zusammengerissen. Sondern auf dem Weg vom Kinderheim nach Hause. Frau T. sagt: „Ich wusste ja, ich sehe meine Kinder erst in drei Wochen wieder; vorher nicht.“ Frau T.s beiden jüngsten Kinder Robin (5) (Namen der Kinder geändert, die Red.) und Marvin (4) sind seit 13 Monaten in einem Kinderheim in einer Familiengruppe untergebracht.

Wie ein Traum

Seit 15 Jahren können Kinder und Jugendliche in der Zirkusschule Mignon Manegenluft schnuppern

(aus Hinz&Kunzt 170/April 2007)

Die 14-jährige Elisabeth Dauer schreitet in die Mitte der Eingangshalle. Früher war in der alten Villa in Iserbrook die Japanische Schule untergebracht. Wo früher vielleicht der Direktor Ansprachen hielt, hängt jetzt ein Ring an einem stabilen Seil von der Decke. Elisabeth greift mit beiden Händen zu, stößt sich vom Marmorboden ab, zieht sich hoch und schlingt ihre Beine um den Ring. Hängt kopfüber, schlängelt sich dann im Rhythmus der Musik nach oben.

Familien unter Druck

Wie Armut Eltern und Kindern zusetzt – Spurensuche in einer Beratungsstelle und in einer Kita

(aus Hinz&Kunzt 171/Mai 2007)

Kindererziehung ist schon unter normalen Bedingungen schwierig. Aber bei Familien mit zu kleinen Wohnungen, wenig Geld und kaum Perspektiven sind Probleme meist programmiert. Ein Besuch in der Kita Scheplerstraße und in der Erziehungsberatungsstelle Virchowstraße.

„Kommen die ins Museum?“

Kleckern und klotzen: Im Schanzenpark bauen Kinder und Erwachsene zwei Wochen lang Skulpturen und Gebäude aus Lehm

(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)

Noch leuchtet Carlottas Pullover in schönstem Rosa. Die dunkelblonden Haare der Achtjährigen sind zu einem ordentlichen Zopf gebunden, richtig schick sieht sie aus. Aber nicht mehr lange. Carlotta freut’s: „Ich mache mich gerne dreckig“, sagt sie fröhlich. Heute steht das Schmutzigwerden für Carlotta und die anderen Kinder der Klasse 3a von der Grundschule Sanderstraße auf dem Stundenplan. Denn die 3a ist eine der Gruppen, die sich für die neuntägige Baukunstaktion „Lehmbauten“ des Vereins Bunte Kuh angemeldet hat.

Olegs letzte Chance

Grimme-Preisträger Michael Richter drehte einen Film über Jungs in einem geschlossenen Heim. In Hinz&Kunzt berichtet er von seinen Erfahrungen vor Ort

(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)

Oleg daddelt am Tischkicker. Es ist Sonntagnachmittag und die Langeweile ist mit Händen zu greifen. Seine Pupillen verraten mir, dass er irgendwie wieder an Drogen gekommen sein muss. Gras oder Pillen, wahrscheinlich. Dabei herrscht im Martinistift strenges Drogenverbot. Oleg ist erst 13, aber er hat schon viele Jahre in Heimen verbracht. Erst in Sibirien, der Heimat seiner Eltern, später in Deutschland. Seine Großmutter hat ihn mit sechs Jahren nach Deutschland geholt, zusammen mit seiner Schwester. In die Schule ist er kaum gegangen, mit neun hat er angefangen, Drogen zu nehmen. Er war immer mit Älteren zusammen, da war das normal.

„Lasst die Kinder nicht im Stich!“

Hamburgs Ganztagsschulen werden kaputt gespart. Besonders betroffen sind die ärmeren Stadtteile

(aus Hinz&Kunzt 161/Juli 2006)

Ausgerechnet bei den ganztägigen Förder-, Grund- und Hauptschulen in den Problemvierteln wird der Rotstift angesetzt. Sie sollen bis 2008 rund 60 Prozent bei ihrem pädagogischen Mehrbedarf einsparen, damit mehr Gymnasien in Ganztagsschulen umgewandelt werden können. Die Chancengleichheit bleibt auf der Strecke.

Kommt ja gar nicht in die Tüte!

Asli, Tom und Leon testen für Hinz&Kunzt, Abc-Schützen und andere Kids

(aus Hinz&Kunzt 162/August 2006)

Schokolade, Wackelpudding und Kaugummi essen Asli (8), Tom (10) und Leon (8) am liebsten. Mit Süßigkeiten kennen sie sich aus. Für Hinz&Kunzt vergleichen sie zwei Schultüten, eine gefüllt mit Produkten aus fairem Handel, die andere mit herkömmlichen Süßigkeiten und Spielzeug.

Brücke zu den Sternen

Hamburgs Kinder-Hospiz – ein Ort, um in Würde Abschied zu nehmen

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

In Hamburg gibt es einen Ort, an dem Kinder und Jugendliche, die unheilbar krank sind, in Frieden sterben können: das Kinder-Hospiz Sternenbrücke. Dass dort nicht nur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung herrschen, habe ich bei einem Besuch selbst erlebt.

Der Verein wurde 1999 gegründet, das Haus 2003 eröffnet. Schwerkranke Kinder, die eine begrenzte Lebenserwartung haben, können dort mit ihren Familien die letzten Tage verbringen oder auch „Urlaub vom Krankenhaus“ machen.

Zu Hause können die Kinder aus medizinischen Gründen meist nicht mehr gepflegt werden, oft gibt es auch noch Geschwister-kinder, die versorgt werden müssen. Und ein Aufenthalt im Krankenhaus ist weder für die Kinder noch für die Angehörigen schön: weiße Wände, Hektik, das Ziel, Leben auch um den Preis der Würde zu erhalten, und das ständige Gefühl, nicht da zu sein, wo das Leben spielt, machen ein würdevolles Sterben und Abschiednehmen fast unmöglich. Allerdings ist gerade das wichtig für die Angehörigen, um irgendwann weitermachen zu können.

Das Kinder-Hospiz ist anders: Schon die Umgebung der alten Villa im Hamburger Westen, die komplett umgebaut und liebevoll eingerichtet ist, strahlt Ruhe aus. Zwischen hohen alten Bäumen in einem Park steht das große, weiße Gebäude. Zum Interview-Termin werden wir nett begrüßt. Am Eingang fallen gleich die Sterne mit Namen auf, die an die Wand gemalt sind. Es sind die Namen der jungen Patienten, die hier schon einmal zu Besuch waren. Die Wände und die Einrichtung sind ganz in warmem Gelb und Blau gehalten. Nichts lässt hier an Krankenhaus denken.

Wir sprechen mit Uwe Sanneck, Trauerbegleiter, Pädagoge und Gründungsmitglied des Fördervereins Sternenbrücke. Alle, die im Hospiz arbeiten, müssen sich vorher in einem Kurs darauf vorbereiten, erklärt Sanneck. Um die Erlebnisse zu verarbeiten und auch um die Angehörigen möglichst gut unterstützen zu können, dürften sie ihre Trauer, ihre Gefühle niemals verstecken oder herunterschlucken. Denn „jede nicht geweinte Träne schlingt sich um das Herz, und irgendwann zerplatzt es“, sagt Sanneck.

Das ist einer der wichtigsten Grundsätze des Kinder-Hospizes: helfen durch Offenheit und Gespräche. Denn, wie Sanneck sagt, der Abschied von einem geliebten Menschen könne nicht erleichtert, er könne nur ermöglicht und „gelebt“ werden. Es soll den Hinterbliebenen gezeigt werden, dass sie die Erinnerung an ihr Kind und an den Tod ihres Kindes nicht loslassen, sondern in ihr weiteres Leben integrieren müssen. Er spricht vom „Brücken bauen“, Brücken zu Abschied, Trauer oder tiefer Verzweiflung. Man merkt, dass er nicht nur davon spricht, sondern es tut, hier in der Sternenbrücke.

Im Hospiz sollen die Patienten, hier die Kinder und Jugendlichen, in Würde sterben. Für Uwe Sanneck bedeutet Würde: „bewusst“ sterben, sich nicht vor dem Tod verstecken. Die Patienten sollen möglichst schmerzfrei sterben, und man tut alles dafür, dass die Sterbenden über das, was für sie wichtig ist, bestimmen können und Dinge und Menschen um sich haben, die ihnen lieb sind.

Beim Rundgang durch das Gebäude ist es schon dunkel und das ganze Haus still. Die Zimmer der Kinder sind um einen großen Innenhof angeordnet, der von großen bunten Leuchtkugeln erhellt ist. So entsteht eine Atmosphäre der Zusammengehörigkeit und Ruhe.

Eines der Zimmer gehört David Rudolph. Er ist zehn und leidet an einer Stoffwechselkrankheit. Er kann nicht mehr sehen und nicht mehr sprechen, doch er nimmt seine Umgebung über Geräusche, Gerüche und Berührungen trotzdem genau wahr. Seine Mutter wohnt nicht mit im Kinder-Hospiz, da sie hochschwan-ger ist. Prinzipiell gibt es aber auch Platz für die Familien der jungen Patienten.

Für Eltern ist es der größte Albtraum, gesagt zu bekommen, dass ihr Kind in absehbarer Zeit sterben wird. Solch eine Nachricht zerrüttet die ganze Familienstruktur. Und die Fragen nach dem „Warum“ kann keiner beantworten. Die Menschen reagieren schockiert, hilflos und meist auch wütend auf Gott oder das Schicksal.

Auch für Angehörige, Bekannte und Freunde ist die Situation nicht leicht. Wie soll man mit jemandem umgehen, der weiß, dass er nicht mehr die Möglichkeit hat, sein Leben nach seiner Vorstellung zu gestalten? Doch der Tod eines Kindes, so Sanneck, sei immer auch eine Botschaft. Das Leben der Angehörigen bekommt eine ganz neue Bedeutung, die Wertvorstellungen ändern sich. Auf einmal ist es nicht mehr so wichtig, materiellen Reichtum zu besitzen. Es wird wichtiger, sein Leben zu genießen und sich seines Wertes bewusst zu sein.

Lea Frehse