Freiheit: Jugendliche machen Hinz & Kunzt!

(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)

Wahnsinn! Eine ganze Ausgabe nur für uns! Die Idee, eine Hinz&Kunzt herauszubringen, die nur von Jugendlichen gestaltet werden sollte, mussten wir einfach wieder aufgreifen. Genau vor einem Jahr hatte es die erste Ausgabe dieser Art gegeben.

Gedacht, gesagt, getan. Ende September ging es los. Wir beiden Zivis hatten freie Hand – und übernahmen kommissarisch die Chefredaktion. Erst mal mussten wir Leute finden, die Lust hatten, mitzuschreiben. Wir terrorisierten Hamburgs Bildungsinstitutionen mit Briefen, E-Mails und Telefonaten und mobilisierten zusätzlich unseren Freundeskreis.

Dann hieß es auf das erste Treffen warten. Ständigschwankten wir zwischen der Sorge, es könnten zu wenige da sein, und der Befürchtung, man würde uns die Bude einrennen.

Ende Oktober drängten sich dann 13 Jugendliche zwischen 17 und 22 Jahren im Besprechungsraum! Schüler, Zivis, Studentinnen und jemand, der gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr macht. Ein Haufen ziemlich netter Leute, wie wir schnell feststellten. Kathi, Jana Jungclaus und Philipp, wir waren sogar Wiederholungstäter aus dem letzten Jahr.

Nach dem ersten Treffen waren wir völlig euphorisch: Freiheit sollte, nein musste das Thema sein! Anders als in der letzten Jugendausgabe: Musik und Kunst spielten eine zentrale Rolle. Außerdem wollten wir auch den aktuellen Teil selbst schreiben. Na ja, ganz durchgehalten haben wir’s nicht. Ein paar Meldungen musste die alte Redaktion beisteuern.

Dann die Ernüchterung: Die Unmengen an Artikelvorschlägen ließen sich nicht in ein Heft von 48 Seiten quetschen. Da fühlte es sich schon ein bisschen komisch an, plötzlich in der Rolle des „Chefs“ zu stecken und Artikel rausschmeißen zu müssen. Gott sei Dank waren wir zu zweit! Wenn der eine mal überfordert war, sprang der andere in die Bresche.

Weniger einschränken ließ sich der Verlauf der Sitzungen. Nach den Treffen mussten wir regelmäßig feststellen, dass unsere Tagesordnung wieder einmal gesprengt worden war. Die kontroversen Diskussionen brauchten einfach mehr Raum.

Mit Sonja Schäfer und Tobias Indermühle hatten wir neben unserem Hausfotografen Mauricio Bustamante zwei junge Fotografen dabei, die uns tolle Bilder zum Thema lieferten. Richtig spannend wurde es, als die fertigen Artikel bei uns eintrafen. Jetzt zeigte sich schwarz auf weiß, was bisher nur Ideen gewesen waren.

Endlich halten wir die fertige Jugendausgabe in den Händen. Sicherlich nicht die letzte!

Philipp Ratfisch und Jan-Malte Ambs

Kahlschlag bei Azubis

Behörde will Plätze für benachteiligte Jugendliche kappen

(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)

Ausbildungsplätze sind rar. Doch die Behörde für Bildung und Sport will die Zahl außerbetrieblicher Lehrstellen in der Jugendberufshilfe drastisch abbauen. Bis 2006 sollen etwa die Hälfte der derzeit 400 Plätze gestrichen werden. Außerdem plant die Behörde, die Zuwendungen pro Ausbildungsplatz um mehr als ein Drittel zu kürzen. Stattdessen will die Stadt vermehrt berufsvorbereitende Maßnahmen fördern, die maximal zwei Jahre dauern und kostengünstiger sind. Auch so genannte „Ausbildungskooperativen“, bei denen Jugendliche in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes betreut werden, sollen ausgeweitet werden.

Stark betroffen von der Umstellung sind die „autonomen jugendwerkstätten hamburg“ (ajw). Sie bieten Ausbildungsplätze für sozial benachteiligte Jugendliche, denen der Schulabschluss fehlt, die eine Drogenkarriere hinter sich haben oder deren Eltern Alkoholiker sind. Solche Jugendlichen haben meist keine Chance auf eine Lehrstelle in gewöhnlichen Betrieben – und sie brauchen Unterstützung. Bei den ajw steht deshalb neben einer qualitativ guten Ausbildung auch die soziale Festigung der Jugendlichen im Vordergrund.

In den kleinen, familiär gehaltenen Werkstätten kümmern sich jeweils zwei Handwerker und ein Pädagoge um sie. 100 Ausbildungsplätze bieten die ajw an – noch. Dem Plan der Behörde zufolge sollen in drei Jahren nur noch 50 übrig sein. Die anderen 50 werden voraussichtlich in berufsvorbereitende Maßnahmen umgewandelt.

„Wenn die Pläne umgesetzt werden, verdient die Jugendberufshilfe ihren Namen nicht mehr“, empört sich ajw-Geschäftsführerin Gisela Wald. Eine Stabilisierung der Jugendlichen innerhalb von drei Jahren werde nicht mehr möglich sein, da der Betreuungsschlüssel durch die Kürzungen dras-tisch verschlechtert werde. „Wir werden wahrscheinlich fünf unserer acht Werkstätten schließen müssen“, so Wald.

Der Leiter des Amtes für Berufliche Bildung und Weiterbildung, Achim Meyer auf der Heyde, begründet die Kürzungen mit der „angespannten ökonomischen Lage“. Die Umschichtungen zielten auf eine stärkere Betriebsnähe, wie es auch die Hartz-Kommission angeregt habe, so der Leiter. „Außerdem werden durch die Umschichtungen 230 Jugendliche mehr gefördert als bisher“, so Meyer auf der Heyde.

In den Ohren von Gisela Wald klingt das zynisch. Viele der Auszubildenden bei den ajw hätten bereits berufsvorbereitende Maßnahmen hinter sich, sagt die Geschäftsführerin. „Sie sind bei uns, weil sie auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Ausbildungsplatz bekommen haben.“ Sie fürchtet, dass diese Jugendlichen vollständig aus dem Hilfesystem herausfallen könnten. „Die Folgekosten für die Gemeinschaft“, so Wald, „sind höher als die für die Jugendberufshilfe.“

Philipp Ratfisch

Schafe, Seebären, 1000 Steine

Die drei ungewöhnlichsten Dienststellen für Zividienst und das Freiwillige Soziale Jahr

(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)

Es ist heiß an Bord, wahnsinnig heiß. Der Boden in dem kleinen, in gelb und braun gehaltenen Raucherzimmer scheint leicht schräg zu sein. An der Wand hängt eine vergilbte Weltkarte. Die Sowjetunion ist zu sehen, Deutschland ist noch geteilt. Die umlaufenden, mit khakifarbenem Stoff überzogenen Couchen sind durchgesessen. Auf dem niedrigen Tisch liegt ein abgegriffenes Backgammon-Spiel. Annika Kämling zeigt den vereinzelt hereinkommenden russischen Seeleuten eine Broschüre vom Hamburger Seemannsclub „Duckdalben“ und beantwortet geduldig die in schlechtem Englisch vorgetragenen Fragen.

Es ist ihr erster Schiffsbesuch an diesem Tag. Der etwas schäbig aussehende russische Öltanker hatte gleich ihre Neugier geweckt. Ob man im Seemannsclub Telefonkarten kaufen könne oder wie dort der Wechselkurs des Dollars sei, fragen die Matrosen. Einer bietet an, uns das Schiff zu zeigen. Unsere Fotografin Sonja und ich folgen gespannt. Mehr als eine halbe Stunde später, nachdem wir – kindlich begeistert – durch die Kombüse und den Maschinenraum bis hoch zur Brücke geführt worden sind, kommen schließlich fünf Seeleute mit in den Kleinbus, der uns zum „Duckdalben“ bringt.

Die persönliche Entscheidung für den Zivildienst und ganz besonders für ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr hängt stark von der Attraktivität der Dienststelle ab. Wirklich ungewöhnliche, fast schon exotische Dienststellen sind selbst in Hamburg schwer zu finden. Aber es gibt sie.

Annika hat die Entscheidung, beim „International Seamen’s Club Duckdalben“ ihr Soziales Jahr zu machen, nicht bereut. Im Gegenteil: „Ich würde am liebsten mein ganzes Leben dort arbeiten“, sagt das Mädchen mit den roten Haaren voller Überzeugung. Seeleute aller Nationen, vor allem Filipinos, Chinesen, Inder und Ägypter, nutzen die kurze Zeit ihres Hafenaufenthalts, um im Seemannsclub zu entspannen.

Die Besucher erwartet ein breit gefächertes Angebot an Freizeitmöglichkeiten: vom obligatorischen Clubraum mit Bier- und Kaffeetresen über Tischtennis, Billard und Kicker, Möglichkeiten zum weltweiten Telefonieren bis hin zur internationalen Bibliothek und einem multireligiösen Andachtsraum ist fast alles dabei. Das Schönste an ihrer Arbeit sei, sagt Annika, sich mit so vielen unterschiedlichen Menschen austauschen zu können und die unterschiedlichen Meinungen über das Leben mitzubekommen. Vier Heiratsanträge von gestandenen Seebären hat die 20-Jährige auch schon erhalten: „Aber die fahren in den nächsten Hafen und erzählen dem erstbesten Mädchen das gleiche.“

Szenenwechsel. Johannes Schley steht mit einem Eimer voll Futter mitten auf einer grünen Wiese. Umringt von Dörthe, Mollie und Maxi. Insgesamt sind es acht Schafe, präzise gesagt acht rauwollige Pommersche Landschafe, die sich noch etwas scheu um ihre morgendliche Essensration drängeln. Johannes wollte seinen Zivildienst auf jeden Fall draußen verbringen. Die wenigen Zivildienststellen im Umweltschutz waren bereits vergeben, und so entschied er sich für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) beim Umweltzentrum Karlshöhe. Zu seinen Schützlingen gehören neben den Schafen noch zwei Ziegen, 17 Hühner und zwei Gänse. Im März kommen dann noch ein paar Lämmer dazu, wahrscheinlich sechs. „Und die Ziege ist auch schon ganz eckig“, zeigt Johannes.

Man müsse sich dreckig machen können, dürfe keine Angst vor Tieren haben, gerne mit Kindern arbeiten und eine Vorliebe fürs Handwerkliche haben. Dies sind die wichtigsten Voraussetzungen für seine Arbeit, meint Johannes. Im Sommer macht er pro Woche drei bis vier Führungen für Kinder. „Das sind immer mehr als 20 kleine Männchen. Auf die muss man gut eingehen können“, sagt er. Kardieren, Filzen, Weben, Spinnen und Färben der eigenen Schafswolle sind typische Beschäftigungen, die der FÖJler zusammen mit Schulklassen macht. Sich selbst hat er bereits einen stilechten Schäferhut gefilzt. Bis zum Ende seiner Dienstzeit will er eine komplette Schäfergarderobe für sich geschneidert haben.

Zurück in die Stadt. Erst nachts um 1.30 Uhr Feierabend zu haben, ist für Sasha Hoferichter nichts Ungewöhnliches. Den Freitagabend verbringt er meist auf Rockkonzerten, bei Breakdance-Acts oder Hip-Hop-Jams – und das beruflich. Sasha ist Zivildienstleistender beim Jugendmusikzentrum „Trockendock“, das zum Verein „Lass 1000 Steine rollen!“ gehört. Wir finden Sasha hinterm Tresen des hauseigenen Cafés. An der Wand hängt unübersehbar der Hinweis, dass kein Alkohol ausgeschenkt wird. „Rock statt Drogen“ ist das Motto von „Lass tausend Steine rollen!“, und der Erfolg des Projekts zeigt, dass sich junge Leute durchaus darauf einlassen. Das Trockendock bietet den 15- bis 25-jährigen Besuchern neben den regelmäßigen Veranstaltungen Übungsräume für Bands, günstigen Unterricht an diversen Instrumenten und offene Angebote wie DJ-Training oder Freestyle-Rap.

Für Sasha, der selber Gitarre spielt, ist die Zivi-Stelle ein Glücksgriff. Durch den Austausch mit den jungen Musikern und – in seiner Freizeit – die Beteiligung in den unterschiedlichsten Bands entwickele er sich musikalisch ständig fort. „Ich spiele jetzt auch Schlagzeug in einer Band“, erzählt er begeistert, „und das bringt einen natürlich voran, wenn man mal was ganz anderes macht.“ Gerade habe er auch bei einer Reggae-Formation mitgespielt und damit in ein Genre hineingeschnuppert, das ihm vorher unbekannt war.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass man sich auf höchst unterschiedliche Art sozial engagieren kann. Eins haben die drei Stellen dennoch gemeinsam: Sie brauchen alle noch einen Nachfolger. Schade, dass man nicht gleich alle drei nacheinander machen kann…

Jan-Malte Ambs

Apfel ist nicht gleich Apfel

Von wegen Chancengleichheit: In der Vorschule zeigt sich, wer zu Hause gefördert wird

(aus Hinz&Kunzt 121/März 2003 – Die Jugendausgabe)

Ein Apfel ist rund, fast wie ein Kreis. Er ist rot, manchmal auch etwas grün und gelb, und er hat einen Stiel. Das weiß auch Isabel. Schließlich ist sie sechs Jahre alt und hat schon oft einen Apfel in der Hand gehabt. Sie nimmt ihre Stifte aus der Ablage unter ihrem Tisch und betrachtet etwas hilflos und skeptisch das vor ihr liegende Arbeitsblatt. Es ist neun Uhr morgens, ein ganz gewöhnlicher Tag in einer Vorschule mit ganz ganz gewöhnlichen Kindern, in einem privilegierten Stadtteil Hamburgs.

Ein Blick zum Nachbarn hilft Isabel auf die Sprünge: Konzentriert verbindet sie die eng zusammenstehenden Punkte miteinander. Die Verbindungslinie wird etwas krumm und schief. Aber nach einem prüfenden Blick sieht Isabel recht zufrieden aus. Als sie fertig ist, staunt Isabel nicht schlecht: Die zittrigen Umrisse eines Apfels liegen vor ihr. Ganz erfreut über das Ergebnis beginnt sie mit dem Ausmalen. Ein bisschen Rosa hierhin, dann noch etwas Lila, und natürlich darf auch Gold auf keinen Fall fehlen. Dass am Schluss das gesamte Blatt und nicht nur der Apfel ausgemalt ist, stört Isabel überhaupt nicht.

Auch Tine macht sich an das Arbeitsblatt mit dem Apfel. Sie verbindet sorgfältig die Punkte miteinander, sodass eine gleichmäßige Kontur eines Apfels entsteht. Dann überlegt sie sich, welche Farben sie verwenden möchte und nimmt sie aus dem Kasten. Tine malt nicht über den Rand. Sie lässt rot, grün und gelb ineinander fließen und lässt einen Apfel entstehen, der fast schon plastisch wirkt.

„Schon jetzt stelle ich fest, welch ungleiche Voraussetzungen die Kinder von zu Hause mitbringen“, sagt Elisabeth Hoffmann, die seit fünf Jahren als Sozialpädagogin in Vorschulen tätig ist. „Schließlich haben die Kinder schon mindestens fünf Jahre ihres Lebens hinter sich“, sagt Hoffmann, „und je nachdem, wie die Eltern sich kümmern, ist in der Zeit schon unheimlich viel an Entwicklung gelaufen.“ Deshalb sieht die 39-jährige Vorschullehrerin es als Aufgabe der Vorschule an, Ungleichheiten entgegenzuwirken.

Bevor Hoffmann ihren Dienst in dieser Vorschule antrat, arbeitete sie ausschließlich in den sozialen Brennpunkten Hamburgs. Dass sie in einem privilegierten Stadtteil unter ganz anderen Voraussetzungen arbeiten würde, war ihr klar: In den Brennpunkten kamen Kinder ohne Frühstück in die Vorschule, „ungewaschen und verwahrlost“. Deshalb wundert es Hoffmann auch nicht, wie „ungleich die Chancen auf eine gute Entwicklung und erfolgreiche Zukunft in unserer Gesellschaft sind“. Sie konnte beobachten, wie viele Kinder schon im harten Kampf des Lebens standen: „Wenn Kinder morgens ihre Eltern wecken müssen, mit fünf Jahren alleine zur Vorschule kommen, dann bleibt kein Raum, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.“

In ihrer jetzigen Wirkungsstätte sehe das ganz anders aus, „die materiellen Grundbedürfnisse sind in diesem Stadtteil auf jeden Fall gedeckt“, beobachtet Hoffmann. Dafür fehle es in den Familien aber manchmal an Zeit und Ansprache.

Justus kommt immer sehr früh in die Vorschule. Oft sitzt er schon alleine auf den Bänken im Vorraum, lange bevor jemand da ist. Justus sieht nicht fröhlich aus. Seine Augen gucken müde zur Treppe, er wartet auf die Vorschullehrerin. Justus hat noch Straßenschuhe und seine Jacke an, denn seine Eltern hatten keine Zeit, ihm beim Ausziehen zu helfen. Vielleicht haben sie ihn nicht einmal bis in den ersten Stock gebracht, sondern unten vor dem Haupteingang verabschiedet. Eigentlich weiß Justus, dass er seine Jacke aus- und seine Hausschuhe anziehen soll, wenn er in die Vorschule kommt, aber weil er noch so müde ist, vergisst er das immer wieder. Wenn dann Elisabeth Hoffmann die Treppe heraufkommt, wartet Justus oft schon eine halbe Stunde darauf, ihr etwas erzählen zu können.

Justus’ Haare sind nicht gekämmt, und auch seine Fingernägel sind nicht geschnitten, aber das stört ihn nicht. Denn Justus hat einen Gameboy bekommen, den er stolz vorführt. „Du, Frau Hoffmann, weißt du was? Den hab’ ich von meiner Mama bekommen, und heute Mittag bekomme ich eine Angel“, erzählt Justus, denn jeden Tag darf er sich etwas Neues zum Spielen aussuchen.

Elisabeth Hoffmann glaubt, dass die Vorschule ein „Ort des Vertrauens“ sein muss. „Wenn man die Chance hat, bei Kindern etwas in Gang zu setzen, sie zu motivieren und ihnen Freude an Neuem und am Lernen zu geben, dann entsteht eine starke emotionale Bindung“, sagt Hoffmann. Kinder würden nur unbefangen an Neues herangehen können, wenn sie keine Angst davor haben müssen, Fehler zu machen.“ Sie ist überzeugt davon, dass die Vorschule benachteiligte Kinder so fördern könnte, dass sie trotz ihrer Herkunft in nichts nachstehen müssen – in kleinen Fördergruppen oder auch durch Einzelunterricht. Aber Hoffmann meint auch, dass es an personeller Ausstattung fehle, um diesem Ziel gerecht zu werden, denn es brauche vor allem Zeit, um Kinder individuell zu fördern.

„Die Vorschule bereitet auf die Grundschule vor, und deshalb ist es wichtig, den Kindern Selbstbewusstsein zu geben, damit sie Spaß am Lernen haben, ohne zum Einzelkämpfer zu werden“, erklärt sie. Das passiere erstaunlich oft in finanziell gut abgesicherten Stadtteilen. „Allerdings lassen sich Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft gegenüber anderen hier oft noch gut entwickeln“, sagt Hoffmann, die in sozialen Brennpunkten oft das Gegenteil feststellen musste.

Auch einige ausländische Kinder gehören zu Elisabeth Hoffmanns Gruppe. So wie Cham. Er ist gerade ziemlich frustriert. Er soll einen Igel ausschneiden. Seine Schere hält er in der Hand, als ob er gar nicht recht wüsste, wozu man ein solches Gerät benutzt. Vielleicht hält er sie auch nur in der falschen Hand.

Doch das mit dem Nachfragen ist nicht so einfach, denn Cham spricht kaum Deutsch. Der Fünfjährige ist das einzige Kind in dieser Vorschulklasse, das türkische Eltern hat. Zwar ist Cham in Deutschland geboren, er war vor der Vorschule aber noch nie in einem Kindergarten oder einer Spielgruppe. Seine Eltern arbeiten den ganzen Tag, und so passt seine Oma auf ihn auf, die nur türkisch mit ihm spricht.

Nach kurzer Zeit versucht Cham es mit der anderen Hand. Das Schneiden gelingt ihm schon besser. Doch es fällt ihm schwer, auf der Linie zu bleiben, denn Cham kann sich schlecht konzentrieren. Lieber schaut er, was andere Kinder machen, die an ihm vorbeilaufen.

„Der Sinn der Vorschule ist nicht darauf beschränkt, Sprachschwierigkeiten zu beseitigen“, stellt Hoffmann klar. Doch oft beschränke sich vieles darauf, „denn Sprache ist die Voraussetzung, Inhalte zu begreifen.“

„Als Mediziner, als Anwalt, als Betriebswirt: Für alles braucht man ein Diplom“, sagt Hoffmann, „nur nicht, um Kinder zu erziehen.“ Oft fasst sie sich an den Kopf, wenn sie sieht, dass viele Menschen sich scheinbar kaum Gedanken über die Erziehung ihrer Kinder machen und nicht merken, wieviel Schaden dadurch schon bei kleinen Kindern angerichtet wird. „Schließlich kann sich ein Kind seine Erziehung nicht aussuchen.“

Annika Sepeur