Coronafälle im Winternotprogramm
In einer Notunterkunft in Hammerbrook haben sich sechs Obdachlose mit dem Coronavirus infiziert. Die Erkrankten kamen in Quarantäne. Das Ergebnis anberaumter Massentests steht aus.
In einer Notunterkunft in Hammerbrook haben sich sechs Obdachlose mit dem Coronavirus infiziert. Die Erkrankten kamen in Quarantäne. Das Ergebnis anberaumter Massentests steht aus.
In Hammerbrook soll in diesem Winter eine neue Notunterkunft für Obdachlose eröffnet werden. Werden dort erneut Obdachlose aus Rumänien abgewiesen werden? Wir haben nachgefragt.
(aus Hinz&Kunzt 127/September 2003)
Eon Hanse präsentiert die Dart-Reportage: Hamburg hat viele unbekannte Ecken. Mit Häusern voller Geschichte und Menschen mit besonderen Lebensläufen. Um sie zu finden, werfen die Reporter einen Dartpfeil auf den Stadtplan. Die Geschichten erzählen von viel menschlicher Wärme oder dem Mangel daran. Diesmal: die Banksstraße.
Es ist vier Uhr morgens: In immer kürzeren Abständen blitzen die Scheinwerfer der Transporter auf, die von der Amsinckstraße heranrollen – wir nähern uns der Rushhour. Während die Stadt noch schläft, herrscht im Obst- und Gemüsegroßmarkt Hochbetrieb. Einige Gemüsehändler, die besonders früh in den Tag starten, haben ihren Einkauf schon erledigt und fahren zurück in ihre Läden. Ganz vorsichtig steuern sie ihre Kastenwagen um die Kurven, um ihre Fracht bloß nicht zu beschädigen. Vom Hauptbahnhof braucht man zu Fuß gerade mal sieben Minuten bis zur Banksstraße.
Dennoch liegt sie alles andere als zentral: Die Banksstraße bildet die Achse einer abgekapselten Nische zwischen Innenstadt und Elbe. Auf allen Seiten ist sie von der Umgebung abgeschnitten: Im Norden versperrt das Betriebswerk der Bahn den Weg, auf der Elbseite hindert einen die Flutschutzmauer des Oberhafens am Weitergehen. Die Oberhafenbrücke beschränkt westlich den Blick auf die Deichtorhallen, und im Osten schirmt der Großmarkt mit hohen Stacheldrahtzäunen unangemeldeten Besuch ab.
[BILD=#banksstr2][/BILD]Ohne Sondererlaubnis dürfen nur die ständigen Händler und etwa 5000 gewerbliche Käufer den Markt betreten. Ich bin für sieben Uhr angemeldet, der Verkauf läuft also schon seit fünf Stunden. Im vorderen Teil der 40.000 Quadratmeter großen Halle sortiert Renate Müller gelbe Kunststoffkisten voller Kartoffeln, Zuckermais und Kürbisse. Viele der Kisten sind bereits leer, Müllers Tag war recht erfolgreich. Gegen zwei Uhr morgens baut sie ihren Stand auf, fünfmal pro Woche.
Da ihr Feierabend näher rückt, widmet sie sich bereits der Abrechnung: Die freundlich-resolute Frau beugt sich mit einer großen Brille auf der Nase über ihren Taschenrechner und füllt mintgrüne Formulare aus. Die Haupthandelszeit ist vorüber, nun gilt es, Außenstände einzutreiben.
Nebenbei und ohne aufzublicken erzählt sie von ihrer Beregnungsmaschine, deren Anschaffung sich in diesem Sommer so richtig auszahlt: Ihrem Land in der Winsener Elbmarsch kann die extreme Trockenheit nicht viel anhaben, und so freut sich die Landwirtin über ordentliche Erträge. Doch nicht die Masse sei entscheidend, sagt Renate Müller, ihr Geld verdiene sie mit der Qualität ihrer Ware. Von der sind offensichtlich auch zwei Kunden überzeugt: Nach zwei, drei Blicken unter die Blattschicht packen sie den Mais kistenweise auf ihren Hubwagen.
Helmuth und Günter Ehmann setzen auf gute Preise. Die Brüder handeln seit 53 Jahren mit Obst und Gemüse. Angefangen haben sie als Kinder mit einer Schubkarre in Elmshorn, nun sitzen sie hinter einem schicken Tresen im Herzen der Großmarkthalle. Die Ehmanns importieren Früchte aus aller Welt. „Schlechte Ernten oder Knappheit gibt es nicht“, sagt Günter Ehmann, ein hemdsärmliger Mann mit rotblondem Vollbart. „An Ware kommt jeder, der bereit ist, etwas dafür zu zahlen.“ Das sei sein Leben lang so gewesen, auch als der Großmarkt noch in den Deichtorhallen stattfand.
Ein ganzes Leben im Obsthandel, ein Leben lang Nachtarbeit: Die Ehmanns stehen um 23 Uhr auf und kommen um 12 Uhr wieder nach Hause. Äußerlich scheinen sie den Stress gut wegzustecken: Als wäre es nicht der Wechsel von Tag und Nacht, der ihren Biorhythmus bestimmt, sondern einzig die Verkaufszeit des Großmarktes.
Als diese um 9 Uhr zu Ende geht, steht die Sonne hoch und sticht beim Verlassen des Marktgeländes in den Augen. Vor dem Tor liegt die Banksstraße, um diese Tageszeit ist kaum noch was los. In diese Ecke verirren sich nur wenige Menschen, die hier nicht arbeiten. Warum auch? Sie bietet weder Spektakuläres fürs Auge, noch ist sie als Amüsiermeile bekannt. Tagsüber ist die Straße vor allem eines: Parkplatz.
Vor dem Backsteinbau der Stadtentwässerung stehen Autos in Viererreihen und warten darauf, dass ihre Besitzer sie am späten Nachmittag wieder in die Stadt fahren. Zurzeit ist von denen jedoch nichts zu sehen. In eine Ecke zwischen Mittelkanal und Lippeltstraße kauert sich das Grundstück eines Gebrauchtwagenhändlers. Auf dem winzigen, ungepflasterten Platz drängen sich rund 60 Autos: Limousinen, Transporter und Kleinwagen stehen Stoßstange an Stoßstange, am Zaun ein arg mitgenommener Krankenwagen neben einem Rettungswagen. Wer kauft wohl solche Autos?
[BILD=#banksstr3][/BILD]Die Tür eines weißen Bürocontainers steht offen. Beim Eintreten blicke ich in die freundlichen Gesichter zweier dunkelhaariger Männer, die am Schreibtisch sitzen. Noch während ich mich vorstelle, räumen die beiden einen Stuhl frei und drücken mir einen Becher in die Hand: „Setz dich, bei uns ist jeder willkommen“, sagt Toufic Chemayssem, ein kräftiger Mann mit kurz geschnittenem Haar und Oberlippenbart, während „Cappuccino“ – so stellt sich der zweite Gastgeber vor – eine rote Thermoskanne hervorholt und mir Kaffee einschenkt.
Der jugendlich wirkende 40-Jährige nutzt seinen freien Nachmittag, um Toufic bei der Arbeit zu besuchen. Der Kaffee schmeckt köstlich – libanesische Gastfreundschaft, mitten in einem Hamburger Gewerbegebiet.
Toufic kam vor anderthalb Jahren aus dem Libanon, seitdem arbeitet er in der Banksstraße. Autohändler lagern kaum oder gar nicht mehr fahrtüchtige Wagen bei ihm zwischen, bevor ein Schiff sie nach Afrika bringt. Oder auf die arabische Halbinsel, eben überall dorthin, wo ausrangierte Autos etwas wert sind – zurzeit ist der Irak ein gutes Absatzgebiet.
Insgesamt allerdings läuft das Geschäft nicht sonderlich gut, um nicht zu sagen schlecht. Doch Toufic ist genügsam: Solange er ein Dach über dem Kopf und genug zu essen habe, danke er Gott, sagt er. Der Libanese strahlt solch eine Gelassenheit aus, man kann nicht anders, als ihm zu glauben.
Ab und an beugt er sich über die Lehne seines Stuhls und schaut zum Fenster hinaus, doch es passiert nichts, was seine Aufmerksamkeit verdient. Und so verstreicht ein weiterer friedlicher Nachmittag. Ein Nachmittag, der einen die Zeit spüren lässt – allerdings einmal nicht bloß dadurch, dass sie an allen Ecken und Enden zu fehlen scheint.
Am späten Abend liegt die Banksstraße endgültig da wie ausgestorben. Während sich Toufic Chemayssem zu Hause vielleicht ein letztes Mal vor dem Schlafengehen gen Osten wendet, stehen Renate Müller und die Brüder Ehmann wieder auf – um „23 Uhr morgens“, wie einige Händler auf dem Markt sagen. Sie alle leben im Rhythmus der Banksstraße, die nachts zum Leben erwacht, bevor sie am späten Morgen in einen ausgiebigen Dämmerzustand fällt. Es ist nicht nur die räumliche Isolation, die die Banksstraße von der Hamburger Innenstadt trennt: Rund um den Großmarkt gehen die Uhren einfach anders.
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