Nr.5: Konto für jedermann
Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen
(aus Hinz&Kunzt 126/August 2003)
Darum geht es:
Wem einmal die Gläubiger auf die Pelle rücken, der ist schnell seine Bankverbindung los. Das wird teuer. Denn auch Menschen mit Schulden müssen weiterhin Miete oder Heizkosten überweisen, und Bareinzahlungen kosten viel Geld. Deshalb fordert Hinz & Kunzt: Jeder Mensch muss ein Girokonto auf Guthabenbasis einrichten können!
Der Hintergrund:
Seit Jahren berichten Schuldnerberater immer wieder von Menschen, die wegen ihrer Schulden daran scheitern, ein Girokonto einzurichten, oder ihre Bankverbindung verlieren. Für die Geldinstitute bedeuten solche Kunden viel Aufwand und wenig Gewinn. Schon Mitte der neunziger Jahre hatten Fachleute deshalb vorgeschlagen, das Recht auf ein Konto per Gesetz festzuschreiben. Die Banken kamen der Bundesregierung damals zuvor und erklärten in einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“ ihres Zentralen Kreditausschusses (ZKA), auf Wunsch jedem Bürger ein Konto auf Guthabenbasis einzurichten. Das bedeutet: Man darf nur die Summe abheben, die auf dem Konto ist.
Dennoch gibt es Beschwerden. „Die Probleme haben zugenommen“, sagt Thomas Zipf, Mitinitiator der Kampagne „Recht auf Girokonto“ der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV). Weit über 2000 Fälle, in denen Menschen vergeblich versuchten, ein Konto zu eröffnen, haben die Berater bundesweit dokumentiert. Im September wollen sie Bilanz ziehen. Thomas Zipf ist überzeugt: „Das ist längst nicht alles. Von vielen Fällen erfahren wir ja gar nichts.“
Das Bundesfinanzministerium hat in einem Bericht eingeräumt, dass eine Initiative nötig sei, „um die Kreditinstitute dauerhaft und in jedem Einzelfall konsequent zur Einhaltung der ZKA-Empfehlungen zu bewegen“. 2001 forderte dann der Deutsche Bundestag die Banken auf, mehr für das Girokonto für jedermann zu tun.
Schätzungen zufolge haben bundesweit mindestens eine halbe Million Menschen kein eigenes Konto. Mit schwer wiegenden Folgen: So ziehen zum Beispiel die Arbeitsämter jeden Monat 7,10 Euro von der Unterstützung ab, wenn das Arbeitslosengeld bar am Schalter einer Postbank ausgezahlt werden muss – und das Geldinstitut berechnet zusätzlich eine Gebühr von 5 Euro.
Schwierigkeiten haben auch Menschen, die obdachlos waren. „Ohne Bankkonto ist es schwierig, eine Wohnung oder Arbeit zu finden“, sagt Schuldnerberater Zipf und meint deshalb: „Das Recht auf ein Konto müsste ein Grundrecht sein.“ Die Geldinstitute verweisen auf die Selbstverpflichtung und ihre Beschwerdestellen: „Das Girokonto für jedermann gibt es ja. Und jede Bank hat einen Ombudsmann, an den sich Kunden kostenfrei wenden können“, sagt eine Sprecherin des Bundesverbandes Volks- und Raiffeisenbanken, derzeit federführend für die Spitzenverbände der deutschen Kreditwirtschaft.
Wie andere es besser machen:
Frankreich schrieb bereits 1984 das Recht auf ein Girokonto gesetzlich fest. In Artikel 58 des „Loi Bancaire“ heißt es: Jeder Antragsteller, dessen Gesuch auf Eröffnung eines Kontos von mehreren Kreditinstituten abgewiesen wird und der aufgrund dieses Umstandes kein Konto besitzt, kann sich an die Banque de France wenden, damit diese ihm ein Kreditinstitut zuweist, bei der er ein Konto eröffnen kann. 2001 formulierte die französische Regierung die Mindest-Dienstleistungen, die eine Bank jedem Bürger erbringen muss, in einem neuen Dekret aus. Als Basisdienstleistungen gelten seitdem nicht nur die Eröffnung und Führung eines Kontos, sondern z.B. auch das Bereitstellen von Scheckformularen und Bankkarten.
Einen anderen Weg gehen die USA. Dort hat die Regierung die Verantwortung der Geldinstitute in einem „Community Reinvestment Act“ geregelt. Das Gesetz verlangt von allen Banken einen jährlichen Bericht über ihr Engagement für sozial schwache Menschen. Die Aufsichtsbehörden bewerten die Banken nach einer vierstufigen Skala und schließen sie von wichtigen Entfaltungsmöglichkeiten aus, wenn sie aufgrund ihrer Kredit- und Geschäftspolitik ihre Aufgaben gegenüber der sozialen Gemeinschaft nicht ausreichend erfüllt haben.
So müsste es laufen:
– Die soziale Verantwortung der Banken muss per Gesetz gestärkt werden
– Eine unabhängige Prüfstelle müsste automatisch jeden Fall zugeleitet bekommen, in dem ein Geldinstitut einem Menschen die Eröffnung eines Guthabenkontos verweigert
– Die Banken müssten regelmäßig zur öffentlichen Berichterstattung verpflichtet werden, inwieweit sie das „Konto für jedermann“ in die Praxis umsetzen
Ulrich Jonas
Reaktionen auf die ersten Geburtstagsforderungen:
Das Sozialticket ist nicht zu retten, sagte Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) bei ihrem Hinz & Kunzt-Besuch. Begründung: Sozialhilfeempfänger würden bevorzugt gegenüber Geringverdienern. Die sozialpolitischen Sprecher der Fraktionen waren ebenfalls bei uns: Petra Brinkmann (SPD), Dr. Dorothee Freudenberg (GAL), Rolf G. Rutter (PRO) und Frank Schira (CDU). Auch sie sehen schwarz in punkto Sozialticket.
Einig waren sich alle, dass die Sozialämter kundenfreundlicher werden müssen und „Problemmieter“ erst mal Hausbesuch bekommen sollten, statt geräumt zu werden. Das will im Prinzip auch die Senatorin. Sie räumte ein, dass die Ausarbeitung des Konzeptes länger dauere als geplant.
Kurz blitzte so etwas wie eine Utopie bei den Sprechern auf: womöglich gemeinsam eine Nachsorgewohnung für kranke Obdachlose zu mieten. Schnieber-Jastram machte deutlich, dass sie derzeit keinen Spielraum für neue Projekte sehe. Mit den Sprechern wurde ein weiteres Gespräch für den Herbst vereinbart.