Dringend gesucht: Eine Vision für die ganze Stadt
Es könnte mehr gegen die soziale Spaltung in Hamburg getan werden. Der Senat setzt aber weiterhin auf
Wirtschaftswachstum und „kreative Viertel“. So droht die soziale Frage trotz eines neuen Stadtteil-Programms wieder aus dem Blick zu geraten.
(aus Hinz&Kunzt 205/März 2010)
Hamburg ist eine gespaltene Stadt. Angesagte Szene-Stadtteile in zentraler Lage liegen auf der einen Seite des Grabens, Wohngebiete mit Betonklötzen und verschärften sozialen Problemen auf der anderen. Nein, neu ist diese Erkenntnis wirklich nicht. Neu ist aber, dass soziale Fragen derzeit so heftig diskutiert werden. Dazu haben die politischen Protest-Initiativen mit ihrem gemeinsamen Slogan „Recht auf Stadt“ beigetragen, aber auch die Künstler, die im Gängeviertel einen viel beachteten Etappensieg errungen haben.
Allerdings stehen „Kreative“ in der Wirtschaft und Politik sowieso auf der Liste der Gruppen, deren Förderung sich rechnet. Metropolen brauchen kreative Nischen für den internationalen Wettbewerb, davon sind die Stadtplaner schon länger überzeugt. Aber was ist mit den wirklich Benachteiligten, mit Alten, Migranten und Hartz-IV-Empfängern?
Mehr Öffentlichkeit für diese Menschen fordern die Wissenschaftler und Experten aus der Praxis, die auf der Konferenz „Hamburg – Eine Stadt für alle!“ gemeinsam die soziale Spaltung diskutiert haben. „Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass die Stadt in arme und reiche Viertel zerfällt. Wir wollen soziale Teilhabe und mehr Gerechtigkeit“, fasste Mitorganisator Jörg Herrmann, Leiter der Evangelischen Akademie der Nordelbischen Kirche, die Ziele der Teilnehmer zusammen.
Die wichtigste Erkenntnis: Obwohl es Hamburg wirtschaftlich relativ gut geht, verhärtet sich die soziale Spaltung. Professor Jürgen Oßenbrügge, Stadtforscher an der Uni Hamburg, kann das empirisch belegen. So werden nach seinen Daten ältere Menschen, Arme und Migranten durch steigende Mieten an den Stadtrand gedrängt – diese Dynamik entsteht durch die Aufwertung „kreativer Viertel“. Und wer in einem „Problemstadtteil“ wohnt, hat oft allein deshalb Probleme. Ein Bewerbungsgespräch endet manchmal schon, wenn man erzählt, wo man aufgewachsen ist. Dieses Negativ-Image des eigenen Wohnortes ist demotivierend. „So entstehen räumliche Fallen, die Probleme weiter verstärken“, so Oßenbrügge.
Die Ursachen der sozialen Spaltung, weiß Oßenbrügge, sind letztlich europaweit gleich: der Niedergang der Industrie seit Ende der 70er-Jahre, prekäre Arbeitsverträge, Niedriglöhne, der Umbau des Sozialstaats. Die langfristigen Trends werden aktuell durch die Wirtschaftskrise verstärkt. Aber Hamburg könne trotzdem weit mehr für benachteiligte Stadtteile tun. „Das Problem ist, dass es kaum Möglichkeiten oder Treffpunkte in diesen Quartieren gibt“, sagt der Stadtgeograf, „dort ist es einfach zu langweilig.“ Daher brauche es vor Ort mehr Bildungs- und Kulturförderung, auch in Zeiten leerer Staatskassen. „Wenn wir einerseits viel Geld und Energie in die Elbphilharmonie stecken und andererseits zu wenig für die Problemquartiere tun, dann stellt sich bald die Frage, wie viel soziale Spaltung Hamburg vertragen kann.“
Der schwarz-grüne Senat hat diese Spaltung durchaus im Blick. Im Juli 2009 wurde das „Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung“ (RISE) aus der Taufe gehoben. Es soll mit 30 Millionen Euro Förderprojekte bündeln und es setzt auf Bürgerbeteiligung und lokale Initiativen. Professor Oßenbrügge erwartet von RISE dennoch keine wirklichen Lösungen. Die sozialen Probleme würden wieder nur in den Problemquartieren bearbeitet, es fehle eine echte Vision. „Der Senat legt exakt fest, wie stark der Hamburger CO2-Ausstoß bis 2020 reduziert werden soll. Dann soll man auch Ziele im sozialen Bereich definieren, zum Beispiel, wie viele Kinder aus benachteiligten Stadtteilen 2020 Abitur machen sollen.“ Er befürchte, dass der Senat die soziale Spaltung eher verwalten als bekämpfen wolle.
Diese Befürchtung wird von vielen Konferenzteilnehmern geteilt. Aber sie haben konkrete politische Vorschläge, was zur Lösung der sozialen Frage in der Stadt getan werden könnte. Es sind Vorschläge, die anderswo bereits umgesetzt wurden. Der Geschäftsführer von „Stattbau Hamburg GmbH“, Tobias Behrens, stellt klar: „Es gibt wirksame Instrumente, mit denen man auf die Luxusbremse treten könnte. Dass Mieten steigen und immer mehr Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt werden, könnte durch eine soziale Erhaltungsverordnung für ganze Stadtteile verhindert werden.“ Außerdem müsse der Verkauf von städtischem Bauland überprüft werden: „Wir müssen stärker auf soziale Aspekte achten und für Neubauten längere Mietpreisbindungen festlegen. In München geht das schließlich auch.“ Zwar plane der Senat, wieder mehr Sozialwohnungen zu bauen und weniger Grundstücke nach dem Höchstpreisverfahren zu vergeben. Ob das in der Praxis wirklich umgesetzt werde, müsse aber kritisch überprüft werden, da die Finanzbehörde weiterhin auf den höchsten Verkaufserlös schiele.
Auch für eine bessere Stadtteil-Arbeit gibt es Ideen. „RISE wiederholt alte Fehler“, sagt Professor Ingrid Breckner von der HafenCity Universität, „es geht wenig von den Problemen vor Ort aus und ist wieder für vier Jahre befristet.“ Die Lösung sozialer Probleme bräuchte einen langen Atem statt präsentierbarer Erfolge für den nächsten Wahlkampf. Die Niederlande könnten da ein Vorbild sein. „Dort hat man zuerst übliche Probleme definiert und dann nachgeschaut, wo sie verstärkt vorkommen“, erzählt Breckner. „Die Beamten auf nationaler und regionaler Ebene mussten Patenschaften für Stadtteile übernehmen und dann zwei Tage die Woche vor Ort sein. So verhindert man auch, dass in irgendwelchen Büros über die Köpfe der Bewohner hinweg geplant wird!“
Auf der „1. Konferenz zur sozialen Spaltung“ nahmen Anfang Februar 250 Wissenschaftler und Experten aus dem sozialen Bereich teil. Eingeladen hatte unter anderem die Evangelische Akademie der Nordelbischen Kirche und einige Fachbereiche der Hamburger Universität. Die Konferenz soll jährlich wiederholt werden.