Nr.10: Schwitzen statt sitzen
Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen
(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)
Darum geht es:
Unsere zehnte und letzte Geburtstagsforderung ist gerade erfüllt worden. Denn bald können Richter ihre Urteile noch weiter differenzieren als bislang. Statt eine Haftstrafe bis zu sechs Monaten auszusprechen oder eine Geldstrafe, können sie den Verurteilte – mit seinem Einverständnis – zu gemeinnütziger Arbeit verdonnern.
Der Hintergrund:
„Schwitzen statt sitzen“ – unter diesem Motto stand der Gesetzesentwurf, der jetzt das Kabinett in Berlin passiert hat. Und schwitzen statt sitzen war schon lange eine Forderung von uns. Denn viele sozial schwache Täter landen im Gefängnis, selbst wenn sie ausdrücklich nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Der Grund: Sie können die Geldstrafe nicht bezahlen.
In Hamburg gibt es heute schon die Möglichkeit, eine Geldstrafe mit gemeinnütziger Arbeit abzuleisten. Immer mehr Menschen machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Im Jahr 2001 wurden in der Hansestadt so 20.540 Hafttage „abgearbeitet“, 2002 schon 22.358 und bis Mitte November 2003 sogar 24.665. Allerdings ist das Prozedere kompliziert: Erst wenn der Verurteilte seine Geldstrafe nicht fristgemäß bezahlt, bekommt er einen Brief, in dem ihm gemeinnützige Arbeit vorgeschlagen wird.
Das Problem war bisher: Viele Täter, die kleinere Delikte wie Schwarzfahren oder Diebstahl begangen haben und ihre Strafe nicht bezahlen können, haben sowieso große Schwierigkeiten, ihr Leben zu bewältigen. Viele sind arbeits- und perspektivlos. Oft sind sie hochverschuldet. Deswegen öffnen einige von ihnen ihre Post gar nicht mehr – aus Angst vor neuen Rechnungen. Diese Menschen landen dann, wenn sie sich nicht bei der Justizbehörde melden und einen Platz für gemeinnützige Arbeit annehmen, automatisch im Knast.
Deswegen war uns immer schon wichtig, dass gemeinnützige Arbeit direkt bei der Urteilsverkündung als Alternativ-Strafe verhängt werden kann. (Allerdings nur mit Einveständnis des Täters. Aufgrund der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus darf man in Deutschland niemanden gegen seinen Willen zur Arbeit verurteilen.)
Straftätern diese Alternative zu bieten, ist nicht nur nett, sondern auch für den Staat eine Entlastung: Erstens sind die Gefängnisse sowieso überbelegt; zweitens bringt der Täter dort nicht wie vom Richter vorgesehen Geld ins Staatssäckel, sondern kostet auch noch: mindestens 90 Euro pro Hafttag und Person. Selbst Justizsenator und Hardliner Roger Kusch (CDU) ist von dem Modell angetan. Immerhin spart die Hansestadt so zwei Millionen Euro pro Jahr.
Die gemeinnützige Arbeit kann allen dienen: dem Staat und dem Täter. Bisher konnte es nämlich passieren, dass ein Täter seine Ersatzfreiheitsstrafe antreten musste, auch wenn er einen Job hatte. Ergebnis: Er verlor womöglich auch noch die Arbeit. Die gemeinnützigen Strafstunden kann er dagegen im Urlaub oder am Wochenende abarbeiten. Und manchmal haben die Täter sogar Glück im Unglück: Die Arbeit gefällt ihnen so gut, dass sie ehrenamtlich bei der Organisation bleiben oder sogar wieder einen ganz normalen Job finden. Besser kann Resozialisierung nicht funktionieren.
Birgit Müller
Mit dieser – erfüllten – zehnten Forderung endet unsere Serie „Zehn Jahre Hinz & Kunzt – zehn Geburtstagsforderungen“.
Hier die Forderungen im Überblick:
Nr. 1: Mehr Betten für kranke Obdachlose.
Die Krankenstube für Obdachlose ist hoffnungslos überfüllt.
Nr. 2: Hausbesuch statt Räumung
Viele Räumungen könnten verhindert werden, wenn säumige Mieter rechtzeitig Hausbesuch und Hilfe bekämen.
Nr. 3: Sozialticket muss bleiben!
Die Sozialbehörde hat Ende 2003 das Sozialticket für rund 38.000 Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose abgeschafft.
Nr. 4: Kundenfreundliches Amt
Sozialhilfeempfänger müssen oft stundenlang warten, bis ihnen geholfen wird. Ihre Sachbearbeiter sind nicht erreichbar und überfordert.
Nr. 5: Konto für jedermann
Wer kein Bankkonto hat, ist in unserer Arbeitswelt nur ein halber Mensch. Außerdem: Bareinzahlungen sind teuer.
Nr. 6: Fördern statt überfordern
Soziale Job-Agenturen sollen Sozialhilfeempfängern Arbeit vermitteln. Die Stütze soll nur bei mangelnder Kooperation gestrichen werden.
Nr. 7: Mehr Sozialwohnungen
Die Zahl der Sozialwohnungen in Hamburg geht drastisch zurück. Verlierer sind Menschen mit geringem Einkommen.
Nr. 8: Innenstadt für alle!
Der öffentliche Raum wird zunehmend privatisiert. Immer öfter werden Bettler und Obdachlose aus den Innenstädten vertrieben.
Nr. 9: Kleinere Unterkünfte
Statt Massenunterkünften fordert H&K kleine Unterkünfte für maximal 20 Menschen. Das erhöht ihre Chance auf Integration, vermindert Konflikte – und spart langfristig Geld.