St. Pauli, deine Paulianer/Teil 2
Zum 100. Geburtstag des FC St. Pauli stellen wir ab heute 100 Paulianer vor, denn: den Mythos machen die Menschen!
Zum 100. Geburtstag des FC St. Pauli stellen wir ab heute 100 Paulianer vor, denn: den Mythos machen die Menschen!
Zum 100. Geburtstag des FC St. Pauli stellen wir ab heute 100 Paulianer vor, denn: den Mythos machen die Menschen!
Ohne sie wäre der Kiez-Klub ein Verein wie jeder andere. Vom schwulen Präsidenten bis zur Putzfrau, vom Papst bis zum Punk – es sind die Legenden und schrägen Vögel, die den Mythos leben. 100 Jahre St. Pauli – 100 St. Paulianer im Mini-Porträt
(aus Hinz&Kunzt 183/Mai 2008)
Für meinen Sohn David, acht Jahre alt und seit mindestens vier Jahren Fan des Kiezklubs, ist eines glasklar: Wenn jemand am Verdursten ist, dann gibt man ihm zu trinken. Und der Reichere zahlt den Brunnen, logisch.
(aus Hinz&Kunzt 175/September 2007)
Zum 5. Homeless World Cup (HWC), der Fußball-WM der Obdachlosen, kamen Anfang August 500 Spieler aus 48 Nationen nach Kopenhagen. Ein riesiges Fest von Menschen, die sonst wenig zu feiern haben.
(aus Hinz&Kunzt 148/Juli 2005)
„Über links, da ist doch alles frei!“ – „Los, dranbleiben!“ – „Da muss man doch abspielen! Was ist denn mit euch los, Jungs?“
(aus Hinz&Kunzt 132/Februar 2004)
Die Stimmung in der Kabine ist so kämpferisch, wie sie nach einer anstrengenden Halbzeit in eisiger Kälte eben sein kann. „Sie sind zu schnell!“, stöhnt Rolf über die Gegner. Mit 52 Jahren ist der Träger eines extravaganten Schnurr- und Backenbarts der Älteste auf dem Platz. Und als Torwart hatte er in der ersten Halbzeit viel zu tun. Auch der Rest der Mannschaft ist ziemlich fertig, vor Anstrengung, aber auch, weil der Ball nicht im gegnerischen Tor gelandet ist. Andreas Bischke schwört sein Team auf eine neue Strategie ein: „Wir spielen jetzt mit zwei Spitzen, Jens kommt mit nach hinten.“ – „Den Spieler mit der Nummer fünf manndecken.“ – „Und sich mehr anbieten.“ – „Kämpfen.“ Normalerweise ist Bischke Sozialarbeiter in der Tagesaufenthaltsstätte „Herz As“ und hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Wohnungslosen. Jetzt ist er Coach – da ist zu viel Nachsicht nicht angebracht. Halbzeitpause vorbei, raus in die Kälte, raus aufs Feld.
Sie nennen sich „Herz-As-Chaoten“. Und bezeichnen sich auf ihrer Homepage augenzwinkernd als „dritte Macht an der Elbe“, nach dem HSV und dem FC St. Pauli. Zusammengewürfelt aus fußballbegeisterten Besuchern und Mitarbeitern des Herz As tritt die Mannschaft gegen Hamburgs Freizeitvereine an. Gegner ist heute St. Pauli, zwar nicht die erste Mannschaft, aber „Trainer und Verbündete“, eine Truppe Pauli-Mitarbeiter um Jugendtrainer Andreas Bergmann.
Schauplatz ist das St.-Pauli-Jugendleistungszentrum am Brummerskamp. Grün strahlt der Kunstrasen unter dem gleißenden Flutlicht. Dass es bitterkalt ist, merken die Spieler weniger als das Grüppchen treuer Fans, die trotz der Minusgrade zum Spiel gepilgert sind. Alle vom Herz As, manche, wie Tanja, lassen sich sogar kein Training ihres Vereins entgehen. Weil ihr Verlobter René auf dem Platz steht. Ihr Tipp für den Spielausgang: „Gewinnen wird wahrscheinlich leider St. Pauli. Aber es geht ja nicht ums Gewinnen.“
Worum es eigentlich geht, erklärt Traudel Schönsee. Die Herz As-Mitarbeiterin regte die Bildung der Freizeitmannschaft an und lässt jetzt kein Spiel aus. „Die Leute sind plötzlich für Beratungsgespräche zugänglicher“, sagt Schönsee, „durch gemeinsames Erleben kommt man besser an die Wohnungslosen ran.“ Außerdem tut Sport gut: „Ich finde die Chaoten schon allein wegen der Kondition klasse, schau dir an, wie die wetzen. Wenn ich den einen oder anderen dann im Herz As sehe, kann ich nur den Kopf darüber schütteln, wie lahmarschig die sonst sind.“ Und die Disziplin der Freizeitkicker erstaunt sie: „Alle fügen sich in die Gruppe ein, keiner sagt: ,Es ist zu kalt und ich bleibe zu Hause.‘“
Auch Herz-Asler Raimund ist als Schlachtenbummler bei allen Spielen dabei. Beeindruckt hat ihn vor allem das Match gegen die Altherren-Mannschaft des HSV: „Da waren 50 Zuschauer, und sogar der Schiedsrichter war auf unserer Seite.“ Hinter vorgehaltener Hand habe er am Ende des Spiels gesagt, dass er Elfmeter gepfiffen hätte, wenn die Chaoten kein Tor gemacht hätten. War aber nicht nötig, das Spiel ging 2 zu 9 aus. „Wenn ich bei Günther Jauch gewinne, spendiere ich den Chaoten eine eigene Arena“, sagt Raimund und lacht: „In Herzform.“
Und plötzlich: „Tor!“ Für die Chaoten. Der Befreiungsschlag. Raimund reißt die Arme hoch. Zwar ist es schwer, beim 1 zu 10 schon von einem Anschlusstreffer zu sprechen, aber vielleicht platzt jetzt der Knoten. „Einer geht noch, einer geht noch rein!“, skandiert Raimund. Auch wenn es nicht ums Gewinnen geht. Das Tor war wichtig. Es beflügelt die Mannschaft. Vor allem René, der Rolf im Tor abgelöst hat, wirft sich jetzt nach jedem Ball. Auch die anderen geben keinen Zweikampf verloren. Weil es so kalt ist, scheinen die Körper durch den Schweiß zu dampfen. „Nach dem ersten gemeinsamen Training“, erzählt Andreas Bischke, der an der Seitenline auf und ab geht und seinen Spielern Kommandos zuschreit, „hatte ich bei manchen Angst, dass ich sie hinterher reanimieren muss.“ Heute rennen die Spieler ohne größere Schwierigkeiten über die ganze Zeit. Wenn die Gelenke mitmachen. „Es schmerzt schon, dass ich jetzt nicht mitspielen kann“, sagt Uwe, der neben dem Trainer steht, „aber mein Knie tut schon seit ein paar Monaten weh, da darf ich nichts riskieren.“
Das Spiel gegen Pauli geht 3 zu 13 aus. Zurück in der Kabine zollt Andreas Bergmann von St. Pauli dem Gegner Anerkennung: „Dafür, dass die nur einmal die Woche trainieren, war das schon richtig gut.“ Dann wird gemeinsam gefeiert und über das Spiel gefachsimpelt. St. Pauli spendiert zwei Kästen Bier. „Prost Jungs!“, sagt Andreas Bergmann, und die Bierflaschen werden begeistert in die Höhe gereckt. Ein kühles Bier bei minus zwei Grad Außentemperatur – das tut wohl nur gut, wenn Männer an ihre Grenzen gegangen sind.
(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)
Ende Juli begann die Streetsoccer-Weltmeisterschaft der Obdachlosen in Göteborg. Dort treffen sich zum zweiten Mal Straßenfußballer aus rund 30 Nationen. Die Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
(aus Hinz&Kunzt 137/Juli 2004)
Schön ist der Pokal nicht. Ein zu groß geratenes Trinkgefäß mit einer Drahtspirale drum rum gewickelt. Mitgebracht hat ihn die HSV-Jugendmannschaft. Sie müssen ihn heute verteidigen gegen die Roten von Concordia II. Beide Mannschaften laufen sich schon mal warm. Hausherr der Sportanlage Dulsberg Süd ist diesmal Frank Schein; Abgesandter des Hamburger Fußballverbandes und zuständig für Gewaltprävention im Jugendbereich. Am Herzen liegen ihm die Ehrenamtlichen oder wie er sie nennt – die Verhafteten. Frank Schein sagt: „Wer einmal nach dem Training den Ball wegräumt, der wird verhaftet.“ Wird mehr oder weniger sachte bedrängt, zu übernehmen, was es an Aufgaben gibt: Trikots waschen, Spielbericht schreiben, eine Kindermannschaft trainieren. Gleich ganz ein Ehrenamt zu übernehmen. Nicht aus freien Stücken, sondern weil es einer eben machen muss.
(aus Hinz&Kunzt 125/Juli 2003)
Blondi keucht. Er ist aus der Puste. Die Sonne brennt, und die Beine sind schwer geworden nach dem 30-Meter-Spurt um die Kugel. Immerhin ist es eine Weile her, dass der 36-Jährige das letzte Mal Fußball gespielt hat. „Lass uns eine Pause machen!“, ruft der Hinz & Kunzt-Verkäufer seinem Kollegen Frank zu. Dem ist das recht. „Laufen ist nun mal etwas anderes als Fahrrad fahren“, sagt der 37-Jährige, der eine einfache Begründung dafür hat, warum er unbedingt beim Stelldichein der Straßenkicker dabei sein will: „Fußball ist Sport. Und Sport ist gut.“
Frank und Blondi gehören zur achtköpfigen deutschen Mannschaft, die im Juli in Österreich mit Wohnungslosen aus 18 Ländern um den Weltmeistertitel der Wohnungslosen kicken wird. Die Idee zum „Homeless World Cup“ hatten Mitarbeiter des Grazer Straßenmagazins Megaphon. Welcher Ort, so fragten sich die Kollegen vom H&K-Schwesterprojekt, bietet sich besser an für eine Obdachlosen-Weltmeisterschaft als die europäische Kulturhauptstadt 2003 – wo Fußball doch ein ebenso globales wie Kulturgrenzen überschreitendes Phänomen ist…
Die Resonanz ist überwältigend: Teams aus vier Kontinenten werden in Graz auflaufen. Vom Welt-Fußballverband UEFA bis zur US-Botschaft in Österreich reicht die Liste der Kooperationspartner und Sponsoren. Während die deutsche Mannschaft – je zwei Spieler kommen aus Freiburg, Stuttgart, Regensburg und Hamburg – auf die Gunst der Stunde setzen muss (siehe Interview), laufen anderswo seit Monaten die Vorbereitungen.
„Meine Jungs spielen Qualitäts-Fußball“, sagt Sigi Milchberger, Trainer der Gastgeber-Mannschaft, die zu den Favoriten zählt. „Black is beautiful“ könnte das Motto des jungen österreichischen Teams lauten. Denn die Ballkünstler stammen aus Nigeria, Kamerun oder Senegal – Flüchtlinge aus Krisenregionen, die auf verschlungenen Wegen die Stadt an der südlichen EU-Grenze erreicht haben und dort mit dem Verkauf des Straßenmagazins ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Die US-amerikanischen Straßenfußballer trainieren sogar schon seit vergangenem Herbst in einer New Yorker Turnhalle. „Wir gelten als Außenseiter“, sagt Ron Grunberg, Herausgeber des Straßenmagazins BIGnews. „Doch wir haben den tiefen Glauben daran, dass wir gewinnen können.“ Prominente Unterstützung hat die Konkurrenz aus Spanien und Großbritannien erhalten: Star-Fußballer und Trainer der Spitzenclubs Real Madrid und Manchester United nahmen die Streetsoccer-Teams unter ihre Fittiche. Bewerber für die englische Auswahl mussten erst mal zum Vorspielen nach Manchester reisen. Nur die Besten wurden dort ausgewählt unter den Augen von United-Trainer Sir Alex Ferguson.
Auf der Insel hat der Kick unter Wohnungslosen bereits Tradition: Um die „Streetleague“ spielen sie dort seit Jahren, und kein geringerer als Gilberto Silva ist Schirmherr der besonderen Fußball-Liga. Silva, brasilianischer Nationalspieler in Diensten von Arsenal London, hat nicht vergessen, wo seine Wurzeln liegen: auf der Straße, in den Slums. Dort spielen die Kids Tag für Tag, von morgens bis abends.
Eine deutsche Straßenfußballer-Biografie sieht ein wenig anders aus: Blondi ist gelegentlicher Hobby-Kicker. Er setzt auf „gutes Stellungsspiel“ und darauf, „dass ich mit Alkohol und Zigaretten nichts am Hut habe“. Frank war als Kind „mehr für Leichtathletik“, wurde vom Vater für den Fußball gewonnen und hat später „in Kneipenmannschaften gespielt“. Doch das ist lange her. „An der Kondition müssen wir noch arbeiten“, bilanziert Blondi selbstkritisch. Übertreiben werden sie es aber nicht mit der Vorbereitung. Wie sagt Frank so schön: „Das Wichtigste ist der Spaß.“
„Schöne Freundschaften“
Interview mit Reinhard Kellner (53), Vorsitzender des Bundesverbandes Sozialer Straßenzeitungen und Trainer der deutschen Auswahl
H&K: Warum eine Straßenfußball-Weltmeisterschaft der Obdachlosen?
Reinhard Kellner: Wir wollen zeigen, dass sich Arme, Obdachlose, Sozialhilfeempfänger weltweit organisieren können, auch über die Straßenmagazine hinaus. Es geht darum, gemeinsam Sport zu machen und Kameradschaft zu erleben, aber auch, über Armutsbekämpfung weltweit zu diskutieren. Da kommen ja Menschen aus 18 Ländern zusammen.
H&K: Die deutsche Mannschaft spielt mit Wohnungslosen aus vier Städten. Wie bereitest du das Team auf das Turnier vor?
Reinhard Kellner: Ausschließlich mental. Wir treffen uns ja erst am Abfahrtstag. Da können wir höchstens noch neben der Autobahn trainieren. Aber Deutschland war immer schon eine Turniermannschaft.
H&K:Wer wird Weltmeister?
Reinhard Kellner: Ich geh davon aus, dass die Brasilianer gewinnen werden, weil die mit relativ jungen Leuten kommen und einfach gut spielen. Aber das ist nicht so wichtig. Ich hoffe, dass der Austausch der Spieler untereinander im Vordergrund stehen wird.
H&K: Gibt es wenigstens eine Außenseiter-Chance für die deutsche Mannschaft?
Reinhard Kellner: Unser Ziel ist es, die Vorrunde zu überstehen. Es gibt schon ein paar Teams, bei denen wir denken, dass wir mithalten können. Wir haben halt eine relativ alte Mannschaft, Durchschnitt 35, eher zu den 40 hingehend. Das Team der Österreicher zum Beispiel besteht ausschließlich aus jungen Modellathleten. Die werden uns wohl von der Bühne putzen.
H&K: Wird es künftig regelmäßig Weltmeisterschaften geben?
Reinhard Kellner: Ich kann mir das gut vorstellen. Kulturhauptstadt Europas wird ja immer wieder eine andere Stadt. Und das lässt sich gut miteinander verbinden.
H&K: Können wir auf eine Fußball-Bundesliga der Obdachlosen hoffen?
Reinhard Kellner: Also, eine süddeutsche Meisterschaft gibt es ja schon. Daraus sind schöne Freundschaften unter Verkäufern entstanden. Inwieweit sich die Nordlichter von so etwas anstecken lassen, werden wir sehen.
H&K: Warum trägt die deutsche Mannschaft eigentlich orangefarbene Trikots mit dem Schlachtruf „venceremos“?
Reinhard Kellner: Die Greenpeace-Designerin hat die Trikots entworfen und hatte bei der Farbe freie Hand. Von mir stammt die Idee mit „venceremos“. Das heißt ja: Wir werden gewinnen, und das tun wir auch. Wir werden nämlich alle gewinnen, weil wir uns sehen, treffen und austauschen.
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