„Hart, wie die Leute einen abwerten‘‘
Drei Spieler der Hamburg Freezers waren Hinz&Kunzt-Verkäufer für einen Tag.
Drei Spieler der Hamburg Freezers waren Hinz&Kunzt-Verkäufer für einen Tag.
(aus Hinz&Kunzt 132/Februar 2004)
Olaf Sausners Märchen vom Eisplaneten beginnt am 12. November 2002. An diesem Tag spielten die Hamburg Freezers das erste Mal in ihrer neuen Heimat, besiegten die Kölner Haie mit 5:4, und der 45-Jährige, Systemadministrator in einer behördlichen Datenzentrale, kam nach Hause und konnte nicht mehr sprechen. So sehr hatte er seine Stimme verausgabt beim Anfeuern der Eishockey-Cracks. „Da habe ich mich verliebt“, sagt der kräftige Mann mit dem wilden Bart und den auf die Schulter fallenden Haaren, um dessen Hals gleich sieben Fan-Schals hängen. Sausner besuchte fortan jedes Heimspiel der Hamburg Freeezers, und was sich seit jenem Tag entwickelt hat, betont er, das ist kein Hobby, „das ist eine Leidenschaft.“
Die Scheinwerfer erlöschen, gedämpftes Licht fällt auf die verwaiste Eisfläche. Eine tiefe Männerstimme füllt die riesige Halle: „Welcome on Planet Ice. Nirgends ist es eiskälter, nirgends sind die Spieler härter, nirgends ist die Stimmung besser… als in der Color Line Arena“, schallt es aus den Lautsprechern. Und dann, nach dem „Hier sind die Hamburg…“, rufen viele tausend Stimmen: „Freezers!“, die Cracks gleiten einer nach dem anderen elegant auf die Eisfläche, und blaue Leuchtstäbe und Wunderkerzen verwandeln die Zuschauerränge in ein Lichtermeer, während die Trommler im Fan-Block den Takt für die Anfeuerungsrufe vorgeben.
Rund 10.800 Menschen strömen durchschnittlich zu den Spielen der Freezers, nur Köln hat noch stärkeren Rückhalt in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Und die „Eisschränke“ danken es ihren Fans: Nach einer Durststrecke haben sie zu alter Stärke gefunden und mit Hilfe einer Siegesserie den dritten Tabellenplatz erobert. Die Teilnahme an der Endrunde ist ihnen kaum mehr zu nehmen, sogar der Meistertitel scheint möglich…
Die zweite Saison erst spielen die Freezers in Hamburg – und sind kaum mehr wegzudenken. Dabei hätte es auch der Ruhrpott werden können. „Wenn die sagen, wir ziehen nach Wuppertal, dann fahre ich halt Schwebebahn“, sagte der sportliche Leiter Max Fedra im Sommer 2002 mit einem Galgenhumor, der die Umstände der Vereinsgründung durchaus trifft. Damals hießen die Hamburg Freezers noch München Barons und jagten dem Puck in der bayerischen Metropole hinterher – sehr erfolgreich, aber vor meist leeren Rängen. „Wenn du vor 1000 Leuten in einer 6000-Zuschauer-Halle spielst, ist das sehr frustrierend“, erinnert sich Torhüter Christian Künast an traurige Tage. Der Fußball-Gigant Bayern schien einfach übermächtig – mehrere Millionen Euro Verlust machten die Barons in den drei Jahren in München.
Da fügte es sich gut, dass der finnische Bau-Unternehmer Harry Harkimo in Hamburg gerade die neue Arena am Volkspark errichten ließ und noch einen Eishockey-Club suchte, der darin heimisch werden könnte. Harkimo kaufte sich bei den Barons ein, und die zogen um und verwandelten sich in die Freezers. „Unter dem Strich geht’s darum, dass die Zahlen stimmen“, erklärte kürzlich Detlef Kornett, Europa-Chef der „Anschutz Entertainment Group“, eines US-Firmenimperiums, dem neben den „Eisschränken“ und diversen amerikanischen Eishockey-Clubs auch die Berliner „Eisbären“ gehören.
Glaubt man den Machern des deutschen Eishockey, lässt sich in der Color Line Arena die Zukunft dieses Sports besichtigen: das „Event“ in der modernen Mulitfunktionshalle. Über dem Eis schwebt ein großer Videowürfel, der die Zuschauer zum Mitmachen animieren soll. Spielt der Gegner wegen eines Fouls in Unterzahl, leuchtet dort „Attacke!“ auf, und Film-Star Godzilla schlägt die Trommel auf den vier Bildschirmen, um die Stimmung anzuheizen. Drohen die Fans in ihren Schlachtgesängen zu erlahmen, lautet die Anweisung schlicht und einfach: „Steht auf!“ Und immer wenn die Schiedsrichter das Spiel unterbrechen, dudelt laute Pop-Musik aus den Lautsprechern, um die Pause zu füllen.
Freezers-Fan Richard Seher stört das nicht, im Gegenteil. Der 55-Jährige ist froh, „dass in Hamburg endlich wieder professionell Eishockey gespielt wird“. Viel früher hätte die Arena gebaut müssen, meint der technische Angestellte, der sich seinen Fan-Schal locker übers Jackett geworfen hat. Ihm ist „das Drumherum sehr wichtig“, etwa der Service der vier Restaurants und 16 Fast-Food-Outlets oder auch die Qualität der Halle. „Das funktioniert seit dem ersten Tag reibungslos.“ Und dass die Freezers eine zusammengekaufte Mannschaft ohne Einheimische sind, sieht der Fan ganz modern: „Beim HSV spielt auch kein Hamburger mehr, oder?“ Als Siebenjähriger hat Seher seine Liebe zum Eishockey entdeckt und selbst lange gespielt. Zwar sehe der Sport „extrem hart“ aus, meint der Kenner – „aber nur für Leute, die keine Ahnung haben.“ Aber anders als beim Fußball habe er in all den Jahren „noch keine einzige Prügelei“ zwischen Fans gesehen. „Vielleicht können die Zuschauer ihre Aggressionen beim Eishockey besser abbauen?“
Auch Olaf Sausner schätzt die familiäre Stimmung unter den Liebhabern des schnellsten Mannschaftssports der Welt. „Man singt oder schreit gegeneinander an, und in der Pause werden Freundschaften geschlossen“, erzählt er. Sausner hat mit 100 Gleichgesinnten die „Freezers Supporters“ ins Leben gerufen, eine Fan-Gemeinschaft „ohne Verpflichtungen und just for fun“. Dort hat er „Menschen kennen gelernt, die ich nicht mehr missen möchte“. Ralf Pellowski zum Beispiel, ein 45-Jähriger mit akkuratem Kurzhaarschnitt und freundlichem Lächeln, der bei den Spielen die Trommel schlägt und seine Brötchen als Abteilungsleiter in der Glas- und Gebäudereinigung verdient.
Pellowski geht manchmal auch zu den „Crocodiles“, die derzeit um den Aufstieg in die Regionalliga Nord kämpfen. Dass die schlechter Eishockey spielen als die Freezers, ist ihm egal. Doch die Atmosphäre ist einfach nicht vergleichbar: Ein paar Hundert Hartgesottene finden Platz in der kleinen Farmsener Eissporthalle, und wenn Ralf Pellowski dort steht, dann weiß er, warum er den Eisplaneten der Freezers so liebt: „Das ist einfach eine andere Welt.“
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