Ungleichheit auf zwei Rädern

Die soziale Fahrradfrage

Immer mehr Hamburger:innen fahren Rad. Aber erreicht die Mobilitätswende auch die Menschen außerhalb des Stadtzentrums? Redakteur Jonas Fabricius-Füllner war unterwegs und hat seine Zweifel.

·
Angstraum Straße

Radfahren verlernt man nicht?

Etwa jede:r dritte Radfahrende fühlt sich unsicher auf Hamburgs Straßen. Wenn sich durch einen Unfall noch Angst dazu gesellt, kann man sogar komplett blockieren, wie Eva Romislava erfahren musste.

·
Sternbrücke

Wird der Neubau doch viel kleiner?

In die festgefahrene Debatte um den geplanten Neubau der Sternbrücke kommt Bewegung: Grüne und SPD wollen einen kleineren Entwurf prüfen lassen. Eine Anwohner*inneninitiative protestiert am Wochenende für weniger Platz für Autos.

·
Ghostbikes

Gedenktour für verunglückte Radfahrer

Mit einer stillen Radtour haben Hamburger verunglückten Radfahrern gedacht. Auf die Unfallgefahren machen in den USA Aktivisten mit Ghostbikes aufmerksam. Sie dienen als Mahnmal. Eine Fotostrecke zeigt diese Geisterräder.

·

Der Bastler

Michael Franzke „pimpt“ Fahrräder. Eine Leidenschaft, die sich auszahlt, wie Markus Bruhn von ihm erfuhr.

(aus Hinz&Kunzt 179/Januar 2008)

Michael Franzke steht hinter dem Tresen seines Ladens in der Müggenkampstraße, Leuchtröhren erhellen den auf halber Kellerhöhe liegenden Raum. Der 38-jährige AC/DC-Fan zeigt auf ein Fahrrad, das rechts von ihm an der Wand steht: „Mein Lieblingsstück, die ‚Queen‘. Da steckt einige Arbeit drin.“ Das lang gezogene, tief liegende Gestell mutet an wie eine Harley.

Kleine Freiheit

Migrantinnen lernen Radfahren – und gewinnen ein Stück Unabhängigkeit. Nina Golde ist mitgefahren

(aus Hinz&Kunzt 180/Februar 2008)

Ein grauer Wintertag. Dicke Wolken hängen über der Stadt. Sprühregen dringt in jede Ritze der Kleidung. Wind zaust nasse Haare und lässt kaum einen Regenschirm heil. Ein Tag für die Zukunft? Unbedingt!

Eine Gruppe Frauen steht auf dem Außengelände des Altonaer Turnvereins inmitten eines Dutzends Fahrräder. Auf dem Platz herrscht aufgeregtes Durcheinander. Wild diskutieren und gestikulieren die einen. Andere drehen eine Runde auf dem Rad – ein wenig unsicher, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Endlich: ein eigenes Fahrrad.

Zwölf Frauen aus unterschiedlichen Ländern hatten denselben Traum: Fahrrad fahren lernen. In Deutschland ist das eine Selbstverständlichkeit – schon in Kindertagen ist man hier auf zwei Rädern unterwegs. Anderswo ist das nicht üblich.

Safiye Fidan-Denizhan stammt aus der Türkei. Früher war die 39-Jährige oft neidisch, wenn sie jemanden auf dem Fahrrad sah. Mit dem Besuch des Kurses hat sie sich einen Lebenstraum erfüllt: „Kennen Sie das Gefühl, wenn man etwas unbedingt tun will, und plötzlich kommt eine Gelegenheit und man denkt: Das ist wie für mich gemacht?“

Als sie den Aushang am schwarzen Brett eines Kindergartens sah, zögerte sie keinen Moment und meldete sich an. „Natürlich hatte ich auch Angst. Angst davor, dass ich es nicht schaffe“, sagt sie. „Aber nun kann ich endlich mit meinem Sohn zusammen Fahrrad fahren, das bedeutet mir so unglaublich viel.“

Zunächst mit Rollern, dann auf kleinen Klapprädern begann der Traum vom Radeln, Gestalt anzunehmen. Keine Schramme konnte die Teilnehmerinnen davon abhalten, wieder aufzusteigen und zwei Wochen lang jeden Tag pünktlich zu Kursbeginn zu erscheinen.

Heba Mohamed aus Ägypten hat durch eine Freundin von dem Angebot erfahren, das der Hamburger Sportbund unterstützt. Sie hat ein Stück Freiheit gewonnen, meint die 22-Jährige: „Ich kann nun mal eben zum Einkaufen oder zu meiner Freundin fahren.“

Noch ist allerdings unklar, ob und wann der nächste Kurs starten kann. Das hänge auch davon ab, wie viele Frauen sich anmelden, so der Sportbund. Interessierte können sich bei Ini-tiatorin Margarita Martinez melden.

Ein eigenes Fahrrad kann sich kaum eine der Frauen leisten. Deshalb ist heute ein besonderer Tag. Mithilfe eines Spendenaufrufs sind einige Räder zusammengekommen, die an die Kursteilnehmerinnen verteilt werden. Die Begeisterung ist groß. Viele haben ihren Ehemann oder ihre Kinder mitgebracht. Und obwohl alle durchnässt sind vom Dauerregen, lässt sich keine der Frauen davon abhalten, die Räder nacheinander auszuprobieren, um für sich das Passende herauszusuchen.

Aber nicht alle gehen mit einem Fahrrad nach Hause. Viele der Räder sind zu groß oder genügen den Ansprüchen von Fahrradanfängern nicht. Diejenigen, die leer ausgehen, sind ein wenig enttäuscht.

Ein Wiedersehen wird es geben: Für das Frühjahr ist eine Radtour geplant.

Nina Golde