Straßenmagazin

Die neue Hinz&Kunzt ist da!

Der Platz in öffentlichen Unterkünften wird immer knapper – für Flüchtlinge und Obdachlose! In der Oktoberausgabe haben wir deshalb gleich drei Artikel dazu. Außerdem: Neue Mitte Altona, die Suche nach den Eigentümern von Raubkunst und ein Interview mit Marcus Wiebusch.

Nr. 8: Innenstadt für alle!

Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen

(aus Hinz&Kunzt 127/November 2003)

Darum geht es:

Theoretisch darf sich jedermann auf Straßen und Plätzen aufhalten, so lange er will. Praktisch gilt das für Bettler, Drogenkranke, Obdachlose und Alkoholiker nicht immer. Sie würden die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören und mit Anblick und Verhalten Bürger belästigen, argumentieren manche und fordern mehr oder weniger offen die Verbannung der Außenseiter aus den Innenstädten. Gleichzeitig wird der öffentliche Raum zunehmend privatisiert. Ob in Einkaufspassagen oder in Bahnhöfen, immer häufiger gilt: Die Stadt gehört nicht mehr allen.

Der Hintergrund:

Bereits 1996 startete der damalige Hamburger Innensenator Hartmut Wrocklage (SPD) mit Hilfe seines „Bettlerpapiers“ den Versuch, Sozialschwache aus der City – für ihn eine „Visitenkarte der Stadt“ – zu vertreiben. Hinz & Kunzt und andere soziale Organisationen hielten dagegen, die Innenstadt sei für alle da – und gewannen die Mehrheit der Bürger und Politiker für sich. Wrocklage musste seine „Maßnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Stadt“ zurück in die Schublade legen.

Regelmäßig starten seitdem konservative Politiker, Kaufleute und Medien Kampagnen gegen vermeintlich um sich greifende Phänomene wie „aggressives Betteln“, „exzessives Trinken“ und „Pöbelei“. Eine „Verwahrlosung“ des öffentlichen Raums dürfe nicht hingenommen werden, „zwielichtige Gestalten“ würden die Bürger stören und die Umsätze mindern, sagen die Befürworter einer „sauberen Innenstadt“. Was sie meist verschweigen: Längst bietet das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) der Polizei ausreichend Mittel, um gegen „Störer“ vorzugehen: Ordnungsgeld, Platzverweis, Ingewahrsamnahme und Strafanzeige.

Während immer mehr Hüter von Sicherheit und Ordnung durch die Straßen patrouillieren (Städtischer Ordnungsdienst, Altonaer Präventionsdienst usw.), wird der öffentliche Raum immer kleiner, in Hamburg wie anderswo. Besonders sichtbar wurde das nach dem Streit um die Bahnhofsmissionen, den Bahnchef Hartmut Mehdorn vor zwei Jahren anzettelte. Zwar dürfen sich die Missionen weiterhin um die Gestrandeten der Gesellschaft kümmern. Doch drängt sie die Deutsche Bahn AG zunehmend an den Rand der Bahnhöfe. Ähnlich ergeht es Obdachlosen, Alkoholikern und Drogenkranken dort schon länger: Sicherheitsdienste jagen sie in Zusammenarbeit mit dem Bundesgrenzschutz (BGS) regelmäßig fort, eine entsprechend formulierte Hausordnung („Sitzen und Liegen, Betteln und Herumlungern verboten“) macht das möglich.

In der Hamburger City dagegen suchen Geschäftsleute, soziale Initiativen, Behörden und Polizei am Runden Tisch St. Jakobi den Interessenausgleich. Die Stadt komme ihrer sozialen Fürsorgepflicht nicht ausreichend nach, erklärte der Runde Tisch im November 2001 und forderte mehr Straßensozialarbeiter sowie zusätzliche Schlafplätze für Obdachlose. Die Sozialbehörde schickte daraufhin einige Monate lang Streetworker in die Innenstadt – um anschließend zu erklären, es gebe für deren Arbeit „keinen Bedarf“.

Immerhin: Im Rahmen der Spendenaktion „Ein Dach für Obdachlose“ sammelten Geschäftsleute 20.000 Euro und finanzierten so gemeinsam mit der Stadt, die die gleiche Summe zuschoss, die Einrichtung eines „Stützpunktes“ für Obdachlose auf dem Domplatz. Ein Sozialarbeiter der Caritas bietet dort seit Anfang des Jahres seine Hilfe an, Sanitäranlagen gibt es und Schließfächer. Doch das Hilfsangebot reicht nicht aus, sagt City-Manager Henning Albers stellvertretend für den Runden Tisch und fordert mehr Engagement von der Stadt: „Die Gespräche mit der Sozialsenatorin sind im Ergebnis bislang unbefriedigend.“

Derweil beobachten Streetworker die architektonische Vertreibung von Menschen aus der Innenstadt: So sind dem Mitternachtsbus, der Obdachlose an deren Schlafplätzen besucht und sie versorgt, kürzlich drei Männer „verloren gegangen“. Ihnen wurde im Zuge des Baus der Europa-Passage förmlich das Bett abgerissen; sie schliefen dort, wo heute eine Baustelle ist. Wenn die Passage eines Tages zum Flanieren einladen wird, werden sie wohl draußen bleiben müssen – so wie bei anderen privatisierten Einkaufsstraßen und -zentren heute schon.

Wie machen es andere:

Viele Kommunen haben zusätzlich zu den Sicherheits- und Ordnungsgesetzen der Länder „Innenstadtverordnungen“ erlassen, mit denen detailliert alles verboten wird, was etwa Obdachlose so machen: Übernachten im Freien, Zelten, Bier trinken, „Rumlungern“. In einigen Bundesländern schafft die Polizei unliebsame Menschen sogar aus den Städten raus und setzt sie auf dem Land aus, damit sie nicht wiederkommen („Verbringungsgewahrsam“). Städte und Gemeinden, die Sozialschwache als Bürger mit entsprechenden Rechten sehen, geraten zunehmend in die Minderheit.

So müsste es laufen:

– Einkaufszentren, Bahnhöfe und Flaniermeilen sollten allen zugänglich sein

– Mehr niedrigschwellige Aufenthalts- und Arbeitsangebote für Sozialschwache in der Innenstadt, mehr Straßensozialarbeiter

– Ende des Sozialabbaus

– Wer pöbelt, muss die vorgesehenen Strafen in Kauf nehmen

Ulrich Jonas