Katz & Maus mit Obdachlosen
Die Bezirke vertreiben Obdachlose aus Parkanlagen: In Altona mit Platzverweisen und Polizeieinsätzen, in Eimsbüttel obendrein mit einem Zaun. Das eigentliche Problem: Der Senat hilft den Menschen kaum und duckt sich weg.
Die Bezirke vertreiben Obdachlose aus Parkanlagen: In Altona mit Platzverweisen und Polizeieinsätzen, in Eimsbüttel obendrein mit einem Zaun. Das eigentliche Problem: Der Senat hilft den Menschen kaum und duckt sich weg.
Nach zähen Verhandlungen konnten sich die Bezirkspolitiker in Eimsbüttel dazu durchringen, den umstrittenen Zaun am Isebekkanal ab- oder wenigstens umbauen zu lassen. Allerdings erst nach dem Sommer.
Soll ein Zaun am Isebekkanal Obdachlose vertreiben oder sie vor dem Ertrinken bewahren? Das Bezirksamt hatte behauptet, den Zaun zu ihrem Schutz errichtet zu haben. Inzwischen ist klar: Es geht (auch) um Vertreibung.
(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)
E.on | Hanse präsentiert Die Dart-Reportage: Hamburg hat viele unbekannte Ecken. Mit Häusern voller Geschichte und Menschen mit besonderen Lebensläufen. Um sie zu finden, werfen die Reporter einen Dartpfeil auf den Stadtplan. Die Geschichten erzählen von viel menschlicher Wärme oder dem Mangel daran. Diesmal: die Bellealliancestraße in Eimsbüttel.
„Klopfen Sie! Ist das hart?“, sagt Monika Bender und hält das Holzstück mit beiden Händen vor sich. Feines Sägemehl rieselt von dem Block auf den Wohnzimmerboden in der Bellealliancestraße. Als ich zögere, den vielleicht drei Kilo schweren Stammabschnitt anzufassen, wird die Rentnerin laut: „Na los, klopfen Sie schon! Ich will, dass Sie sich wehtun und spüren, dass dieses Holz hart ist.“ Auf den Fingern hinterlässt das Sägemehl einen Staubfilm – ein Hinweis darauf, das der Baum vor nicht allzu langer Zeit gefällt wurde. Die Kastanie, aus der der Block in Monika Benders Händen stammt, stand bis vor wenigen Wochen an der Grenze zu ihrem Hinterhof.
Zwei hellgrüne Plakate auf einem Fahrradhäuschen vor Haus Nummer 51 zeugen noch vom Gefecht um den Baum, für das Monika Bender und einige andere Anwohner eigens eine Bürgerinitiative „PRO Kastanie“ ins Leben gerufen hatten. Die Eigentümer der inzwischen gefällten Kas-tanie hatten einen Gutachter beauftragt, den Gesundheitszustand des Baumes zu bewerten. Seine Diagnose: Umsturzgefahr – zu viel Weichholz im Stamm.
An dem Fahrradhäuschen hat Monika Bender Auszüge eines von „PRO Kastanie“ in Auftrag gegebenen Gegengutachtens angeschlagen. Es bezeugt die Standfestigkeit des Baumes, wenn die Krone durch Schutzleinen gesichert würde. „Die hätten wir sogar bezahlt“, sagt sie. Auf dem Plakat prangt in fetten schwarzen Lettern: „Beweise!!!“ Das Wort hat sie doppelt unterstrichen. Heute erinnern nur noch zwei Dinge an den einstmals 24 Meter hohen Baum: der Rest des Stammes, den die Rentnerin auf ihrem Garderobenschrank im Flur deponiert, und der Baumstumpf im Hinterhof.
Wenn Monika Bender die Tür zum Hof öffnet, bleibt sie an der Schwelle stehen. Hinaus geht sie nicht. „Das letzte Mal, als ich den Stumpf besucht habe, standen die Nachbarn am Fenster und haben mich verhöhnt“, sagt sie und ballt die rechte Hand zur Faust. „Das – will – ich – nicht – mehr.“ Sie presst jedes Wort einzeln heraus. Die Faust hämmert in der Luft. Monika Bender ist eine Baumkämpferin. Und sie ist wütend. Wenn sie über das Erlebnis im Hinterhof spricht, sammeln sich Tränen in ihren Augen.
Vor dem Haus dagegen – von dort kann man den Baumstumpf nicht sehen – wirkt die Bellealliancestraße wie eine heile Welt: Verschnörkelte Fassaden reihen sich aneinander. Blau, rosa, altgelb, ein bunter Mix. Ein paar Designer klicken hinter den riesigen Schaufenstern ihres Büros auf ihren Maustasten herum. Ein Laden im Souterrain bietet Secondhand-Hosen an, ein anderer Haarpflegemittel aus Afrika. Eine Videofirma verleiht kostenlos Filme über den Wassermangel in Entwicklungsländern. In der Eckbar schlürft ein Mann mit Hut seinen Nachmittags-Kaffee. Ein kleiner Junge auf dem Gehsteig presst sich plärrend an die Hauswand. Die Mutter, vielleicht Mitte zwanzig, wartet in einiger Entfernung auf den Trotzigen. Die meisten Passanten lächeln ihr wissend zu.
In der Bellealliancestraße gibt es auffällig viele junge Mütter mit Kinderwägen. Und viele Bäume. Ein paar Kastanien, meistens aber Pappeln. An eine hat jemand einen Zettel gepinnt, auf dem er kalt geschleuderten Bienenhonig aus der Umgebung zum Verkauf anpreist. „Honig aus der Region ist wichtig zur Pollenimmunisierung (Heuschnupfen)“, steht da. Darüber ein Bild von Biene Maja. Drei der Telefonzettelchen sind schon weg. Die Bellealliancestraße, eine Idylle.
Aber eben nicht nur. Hinter den Fassaden brodelt es. „Als sie den Baum abgeholzt haben, dachte ich, ich bekomme einen Herzschlag“, sagt Monika Bender. Nachdem die Motorsägen zu kreischen aufgehört, die Holzfäller ihre Helme eingepackt und die 46 Jahre alte Kastanie fortgeschafft hatten, verordnete sich die Baumkämpferin für einige Wochen Ruhe. Kraft tanken, die Enttäuschung verarbeiten. Doch daraus wurde nicht viel. Vielleicht auch, weil die Wut ins Unerträgliche steigt, wenn man nur herumsitzt.
Die Bellealliancestraße ist eine Zwischenwelt. Durch sie schwappen politische Konflikte aus der benachbarten Sternschanze ins ansonsten eher ruhige Eimsbüttel. Der Blumenladen wirbt mit dem Spruch: „Zur schönen Verbindung“. Belle Alliance. Die Mitglieder von „PRO Kastanie“ nehmen den Straßennamen wörtlich. Sie haben sich zusammengetan, die Idylle zu erhalten. Statt lange um die Kastanie zu trauern, haben sie sich in einen neuen Kampf gestürzt – diesmal um die Linden rund um den Wasserturm im Schanzenpark. Die Mövenpick-Kette will den Turm als Hotel nutzen und einen Glasanbau errichten. „Wenn das Bezirksamt den Bauarbeitern keine zwingenden Auflagen macht, können die Bäume ganz leicht umgeholzt werden“, sagt Monika Bender. Sie befürchtet, dass sich ein Fall wiederholen könnte, der sie für die Bäume mobilisiert hat. Da ließ ein Autohaus in der Nähe der Bellealliancestraße rund 40 Bäume fällen – die Bauarbeiter wussten nicht, dass die Bäume geschützt waren. Seitdem sieht Monika Bender dreimal hin, wenn es um Anbauten geht.
Um das Bezirksamt zu strengen Schutzauflagen für die Linden im Park zu bewegen, haben Monika Bender und ihre Mitstreiter ein Bürgerbegehren gestartet. Bis Mai verteilen sie Unterschriftenlisten in Cafés, Bars und Geschäften. Die ausgefüllten Listen sammelt der Getränkehändler Claus Ebeloe, der seinen Laden ebenfalls in der Belle-alliancestraße betreibt. Gerade ist eine neue Bierlieferung angekommen. Claus Ebeloe verfrachtet die Kisten mit einer Sackkarre vom Bürgersteig in sein Geschäft, stapelt sie zu mannshohen Türmen. Er arbeitet allein. Für das Bürgerbegehren kann der Kleinunternehmer nur wenig Zeit aufbringen. „Aber als Frau Bender mich gefragt hat, ob sie die Adresse vom Laden auf den Zetteln angeben darf, habe ich zugesagt. Das ist doch das Mindeste als Nachbar“, sagt er. Schon hat er den nächsten Kasten gepackt, hält dann aber ein, stellt ihn wieder zurück.
Er richtet sich auf und krempelt seine Ärmel hoch. „Ich weiß nicht, warum Frau Bender sich so verschleißt. Die Lobby können wir doch ohnehin nicht überzeugen“, sagt er. Genau das will Monika Bender: „Ich mache das, weil die Leute die Einsicht brauchen, dass Bäume für uns Menschen unersetzlich ist. Unersetzlich!“ Wieder hämmert die Faust im Rhythmus der Worte. Für Monika Bender gibt es da keine Diskussion.
Die Initiatoren des Bürgerbegehrens müssen rund 6000 Einwohner des Bezirks Eimsbüttel von dieser Einsicht überzeugen – und zur Unterschrift bewegen. Dann kommt es zur Volksabstimmung über den Erhalt der Linden im Schanzenpark. „Das Gute ist: Schon wenn wir ein Drittel dieser Unterschriften zusammen haben, darf bis zur Abstimmung kein Baum gefällt werden“, sagt Bender, die sich inzwischen im Behördendschungel auskennt. Seitdem die Kastanie in ihrem Hinterhof gefällt wurde, weiß sie auch: Hat das Amt erst einmal eine Genehmigung erteilt, kann es die nur schwer zurücknehmen. Ob Monika Bender den Beamten mit dem nötigen Drittel der Unterschriften rechtzeitig zuvorkommt, weiß sie nicht. Sie kann nur hoffen. Und Zettel verteilen. Und derweil auf Holz klopfen.
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