Hart, pragmatisch, charmant

Innensenator Udo Nagel über den Tod eines Hinz&Kunzt-Verkäufers, das Miteinander in der City und das neue Polizeigesetz

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Besuch beim Volk

SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow stellt sich den Fragen von Hinz & Künztlern

(aus Hinz&Kunzt 132/Februar 2004)

Der Verkaufsraum von Hinz&Kunzt: Hier holen Verkäufer ihre Zeitungen ab, trinken Kaffee, rauchen, dösen oder diskutieren. Letzte Unklarheiten über die Hamburger Politik sind gerade ausgeräumt („Wie, ist nicht die SPD an der Regierung?“), als plötzlich ein Mann im Raum steht. Kaum jemand hat ihn eintreten sehen. Er sagt eine Spur zu entschieden „Guten Tag“, dann legt er den eleganten Mantel und seinen Schal ab.

„Herr Mirow, warum sollen Obdachlose SPD wählen?“ Thomas Mirow, 51, sozialdemokratischer Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl, hat anders als Ole von Beust nicht gekniffen (siehe Seite 5). Jetzt steht er vor den Hinz & Kunzt-Verkäufern und sagt bedächtig: „Es tut weh, diese Frage zu beantworten, denn vieles, was für uns wichtig ist, ist für Sie nur begrenzt relevant.“ Dann holt er doch aus: „Die Richtung in der Sozialpolitik stimmt nicht mehr.“

Straßensozialarbeit, Winternotprogramm für Obdachlose, HVV-Sozialticket – überall sei gestrichen worden. Und der jetzige Senat suche das Gespräch mit den sozialen Einrichtungen nicht mehr. Warum heißt es dann im SPD-Wahlprogramm „Fördern und fordern“ – nicht anders als bei der CDU? „Das ist richtig, aber ein Unterschied bleibt: Wir nehmen das Fördern ernst.“

[BILD=#mirow2][/BILD]Wie geht es in der Innenstadt weiter? Haben Bettler und Obdachlose dort auch weiterhin Platz? Ja, sagt Mirow, er sei gegen eine Innenstadtverordnung, die in anderen Städten zum Beispiel das Übernachten im Freien verbietet. Aber ein Alkoholverbot für öffentliche Plätze will die SPD doch, oder? Mirow: „Ich habe mir über dieses Instrument noch keine abschließende Meinung gebildet.“ Streng setzt er nach: „Stark alkoholisierte Menschen in der Innenstadt sind ein Ärgernis.“ Die Bemerkung, dann sei es mit dem Stuttgarter Weinfest vor dem Rathaus wohl vorbei, quittiert er ohne Lächeln.

Wenn jemand nüchtern wirkt, dann Mirow. Der promovierte Politikwissenschaftler blickt auf eine glänzende Karriere im Hintergrund der Macht zurück. Er zog Fäden, ohne dafür ganz vorn zu stehen: als Büroleiter von Willy Brandt, Chef der Hamburger Senatskanzlei, Senator für Stadtentwicklung und Wirtschaft, als selbstständiger Politikberater. Doch jetzt muss Mirow selbst als Spitzenkandidat von allen Plakaten lächeln. Was hat ihn dazu gebracht? Berechnung? Parteidisziplin? Wenn es Leidenschaft ist, verbirgt er sie gut.

„Waren Sie schon mal im Landessozialamt?“, will Hinz&Kunzt-Verkäufer Peter Reinhardt vom Kandidaten wissen. „Nein, mein Weg hat mich bisher nicht dorthin geführt“, sagt Mirow. Reinhardt schildert die Zustände: stundenlange Wartezeiten, überlastetes Personal. Mirow nickt und sagt knapp: „Gut, dann hat Christian Bernzen was zu tun.“

Christian Bernzen steht neben ihm. Er ist in Mirows „Kompetenzteam“ für Soziales zuständig. Der 41-Jährige führt eine Anwaltskanzlei, die zahlreiche soziale Institutionen vertritt. Über die Wurzeln seines Engagements sagt er schlicht: „Ich bin ein Mann der katholischen Soziallehre. Das war familiär unausweichlich.“ Sein sozialpolitisches Credo: Hilfeempfänger ernst nehmen, sie nicht als Objekt staatlicher Zuwendung sehen, ihnen mehr Verantwortung geben, die Sozialpolitik entstaatlichen. „Viele Menschen leisten wichtige Beiträge, die gar nicht erkannt werden.“

In einer aktuellen Frage zeigt sich Bernzen gut informiert: Sozialhilfeempfänger, die viele Medikamente brauchen, müssen die Jahres-summe für Zuzahlungen manchmal schon im Januar aufbringen. Könnte da nicht das Sozialamt das Geld vorstrecken, fragt H&K-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. Ja, sagt Bernzen, das Bundesgesetz sehe diese Möglichkeit vor, Hamburg habe sie aber nicht umgesetzt. In der Deputation wolle er demnächst darauf hinweisen. „Schön, wenn wir ein Thema für den Wahlkampf haben. Aber noch schöner, wenn wir den Menschen schnell helfen könnten.“

Mirow erntet unterdessen Applaus für seine Ankündigung, die SPD wolle jährlich 2400 neue Sozialwohnungen fördern. Als Verkäufer Reinhardt sagt, er suche schon seit einem Jahr eine Wohnung, und das mit Dringlichkeitsschein, antwortet Mirow unerschütterlich korrekt: „Wo es Ansprüche gibt, ist die Stadt verpflichtet, ihnen zur Durchsetzung zu verhelfen.“

Nach 30 Minuten muss der Spitzenkandidat weiter. Beim Schlusswort wird es still im Raum. „Ich würde Ihnen gern den Eindruck vermitteln, dass ich nicht die Absicht habe, Ihnen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Dazu ist Ihre Lage zu ernst.“ Die Sprache ist akademisch, die Botschaft kommt an. Die Verkäufer danken es mit Beifall.

Detlev Brockes

Und alles ohne Ole!

Geschichte eines nicht zustande gekommenen Interviews

Unser Draht ins Rathaus ist momentan so heiß wie nie. So oft, wie wir in den vergangenen Wochen mit der Senatskanzlei telefoniert haben, telefoniert man sonst nicht mal mit seinen besten Freunden. Natürlich gings um Ole – seit dem Start des Wahlkampfs („Ole wählen!“) darf man ihn auch offiziell so nennen. Schließlich wollten wir nicht nur den Herausforderer Thomas Mirow zum Hausbesuch einladen, sondern auch den Spitzenkandidaten der CDU.

Am Stehtisch im Vertrieb sollten sich die Spitzenkandidaten an unterschiedlichen Tagen den Fragen der Hinz & Künztler stellen. Reaktion von Senatssprecher Christian Schnee: „Das ist eine Gruppendiskussion“, beschied er. „Und das machen wir nicht.“ Auch terminlich sahs schlecht aus. „Schließlich muss Ole von Beust nebenbei regieren. Das ist bei Thomas Mirow ja nicht der Fall“, sagte Schnee spitz. Angebot zur Güte: Zwei Vertreter von Hinz & Kunzt dürfen den Bürgermeister besuchen. Verkäufer Peter Reinhardt bereitete sich intensiv vor. Akribisch schrieb er Fragen auf: Um die Abschaffung des Sozialtickets sollte es gehen, die Praxisgebühren – und die Frage: Sind Sie ein Bürgermeister der Armen?

Weils so speziell war, bat die Senatskanzlei um die Vorabsendung der Fragen – und verschob den Termin. Wir vereinbarten allgemeine Fragen – dachten aber nicht, selbst die vorab schicken zu müssen. Wieder wurde der Termin verschoben. Tja, und dann war Redaktionsschluss. Irgendwas ist immer.

Birgit Müller

Parteien-Check zur Wahl

(aus Hinz&Kunzt 132/Februar 2004)

Zum zehnjährigen Bestehen von Hinz&Kunzt haben wir zehn Wünsche für Hamburg für Hamburg veröffentlicht. Einige Forderungen finden parteiübergreifend Zuspruch. Hier die Antwort der Bürgerschaftsfraktionen.

Nr. 1: Die Krankenstube für Obdachlose ist hoffnungslos überfüllt.

H&K fordert: Mehr Betten für kranke Obdachlose.

Wir fordern: Hausbesuch statt Räumung

Hinz&Künztler Michael (Name geändert) wohnte drei Jahre lang in einer kleinen Wohnung außerhalb Hamburgs. Solange er Arbeitslosengeld II bekam, überweis das Amt die Miete direkt an den Besitzer der Wohnung. Dann fand Michael über eine Zeitarbeitsfirma eine Anstellung, verdiente 900 Euro netto. Er hätte das Geld für die Miete gehabt, doch Michael ist seit mehr als 25 Jahren spielsüchtig. Als er Schwierigkeiten im Job bekam und es mit der erhofften Festanstellung nicht klappte, hatte er einen heftigen Rückfall.

Wir fordern: Mehr Sozialwohnungen!

Die Hinz&Künztler Sonja Peters und Achim Döring suchen seit Anfang des Jahres 2008 eine Wohnung. Tag für Tag sitzen die beiden über den Tageszeitungen oder am Internet-Rechner von Hinz&Kunzt und wühlen sich durch Wohnungsangebote. „Wir haben seitdem bestimmt fünf Wohnungen pro Woche besichtigt“, sagt Sonja

Aber sie erhalten immer nur Absagen. Anspruchsvoll sind die beiden nicht: „Wir suchen eine Anderthalb- oder Zwei-Zimmer-Wohnung. Wo ist uns mittlerweile egal, aber schon im Stadtgebiet von Hamburg.“ Die Miete der Arbeitslosengeld-II-Empfänger würde das Amt bezahlen. „Es müsste mehr Sozialwohnungen geben“, sagt Achim. „Dann würden sie einen wie mich, mit langen Haaren, auch mal nehmen.“ Sonja und Achim schlafen zurzeit wieder in einer Notunterkunft.

WohnungssucheIn den Hochzeiten des sozialen Wohnungsbaus in den 70er-Jahren gab es in Hamburg 400.000 der preisgünstigen Wohnungen, heute nur noch rund 100.000. Der Trend gilt bundesweit, seitdem Bund, Länder und Städte den Bau von gefördertem Wohnraum zurückfahren. Die Folge: In den Ballungsgebieten ist es für Menschen mit geringem Einkommen oder sozialen Problemen immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Deshalb unsere Forderung: Es muss es mehr bezahlbaren Wohnraum geben und der soziale Wohnungsbau deutlich gefördert werden!

Und das sagen die Hamburger Spitzenkandidaten zu unserer Forderung:

Dirk Fischer, CDU: Aus Kostengründen ist es momentan nicht leistbar, das Auslaufen von Belegbindungen von Sozialwohnungen durch die gleichzeitige Begründung neuer Bindungen im Neubau oder etwa im Rahmen von Modernisierungen aufzufangen. Der Auslauf der Belegbindung einer Sozialwohnung bedeutet aber nicht automatisch eine Änderung der Mietsituation. Oftmals bleibt der günstige Quadratmeterpreis (weit unter dem Durchschnitt des Hamburger Mietspiegels) erhalten.
Die CDU Hamburg setzt nicht nur auf sozialen Wohnungsbau. Ziel muss es sein, ausreichend Wohnraum für die vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Hamburg zu schaffen. Dazu zählen Jung und Alt, Familien und Alleinstehende, Haushalte mit geringem und hohem Einkommen. Deswegen unterstützt sie den vom Senat eingeschlagenen Weg eines integrativen Ansatzes. Hierdurch soll eine deutliche Verbesserung der Versorgungssituation von Zielgruppen mit Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt erreicht werden. Hierzu verfolgt die zuständige Behörde zusammen mit externen Partnern den Ansatz, den Kooperationsvertrag mit der Wohnungswirtschaft weiterzuentwickeln, neue, zielgerichtete (Förder-)Instrumente auszugestalten und den Dialog zwischen allen Beteiligten zu intensivieren.

Olaf Scholz, SPD: Wir brauchen mehr Wohnraum, und vor allem bezahlbaren Wohnraum! Das fordert die SPD in Hamburg schon seit langem. Zuletzt im Juli, als der schwarz-grüne Senat seinen Wohnungsbauentwicklungsplan vorgelegt hat. Nochmals wurden darin die Schwächen der Wohnungsbaupolitik der letzten Jahre sehr deutlich. Der Bund hat mit der Föderalismusreform zwar 2006 seine Zuständigkeit abgegeben, dafür aber im Gegenzug bis 2013 seine finanziellen Zuwendungen verdoppelt. Es ist an den Ländern, die Gelder abzurufen. In Hamburg scheinen derzeit lieber Konzertsäle als Wohnungen gebaut zu werden.

Krista Sager, GAL: Der unter grüner Federführung ausgearbeitete Wohnungsbauentwicklungsplan bündelt Maßnahmen zur Steigerung des Wohnungsneubaus in Hamburg. Unsere Meinung, dass hier erhöhte Anstrengungen erforderlich sind, hat sich auch im Senat durchgesetzt. Angestrebt werden 5000 bis 6000 fertiggestellte Wohnungen pro Jahr, wobei ein nennenswerter Anteil davon im geförderten Wohnungsbau erstellt werden soll. Dabei soll die Saga/GWG verstärkt wieder als Bauherr auftreten, die Fördermittel wurden auf 120 Millionen Euro pro Jahr erhöht. Von den Gesellschaften werden zudem Mietpreisbindungen und Belegungsbindungen angekauft für die Menschen, die es am nötigsten haben.

Jan van Aken, Linke: Die Linke möchte mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau stecken. Hierbei ist es wichtig, dass diese Wohnungen sozialverträglich im Stadtgebiet verteilt werden. Außerdem müssen die öffentlichen Wohnungsunternehmen ihre sozialen Aufgaben wahrnehmen. Die Saga/GWG muss jährlich drei Millionen Euro an den Senat abführen. Geld, das für die sozialen Aufgaben fehlt und dazu führt, dass die Saga/GWG gern auch mal die Mieten erhöht, wenn eine Wohnung aus der Mietpreisbindung fällt. Das muss sofort aufhören!

Burkhard Müller-Sönksen, FDP: Insbesondere einkommensschwächere Haushalte benötigen Unterstützung bei der Wohnraumversorgung. Für den sozialen Wohnungsbau sind jedoch seit dem 1. September 2006 die Länder zuständig, denen im Zuge der Föderalismusreform die Zuständigkeit für die Gesetzgebung zur sozialen Wohnraumförderung übertragen wurde. Vom Bund werden hierfür bis 2013 jährlich 518 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau sind somit erstrangig bei den Ländern zu suchen, das heißt in Hamburg beim schwarz-grünen Senat. Die FDP unterstützt allerdings lieber Bürger mit erhöhtem Wohngeld als „Metropolaufschlag“ mit der sogenannten Subjektförderung, als dass wir Vermietern beziehungsweise Eigentümern von Sozialwohnungen verbilligtes Baugeld geben, also mit der sogenannten Objektförderung. So vermeidet man später auch die Fehlbelegungsabgabe.

Was die Hamburger Politiker auf unsere anderen Forderungen geantwortet haben, lesen Sie in der aktuellen Hinz&Kunzt. Den Artikel können Sie sich auch auf unserer Homepage herunterladen (hier geht´s zur aktuellen Ausgabe).

Wir haben die Wahl

Zur Bundestagswahl am 27. September haben wir die Hamburger Spitzenkandidaten der fünf wichtigsten Parteien gebeten, auf unsere politischen Forderungen zu antworten.
Hinter unseren Forderungen stecken unsere Erfahrungen mit sozialschwachen Menschen, die auch von Politikern Unterstützung brauchen. Vier Hinz&Künztler erzählen in diesem Monat in unserem Blog ihre Geschichten und erklären damit, warum unsere Forderungen so wichtig sind. Sie lauten:

1) Tariflohn statt Ein-Euro-Job!
2) Hausbesuch statt Räumung!
3) Fördern statt Überfordern!
4) Mehr Sozialwohnungen!
5) Konto für jedermann!

Was Dirk Fischer (CDU), Olaf Scholz (SPD), Krista Sager (GAL), Jan van Aken (Linke) und Burkhard Müller-Sönksen (FDP) auf unsere Forderungen geantwortet haben, lesen Sie in der aktuellen Hinz&Kunzt. Den Artikel können Sie sich auch auf unserer Homepage herunterladen (hier geht´s zur aktuellen Ausgabe). Die Geschichten der Hinz&Künztler lesen Sie in diesem Monat im Blog.