85 Jahre Hilfe für wohnungslose Männer
Alleinstehend, männlich, wohnungslos: Für diese Gruppe gibt es auf dem Wohnungsmarkt kaum Hoffnung. Das Bodelschwingh-Haus aber vermittelt seit 85 Jahren Plätze im hauseigenen Wohnheim und in Wohnungen.
Alleinstehend, männlich, wohnungslos: Für diese Gruppe gibt es auf dem Wohnungsmarkt kaum Hoffnung. Das Bodelschwingh-Haus aber vermittelt seit 85 Jahren Plätze im hauseigenen Wohnheim und in Wohnungen.
(aus Hinz&Kunzt 123/Mai 2003)
Das Winternotprogramm ist vorbei. Kirchencontainer, Wohnschiffe und Notquartiere in Fachhochschulen schließen ihre Türen. Für hunderte von Obdachlosen heißt es jetzt: Zurück auf die Straße. Denn selten zuvor schienen die Aussichten auf eine eigene Wohnung so schlecht zu sein wie in diesem Jahr.
„Es sieht ganz düster aus. Die großen Wohnungsgeber sträuben sich immer häufiger, Sozialhilfeempfänger aufzunehmen“, sagt Sigrid Hochdörfer vom Verein „Trotzdem“, der Haftentlassenen hilft, eine Wohnung zu finden. „Wahrscheinlich denken die, wer den ganzen Tag zuhause hockt, der randaliert schnell mal. Und die Saga ist ja zur Zeit auf einem totalen Sanierungskurs.“ Da passen Problemmieter wie ehemalige Obdachlose, Haftentlassene und Sozialhilfeempfänger nicht mehr ins Bild.
Das Integrationsprojekt unterhält 30 Übergangswohnungen für Haftentlassene und schaffte es bislang noch, zwischen 67 und 70 Prozent der Ex-Knackies in eigene feste Wohnungen zu vermitteln. „Aber es wird immer schwieriger“, sagt Sigrid Hochdörfer. Im zweiten Halbjahr 2000 fanden noch 19 Männer mit Hilfe des Vereins eine eigene Wohnung, 2001 waren es nur elf. Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor.
Ähnliche Erfahrungen macht auch das Bodelschwingh-Haus, eine stationäre Einrichtung des Diakonischen Werkes, in der 70 Männer vorübergehend wohnen können: Die Männer würden im Schnitt zwei bis drei Monate länger im Bodelschwingh-Haus wohnen. Einfach deshalb, weil sie trotz großer Anstrengung keine eigene Wohnung finden. Dieser Trend verschärfe sich in den kommenden Monaten noch, weil das Winternotprogramm ausgelaufen sei. Dann werden die etwa 215 Männer und Frauen, die den Winter über in zusätzlich eingerichteten Notunterkünften hausten, zusätzlich auf den Wohnungsmarkt drängen.
Doch den Beratungsstellen bleibt oft nichts anderes übrig als die Leute an Notlösungen wie das Pik As zu vermitteln. Der Traum von der eigenen Wohnung bleibt für viele ein frommer Wunsch. Denn die Vermittlungszahlen der sieben Beratungsstellen für Personen mit Wohnungsproblemen sprechen eine deutliche Sprache: Konnten die Sozialarbeiter vor fünf Jahren noch 40 Prozent der Wohnungslosen bei der Saga oder der Gesellschaft für Bauen und Wohnen GWG unterbringen, waren es im Jahr 2001 nur noch 20 Prozent.
Besonders dramatisch macht sich die Weigerung der stadteigenen Wohnungsunternehmen in der Beratungsstelle Billstedt bemerkbar. Dort nahmen Saga und GWG im Jahre 1998 fast 90 Prozent aller Menschen auf, die die Beratungsstelle der Caritas in Billstedt und Bergedorf vermittelt hatte. Im Jahr 2001 waren es nur noch acht Prozent. Für das vergangene und das laufende Jahr erwarten die Sozialarbeiter vor Ort keine Besserung. Und das, obwohl die beiden Wohnungsunternehmen mit insgesamt 134.000 Wohnungen nicht nur wirtschaftlichen Grundsätzen, sondern auch sozialen Aspekten verpflichtet sind.
Da hilft es auch wenig, dass die Organisatoren des Winternotprogramms zumindest keinen Anstieg der Obdachlosenzahlen bemerkt haben: „Die Zahl der Obdachlosen, die im Winternotprogramm Schutz vor der Kälte suchten, ist ungefähr gleich geblieben“, sagt Kay Ingwersen, Sprecher von pflegen & wohnen. Insgesamt wurden auf dem Wohnschiff „Bibby Altona“ in Neumühlen vom 1. November 2002 bis Anfang April dieses Jahres 12.400 Übernachtungen gezählt. „Das sind 3100 Übernachtungen weniger als im Vorjahr“, so Ingwersen. Dafür seien im gleichen Zeitraum wesentlich mehr Obdachlose ins Pik As gezogen. „Dort sind wir eigentlich ständig mit Überlast gefahren“, sagt Ingwersen. Obwohl das Pik As eigentlich nur 190 Schlafplätze bereitstelle, seien bis zu 245 Männer pro Nacht dort gewesen. Das Haus sei im Schnitt zu 125 Prozent überbelegt gewesen.
Warum in diesem Winter mehr obdachlose Männer ins Pik As gingen, könne er nur vermuten. Im Vorjahreszeitraum zählten die Mitarbeiter von pflegen & wohnen auf dem damaligen Wohnschiff „Bibby Challenge“ immerhin noch 15.500 Übernachtungen. „Ein Grund könnte sein, dass die ‚Bibby Challenge‘ damals einen großen Schlafsaal hatte, der sehr beliebt war“, so Ingwersen. „Es gab dort insgesamt mehr Platz für den Einzelnen.“ Doch auch das könnte ein Grund für sinkende Zahlen sein, wird in der Szene vermutet: In den vergangenen Jahren hätten Drückerkolonnen das Winternotprogramm der Wohnschiffe missbraucht, um ihre Mitarbeiter kostenlos unterzubringen. In diesem Jahr müssen die Männer auf dem Wohnschiff ihre Ausweise vorzeigen. Es sollen nur noch wirkliche Obdachlose an Bord. Selbst zum Ende des Programms im April seien die Belegzahlen noch immer sehr hoch gewesen. „Das liegt“, so Ingwersen, „auf jeden Fall an dem langen Winter, den wir dieses Jahr hatten.“
Zu einer anderen Bilanz kommen dagegen die Mitarbeiter der Tagesaufenthaltsstätte Bundesstraße, die die Containerplätze vermittelt hat: „Der Andrang war riesig“, sagt Mitarbeiterin Rika Klauzsch. „Am Anfang standen die Männer bis auf die Straße hinaus Schlange. Wir haben absolut steigende Zahlen und hätten noch mehr Kapazitäten gebraucht. Sowohl beim Winternotprogramm als auch bei der Essensausgabe: Zum ersten Male haben wir über das Jahr gesehen mehr als 20.000 Essen ausgegeben.“
Auch Peter Lühr, der Leiter der Beratungsstelle für Haftentlassene in der Kaiser-Wilhelm-Straße, sieht wenig Anlass zu Optimismus: In Hamburg werden täglich fünf Strafgefangene aus der Haft entlassen, die keine Wohnung haben, so Peter Lühr. Die Chancen für diese Männer, in absehbarer Zeit in eine eigene Wohnung zu kommen, hätten sich drastisch verschlechtert. „Die Stadt gibt gern Menschen zu uns in die Haftanstalten ab“, sagt Peter Lühr, „aber wieder nehmen will sie sie nicht.“
(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)
Welche Angebote gibt es für Menschen, die nicht mehr auf der Straße leben wollen? In dieser Ausgabe stellen wir das Bodelschwingh-Haus vor.
Hinz & Kunzt-Verkäufer Heinz hält einen Schlüssel in der Hand: für anderthalb Zimmer mit Küche und Bad in Barmbek. Es ist seine Wohnung – auch wenn im Mietvertrag noch jemand anderes steht: das Bodel-schwingh-Haus, eine der großen stationären Hilfseinrichtungen für Obdachlose in Ham-burg.
Heinz war früher Tankwart, wurde arbeitslos, jobbte als Hafenarbeiter. Die Wohnung, in der er mit seiner Freundin gelebt hatte, konnte er nach deren Tod nicht mehr halten.
Seit Oktober 2001 lebt er im Bodelschwingh-Haus.
Die Geschichte des Hauses reicht zurück bis 1927: Damals gründete die Hamburger Kirche für obdachlose Männer das Haus Scharhörn. Wie die Chronik berichtet, gefiel den Nazis die kirchliche Arbeit nicht: Sie rügten schon 1933, dass die Bewohner nicht zur Arbeit verpflichtet waren, und wiesen keine Obdachlosen mehr zu. 1937 stellte das Haus seine Arbeit ein. 1950 wurde es als Bodelschwingh-Heim wiederer-öffnet.
„Im Frühjahr 2003 beginnen wir mit dem vollständigen Umbau“, sagt Leiter Horst Nitz. Das bezieht sich nicht nur auf die Wände im Haus, sondern auch aufs Konzept. Aus knapp 60 Einzelzimmern mit Gemein-schaftsküchen werden im Lauf von zwei Jahren 40 Appartements mit WC, Dusche und Kochnische. „Die Bewohner haben dort eine ähnliche Verantwortung wie in einer eigenen Wohnung. Das erleichtert den Übergang“, so der Sozialarbeiter.
Die Zahl der Plätze im Hauptgebäude wird also sinken. Doch zum Ausgleich sollen zusätzliche dezentrale Plätze entstehen: Wohnungen im Stadtgebiet, die das Bodelschwingh-Haus anmietet – mit der Aussicht, dass Bewohner den Vertrag später übernehmen. So wie bei Hinz & Künztler Heinz. Begonnen hat dieses Modell vor fünf Jahren. 25 Wohnungen wurden seither angemietet. Die Bewohner haben weiter-hin einen Ansprechpartner im Bodelschwingh-Haus, sie können dort ihr Geld verwalten lassen oder an Freizeitangeboten teilnehmen.
In Zukunft mehr solcher Wohnungen zu akquirieren, ist der Job von Katharina Schwabe. Die gelernte Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft arbeitet seit Mitte des Jahres im Bodelschwingh-Haus; vorher war sie in der Privatwirtschaft tätig. „Der Markt bei Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen ist äusserst eng“, sagt die Wohnraum-Managerin, die hauptsächlich bei den städtischen Gesellschaften SAGA und GWG akquiriert.
Pluspunkte des Modells: „Die Vermieter wissen, an wen sie sich wen-den können“, so Katharina Schwabe. Und auch wenn ein Bewohner selbst zum Hauptmieter geworden ist, steht er nicht allein. Er kann die Nachsorge des Bodelschwingh-Hauses in Anspruch nehmen. Seit 1996 wurden auf diese Weise immerhin 180 Klienten unterstützt. Die Zahl der Wohnunnungsräumungen, so die Einschätzung des Bodel-schwingh-Hauses, sei dadurch „stark zurückgegangen“.
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