Arbeit, Würde, Hoffnung
Das „Job Club Mobil“ hilft Menschen in Osdorf und anderswo
(aus Hinz&Kunzt 128/Oktober 2003)
Mama hat sie geschickt. Nun steht Judith mit Freundin Sarah am „Job Club Mobil“ und blättert in den Stellen-Angeboten. Raumpflegerinnen werden gesucht und Bürokräfte, ein Zerspanungsmechaniker und Altenpflegerinnen. Aber keine Fleischfachverkäuferin. Vor zwei Wochen hat die 20-Jährige ihre Ausbildung beendet, seitdem ist sie beschäftigungslos.
„Wir können dich nicht übernehmen – du weißt, die wirtschaftliche Lage“, hat der Chef Judith zum Abschied gesagt. „Das macht keinen guten Eindruck: Lehre fertig und gleich arbeitslos“, sagt die junge Frau mit den blonden Strähnen im roten Haar. Tankstellen-Kassiererin in der Nachtschicht: Dieses Angebot hat sie sich rausgesucht, „wegen der Zulagen“. Da entdeckt Martin Rother, der freundliche „Servicehelfer“ von der rollenden Arbeits-Börse, im Wirrwarr der Zettel doch noch ein passendes Angebot – jedoch befristet auf ein Jahr. „Wenn du einen guten Eindruck hinterlässt, kannst du vielleicht bleiben“, meint Sarah, und Martin Rother nickt.
Den Menschen die Arbeitsangebote bringen, die sie selbst nicht finden: Das ist die Aufgabe vom „Job Club Mobil“, einem Projekt des Vereins Nutzmüll. Regelmäßig kurvt der zum Mini-Beratungszentrum umgebaute Mercedes-Transporter im Auftrag des Bezirks Altona, der Stadt und des Arbeitsamtes durch sozial schwache Stadtteile wie Lurup, Altona-Nord und Osdorf. Dort bieten die Berater den Menschen Hilfe an bei Jobsuche, Bewerbung und Orientierung und vermitteln sie, soweit möglich, in Fortbildungs- und Beratungsangebote. Immer im Gepäck haben sie aktuelle Stellenangebote aus den Info-Börsen des Arbeitsamtes, aus Internet, Tageszeitungen, Wochenblättern und der „Bild“.
An diesem Nachmittag parkt der Bus, wie jeden Donnerstag, vorm Einkaufszentrum am Osdorfer Born. Vor dem „Job Club Mobil“, am weißen Plastiktisch, steht Beraterin Bärbel Schulz, Soziologin mit Herz und weiten Klamotten. Die 38-Jährige nimmt die Menschen so, wie sie sind, und das kommt an. „Hallo!“, ruft eine blonde Frau in den Vierzigern und nähert sich dem Bus. Die Tochter deutscher Aussiedler, vor 20 Jahren zurückgekehrt, hat gute Nachrichten: Sie hat einen Job gefunden, „eigeninitiativ“, wie Bärbel Schulz zufrieden anmerkt. Seit zwei Tagen, erzählt die Mutter erwachsener Kinder, arbeitet sie als Küchenhilfe im Altersheim – zwar noch ohne Arbeitsvertrag und nur auf 400-Euro-Basis, aber immerhin. Das sind die schönen Momente in ihrem Berufsleben, sagt die Beraterin: „Wenn ich in leuchtende Augen schau’ und höre: ,Ich bin zufrieden!‘“ Doch die Zeiten werden schwieriger.
„Die Firmen werden zugeschüttet mit Bewerbungen“, sagt Bärbel Schulz. Und: Immer mehr Unternehmen vergeben ihre Jobs nur noch befristet. Fast die Hälfte der Stellenangebote würden inzwischen über Zeitarbeitsfirmen abgewickelt. Im gewerblichen Bereich seien es bis zu drei Viertel. Oft geht es um Jobs wie diesen, den ein Harburger Unternehmen anbietet: „Sortieren von Dosen am Fließband, Schichtdienst, Sechs-Tage-Woche, gute Deutschkenntnisse werden vorausgesetzt.“ Ein Anruf bei der Zeitarbeitsfirma, die als Vermittlungsagentur dient, erhellt die wenig verlockenden Aussichten: „Mit mehr als 800 Euro netto können Sie nicht rechnen“, erklärt die freundliche Dame am Telefon – macht einen Stundenlohn von rund fünf Euro, „ohne Aufstiegs- und Mehrverdienstmöglichkeiten“ wohlgemerkt.
Delek (Name geändert, Red.) hat die Nase voll von Jobs auf Zeit. „Eine Woche dies, die nächste das – nee, das hab ich oft genug gemacht“, sagt die hagere Frau in gebrochenem Deutsch. Die gebürtige Türkin, seit elf Jahren in Hamburg, sucht eine feste Stelle als Packerin oder Putzfrau. „Weit weg oder nicht: Das ist mir egal. Hauptsache, ich finde Arbeit!“ Doch mit den zwei Kindern, die sie betreuen muss, stehen die Chancen schlecht. 40 Angebote habe sie sich kürzlich beim Arbeitsamt rausgesucht, überall angerufen, vergebens. „Einer hat gesagt, er ruft zurück. Hat er aber nicht gemacht.“ Beraterin Schulz kennt dieses Gefühl, wenn sie versucht, Stellenangebote zu akquirieren. „Nö, wir haben schon genug Bewerber“, bekommt sie dann zu hören. Oder: „Keine Zeit. Hier wird gearbeitet.“ Da denkt sie oft: „Wenn mir das schon an die Nerven geht, kann ich mir gut vorstellen, wie sich meine Leute fühlen.“
Schlechte Ausbildung, zu hohes Alter, kein Führerschein und mangelnde Deutschkenntnisse: Viele ihrer Gesprächspartner haben nur schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Da ist die Psychologin genauso gefragt wie die Beraterin. Wenn einer nach 30 Jahren Malochen infolge gesundheitlicher Probleme den Job verliert, sagt Bärbel Schulz, geht es für sie nicht nur darum, die „kleine Lücke, etwa in Form von Teilzeit“ zu finden. Dann will sie auch „die Arbeit würdigen, die die Menschen geleistet haben“.
Trotz vier Jahren Stadtteilentwicklung, sanierten Spielplätzen, dem neuen Kindermuseum und einem Runden Tisch: Die Not in Quartieren wie dem Osdorfer Born ist groß. „Viele haben so existenzielle Probleme, dass es für sie unheimlich schwierig ist, sich Hilfe zu holen. Die schaffen es gerade noch zum Sozialamt – aber das war’s dann auch“, formuliert Katrin Jänke, Stadtteilmanagerin und somit Mittlerin zwischen Stadtteil, Verwaltung und Politik. 16,4 Prozent Sozialhilfe-Empfänger, 11,3 Prozent Arbeitslose – das sind die offiziellen Zahlen zum Leben in der Hochhaus-Siedlung. Und der Rotstift der Haushaltspolitiker hinterlässt auch hier tiefe Spuren: Im Haus der Jugend betreuen nur noch zwei Sozialarbeiter bis zu 240 Kids – früher waren es mal vier. Der zweite Jugendklub wurde „entkommunalisiert“, nebenbei strich das Bezirksamt eine Betreuer-Stelle. Der einzige Straßensozialarbeiter kann sich seit April nicht mehr um die Jugendlichen im Viertel kümmern – es findet sich niemand, der seinen Lohn zahlen würde. Das Ortsamt soll geschlossen werden und vielleicht auch die Bücherhalle. Da sagt die Stadtteilmanagerin, nach ihren Visionen fürs Viertel befragt, nur: „Ich wünsche mir, dass die soziale Infrastruktur und deren gute Vernetzung erhalten bleiben“.
Auch die rollende Job-Börse bleibt von der Sparwelle nicht verschont: Statt sechs Beratern zahlen Arbeitsamt und Wirtschaftsbehörde neuerdings nur noch zwei, plus zwei Service-Kräfte. Und während die befristet beschäftigten Pädagogen früher zwei Jahre bleiben konnten, sind ihre Jobs nun auf zehn Monate befristet. Darunter leide die Qualität der Beratung erheblich, sagt Frauke Müller, Koordinatorin des Projekts. „In der Regel brauchen wir ein Jahr, um die Leute bei uns einzuarbeiten.“ Miserabel sind die Arbeitsbedingungen, ungebrochen ist der Andrang: 650 Menschen suchten in den ersten sieben Monaten dieses Jahres erstmals Kontakt mit den Beratern. Frauke Müller: „Wir ersparen den Behörden viel Arbeit: Wir bauen Aggressionen ab und arbeiten mit den Menschen an einer realistischen Perspektive.“
Amir träumt von einem Job in der Medienwelt. „Brauch ich als Fotograf eine Ausbildung?“ Lange blättert der 21-Jährige in den Stellenangeboten. Vor drei Monaten hat er sein Abi gemacht, nun will er erst mal „ein bisschen Geld verdienen“. Um eine Lehrstelle hat er sich gar nicht erst beworben. Als bei den ehemaligen Klassenkameraden die Absagen eintrudelten, habe er sich gedacht: „Das Geld spare ich lieber.“ Nur einer der 20 Schulabgänger, erzählt Amir, habe bis heute einen Ausbildungsplatz gefunden: „Das ist katastrophal!“ Er will wiederkommen. Drei Job-Angebote nimmt er schon mal mit.