Wie Bonn Obdachlosen und Außenseitern hilft
(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)
Überall wächst der Druck auf Obdachlose und Bettler. Überall? Nein, in Bonn sorgen Polizisten und Sozialarbeiter gemeinsam für ein gutes Klima.
Groningen? Da fahr ich nie wieder hin!“ Horst kann sich noch heute in Rage reden, wenn die Rede auf die niederländische Provinz-Metropole kommt. Sieben Tage verbrachte der 66-jährige Hinz & Kunzt-Verkäufer in der 160.000-Seelen-Stadt – und machte einprägsame Erfahrungen: „In der ganzen Stadt sieht man keine Obdachlosen, keine Bettler, keine Straßenmusikanten, nix“, berichtet er. Einmal habe er versucht zu betteln, „nicht aufdringlich, ich bin immer höflich“. Da sei sofort die Polizei gekommen und habe ihn angeblafft: „Los! Hoch, hoch, hoch!“
Ob solche Verhältnisse bald auch in Hamburg herrschen? „Um den für die Sicherheit und Sauberkeit als störend empfundenen Verhaltens-weisen wirksam entgegenzutreten“, soll ab Januar ein städtischer Ordnungsdienst die Straßen und Plätze kontrollieren, beschloss der Senat. Neun Wochen sollen die uniformierten Ordnungshüter – zunächst 30, später 60 bis 70 – in der Landespolizeischule ausgebildet werden. Dann erhalten sie Befugnisse, die bisher ausschließlich in Polizeihänden lagen. Sie dürfen Bußgelder verhängen, Platzverweise aussprechen und sogar Menschen in Gewahrsam nehmen. Wen diese Maßnahmen treffen werden? Thomas Model, Sprecher der Innenbe-hörde, nennt ein drastisches Beispiel: „50 Leute, zu wie die Nattern, belästigen die Passanten…“
Dass es manchem um mehr geht als „Pöbeln, Urinieren, aggressives Betteln“ (Senat), zeigt sich derzeit in Hamburg-Harburg. Seit Monaten machen Bezirks-Politiker der regierenden Rechts-Koalition Stimmung gegen Sozialschwache und deren Treffpunkte. So forderte Wolfgang Renckly von der Schill-Partei angesichts von Dosenbier trinkenden Menschen: „Die öffentlichen Saufgelage müssen endlich aufhören.“ Sein ehemaliger Parteifreund Peter Schindler, nun bei der „Fraktion Hamburg Offensiv“ (FHO), legte nach: Um „Wegelagerei und Alkoholismus“ an „stadtbekannten Trinkertreffs“ wie dem Harburger Rathausplatz zu stoppen, forderte er die Einrichtung von „Bannmeilen“ – öffentliche Veranstaltungen wie der Weihnachtsmarkt seien davon natürlich nicht betroffen.
Es geht um Phänomene wie den „Klöntreff“ an der S-Bahn-Haltestelle Heimfeld. Seit Jahren stehen hier Tag für Tag Menschen mit Bierdosen in der Hand, schwätzen und machen die Bänke nahe des S-Bahn-Aufgangs zu ihrem Wohnzimmer. „Eine ganz gemischte Truppe von alteingesessenen Heimfeldern“, sagt Stadtteildiakonin Uschi Hoffmann. Anwohner finden den Anblick der Gruppe „natürlich nicht toll“, aber: „Sie können damit leben.“ Dass die Hardliner die sozialen Außenseiter nun vertreiben wollen, bringt die Sozialarbeiterin auf die Palme: „In jeder Kneipe wird gesoffen. Diese Leute machen nichts anderes als der gute Bürger auch – nur treffen sie sich in der Öffentlichkeit!“
Dass es auch andere Wege gibt, mit Außenseitern umzugehen, zeigt das Beispiel der ehemaligen Bundeshauptstadt. Das „Bonner Loch“, eine vertieft gelegene Fußgängerpassage am dortigen Hauptbahnhof, war früher bei Passanten gefürchtet. Drogenkranke, Alkoholiker und Obdachlose hatten den zentral gelegenen Ort zu ihrem Treffpunkt gemacht, bis zu 200 Menschen versammelten sich dort an lauen Sommerabenden. Mehr und mehr Bürger beschwerten sich, und die Lokalpresse trommelte lautstark für die „Beseitigung des Schandflecks“.
Da schlug die Stunde von „GABI“ (Gemeinsame Anlaufstelle Bonn Innenstadt), einer 1992 neu eingerichteten kleinen Wache direkt am Rand der umstrittenen Passage. Das Besondere: Polizei, Ordnungsamt und Sozialarbeiter kümmern sich hier gemeinsam um die Lösung von Problemen – mit Erfolg, meint Jürgen Speckenheuer, Leiter der etwas anderen Polizeidienststelle, deren Mitarbeiter allesamt aus eigenem Willen im „Bonner Loch“ arbeiten: „Früher sind hier einige Obdachlose im Winter erfroren. Das passiert nicht mehr, weil wir den Menschen direkt Hilfe vermitteln können.“
Wenn Speckenheuers Uniformierte vor der Tür ihrer kleinen Wache Streife gehen, arbeiten sie gleichzeitig als Ordnungshüter und Menschenfreunde: „Einen Alkoholiker, der hier täglich steht, den sprechen wir natürlich an. Geben ihm Tipps, wo er Hilfe findet, und fragen immer mal nach: ,Und, hast du schon was getan?‘“ Zwang oder Vertreibung, weiß der Polizeihauptkommissar, helfen nicht: „Wir weisen den Weg – gehen muss ihn der Betroffene selbst.“
Klar, wenn es Ärger gibt oder Straftaten, schreiten die Beamten ein: „Ohne Repression geht es nicht“, sagt der Polizist. Doch meist ist die nicht nötig. „Dadurch, dass wir ständig präsent sind, haben wir einen ganz anderen Umgang mit den Menschen. Man kennt sich.“
Heute steht fast die gesamte Stadt hinter dem Modellprojekt, die örtliche CDU zum Beispiel fordert bessere Räumlichkeiten für GABI und mehr Streetworker für die Hilfsbedürftigen. Und während andern-orts Sozialarbeiter gerne über Ordnungshüter klagen, sagt Roland Graaf, Berater beim Verein für Gefährdetenhilfe, der nahe des Szene-Treffpunkts eine Anlaufstelle für Drogenkranke betreibt: „Wir arbeiten mit der Polizei Hand in Hand, um unserer Klientel zu helfen.“ Die Zusammenarbeit habe sich bewährt und die Bevölkerung „kapiert, dass es diese Menschen gibt“, bilanziert der Psychologe die zehn-jährige Erfolgsgeschichte von GABI und sagt: „Was soll man die Leute vertreiben? Dann sind sie irgendwann woanders…“
Ulrich Jonas