Gibt es in Hamburger Hotels moderne Sklaverei?
Am Dienstag diskutierten Fachleute bei der Veranstaltungsreihe „Gerechte Stadt“ über die Ausbeutung von Zimmermädchen. Mit dabei war auch der Autor des Hinz&Kunzt-Hotelreports Ulrich Jonas.
Am Dienstag diskutierten Fachleute bei der Veranstaltungsreihe „Gerechte Stadt“ über die Ausbeutung von Zimmermädchen. Mit dabei war auch der Autor des Hinz&Kunzt-Hotelreports Ulrich Jonas.
Teil zwei – noch schlimmer als der erste Teil
Weil der Textildiscounter mit dreisten Lügen die Berichte des NDR unglaubwürdig machen wollte, fuhr das Team noch einmal durch Deutschland und Bangladesch. Ein Bericht von NDR-Reporter Christoph Lütgert.
(aus Hinz&Kunzt 211/September 2010)
(aus Hinz&Kunzt 207/Mai 2010)
(aus Hinz&Kunzt 159/Mai 2006)
Die Haare stehen ihm zu Berge. Der erste Offizier der „New Leader“ stapft in den Aufenthaltsraum. „You have to leave the ship“, dröhnt er und nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Ulf Christiansen nippt am Kaffee und beißt in sein Brötchen. Er bleibt sitzen, ignoriert den Rausschmiss. Ruhig und gelassen. Er stellt sich als Inspektor der Internationalen Transportarbeiter Föderation, kurz ITF, vor und verspricht, sich nach seiner Kaffeepause im Büro nebenan zu melden.
(aus Hinz&Kunzt 129/November 2003)
„Ich bin Indonesierin, aber so etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt Kartini Mumme. Die 51-Jährige, die seit Jahren in Hamburg lebt, zeigt Fotos aus ihrem Heimatland, aufgenommen in der Hauptstadt Jakarta.
Zu sehen sind wackelige Bretterbuden ohne Möbel, ohne Bad oder Küche, der Boden mit rohem Zement bedeckt. Direkt daneben: Müllberge und ein Rinnsal schmutzigen Wassers, das im offenen Gelände versi-ckert. In den Buden „wohnen“ Frauen, Fabrik-Arbeiterinnen, oft zu viert in einem Raum. Tagsüber nähen sie Turnschuhe, für Adidas, Nike und Konsor-ten. Später landet diese Ware auch in deutschen Läden, wo sie für viel Geld den Besitzer wechselt.
„Die Frauen können sich nichts kaufen, nur das, was sie fürs nackte Überleben brauchen“, sagt Waltraud Waidelich vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Eine Delegationsreise von Brot für die Welt führte die 47-Jährige gemeinsam mit Kartini Mumme in die Wohnquartiere der indonesischen Arbeiterinnen, die Ware für den europäischen und US-amerikanischen Markt fertigen. Das Problem: Obwohl der deutsche Verbraucher für einen guten Markenturnschuh rund 100 Euro hinblättert, erhalten die Frauen, die den Turnschuh nähen, nur 0,4 Prozent davon als Lohn. 30 Prozent dagegen werden für Werbung ausgegeben, also für die „Erschaffung eines Lebensgefühls“, das nichts mit dem Leben der indonesischen Arbeiterinnen gemein hat: Die Näherinnen verdienen umgerechnet rund 55 Euro monatlich, dabei beträgt ihre wöchentliche Arbeitszeit 48 bis 60 Stunden. Von dem Geld ernähren die Frauen oft ganze Familien. Dabei liegen die durchschnittlichen Monatsmieten in Jakarta bei 150 Euro, gesunde Ernährung schlägt mit rund 30 Euro monatlich zu Buche. Bezahlbar ist da nur die Schlafstelle in der Bretterbude, die für fünf Euro zu haben ist. Dennoch klagt kaum jemand: In Jakarta leben 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Da ist man froh, überhaupt einen Job zu haben. Wer den miserablen Lohn kritisiert, fürchtet die Kündigung, und die Gewerkschaften sind entweder regierungsnah oder zerstritten.
„Wir müssen die Frauen unterstützen“, ist Waltraud Waidelich überzeugt. „Aus eigener Kraft schaffen sie es nicht.“ Nach der Rückkehr nach Deutschland reifte deshalb bei ihr ein Plan: Schon heute setzt sich die Urban Community Mission (UCM), eine Partnerorganisation von Brot für die Welt, in Jakarta für die Arbeiterinnen ein. Sie schult sie in ihren Rechten und hilft ihnen, sich zu organisieren. Parallel dazu sollen jetzt in Hamburg Bezugsgruppen gegründet werden. Die können sich aus Mitarbeitern hiesiger Unternehmen bilden, die die in den Weltmarktfabriken gefertigten Turnschuhe verkaufen, aber auch in Sportvereinen, Verbrauchergruppen oder Freundeskreisen. Bei Missständen in den indonesischen Betrieben werden die Bezugsgruppen durch UCM informiert, die die Beschwerden wiederum an die hiesigen Firmenzentralen weiterleiten.
Angelehnt ist die Idee Waidelichs an die Kampagne für Saubere Kleidung (CC-Campaign). Mit ihr kämpfen vor allem kirchliche Gruppen und Dritte-Welt-Initiativen seit rund zehn Jahren in ganz Europa für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie weltweit. Kampagnenziel ist es, negative Auswirkungen der Globalisierung aufzuzeigen und hiesige Unternehmen dazu zu bewegen, die Verantwortung für den gesamten Herstellungsprozess ihrer Waren zu übernehmen – auch wenn sie diese von Zulieferfirmen in fernen Ländern fertigen lassen.
Während die CC-Campaign die Öffentlichkeit dazu mobilisiert, Firmen mit Protestbriefen zu überhäufen, um so das Unternehmen über den befürchteten Imageschaden zum Eingreifen zu bewegen, ist der Plan Waidelichs obendrein auf Kooperation ausgerichtet: Hier zählt der direkte Draht zwischen den Menschen an den Nähmaschinen in Indonesien, den Sportbegeis-terten in Hamburg und zu den Menschen am Schreibtisch, zum Beispiel in der Puma- oder Adidas-Zentrale in Herzogenaurach.
„Hätte ich das alles bloß früher gewusst“, sagt Brita Warner. Das Leben der 60-Jährigen ist seit ihrer Jugend am Sport orientiert. Sie ist Vorsitzende im Hamburger Ruderinnenclub, war lange für den Hamburger Sportbund engagiert und hat rund 15 Marathons bewältigt. „Zeitweise hatten wir 25 Paar Turnschuhe im Schrank“, sagt sie, alle um 120 Euro teuer. Auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „Fair Laufen“ im Mai dieses Jahres hörte sie zum ersten Mal davon, dass von diesem Geld nur 48 Cent als Lohn an die Arbeiterinnen fließen. „Ich wäre durchaus bereit, 52 Cent draufzupacken“, fügt sie sarkastisch hinzu. Seither ärgert Brita Warner sich, dass es nirgends einen fairen Sportschuh zu kaufen gibt. Deshalb will sie sich auch an dem Bezugsgruppen-Plan beteiligen. „Wenn ein Missstand angezeigt wird und ich mitbekomme, das Unternehmen kümmert sich, dann finde ich das sympathisch“, so Warner – und das beeinflusst die Kaufentscheidung.
„Eine kleine Bezugsgruppe würde sich bei uns bestimmt bilden“, sagt Verena Johannsen. Die 35-Jährige ist Gründungsmitglied des Hamburger Sportgeschäftes Laufwerk. Zwar weiß Johannsen seit langem von den Bedingungen, unter denen ihre Ware produziert wird. Doch sie glaubte bisher, was sie und ihre Kollegen dagegen tun können, sei „nicht viel“. Die Idee, über die Bezugsgruppe in direkten Kontakt zu den Menschen in Indonesien zu treten, ändert die Lage: „Da fühlt man sich viel mehr zuständig“, sagt sie. Ein kleines Flugblatt, im Laden ausgelegt, könnte für weitere Solidarität von Hamburger Sporttreibenden mit Sportschuh-Näherinnen sorgen.
„Es lohnt sich, bei den Firmen zu protestieren“, sagt Waltraud Waidelich. Und Evelyn Ulrich von der Abteilung Soziales und Umwelt bei Adidas in Herzogenaurach verspricht: „Wenn wir von Missständen erfahren, prüfen wir das sehr intensiv.“ Dass dieses Engagement mit der CC-Campaign zusammenhängt, will Ulrich zwar nicht bestätigen. Doch die zeitlichen Parallelen sind unübersehbar: Seit 1998 müssen Adidas-Zulieferer bei der Unterzeichnung der Verträge auch die Einhaltung so genannter Standards of Engagement garantieren. Darin sind Regeln zur Beschäftigung, zu Arbeitnehmerrechten, zu Umwelt, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz festgelegt. Diese Regeln dienen als Messlatte zur Auswahl der Geschäftspartner, so Frank Henkel, Global Director für Soziales und Umwelt bei Adidas. Allein in Indonesien kontrollieren drei Adidas-Mitarbeiter zumeist angemeldet die Einhaltung dieser Regeln. Regelmäßig besuchen die Adidas-Mitarbeiter die Fabriken auch, um sowohl das Management als auch die Arbeiterinnen zu schulen. Seit 1999 lässt Adidas nach eigenen Angaben über die Fair Labour Association jährlich in etwa 42 Unternehmen auch unangemeldete Kontrollen durchführen. Und Henkel gesteht: „Natürlich identifizieren wir Probleme.“
Menschenrechtler kritisieren aber, dass dieses Gremium nicht unabhängig sei. Und dass angemeldete Kontrollen nichts bringen. Auch die Hamburger Delegierten von Brot für die Welt besuchten angemeldet eine Weltmarktfabrik, in der 6000 Arbeiterinnen und Arbeiter 18.000 Schuhe täglich für Adidas produzieren. Wo Frauen Sohlen anklebten, trugen sie Mundschutz, Klebemittel waren auf wasserlöslicher Basis, die Standards of Engagement hingen deutlich sichtbar für alle Arbeiter in der Fabrikhalle aus. Aber: „Garantiert stand immer einer aus der Firmenleitung neben mir, wenn ich mit einer Arbeiterin sprechen wollte“, sagt Kartini Mumme. Der direkte Kontakt zu den Arbeiterinnen über die Partnerorganisation UCM bringt da gesichertere Informationen.
Doch es gab auch Dinge zu sehen, die sich nicht eigens für einen Besucher arrangieren lassen: die Krankenstation beispielsweise oder eine riesige Kantine mit Sitzbänken für die Mittagspause. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Vor einer Fabrik, in der für Nike produziert wird, sahen die Hamburger Tausende Arbeiterinnen ihr mitgebrachtes Essen auf dem Sandboden hockend einnehmen. Drei Tage Urlaub im Jahr hätten sie, sagten die Frauen dort. In der für Adidas produzierenden Firma sind es 18. Viele der Verbesserungen, so habe der Firmenchef zugegeben, seien erst vor zwei Jahren eingeführt worden. Künftig wolle man auch die Wohn- situation der Frauen verbessern.
Solche Sozialleistungen kosten natürlich Geld. Damit ein Unternehmen für seine Umsicht nicht bestraft wird und der Auftraggeber in Länder wie China oder Vietnam abwandert, müssten für jedes so genannte Drittweltland aufmerksame Verbraucher-Netzwerke und Bezugsgruppen enstehen. Brita Warner: „Den Firmen muss klar sein, dass es nicht nur im Sport fair zugehen soll. Wir wollen auch faire Turnschuhe kaufen.“
Brot für die Welt: www.bfdw-hamburg.de
Kampagne für saubere Kleidung: www.saubere-kleidung.de
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