Einrichtungen schlagen Alarm :
Tagesaufenthaltsstätten dicht!

Überfüllte Einrichtungen, überforderte Mitarbeiter und kein Ende in Sicht. Die Anlaufstellen für Obdachlose bewältigen den Ansturm kaum oder gar nicht. Das Herz As muss zeitweise sogar schließen. Dabei könnte der Senat mit einer simplen Maßnahme helfen.


Dass die Temperaturen zurzeit so mild sind, ist ein Segen. Insbesondere für die Obdach- und Wohnungslosen in der Stadt und gerade jetzt. Zwar hat der Senat den nächtlichen Erfrierungsschutz dank hoher Platzzahlen gut im Griff. Doch das System der Tagesaufenthaltsstätten kollabiert. Wie seit Jahren in den Wintermonaten werden die Einrichtungen dem Ansturm der Hilfesuchenden kaum gerecht. Sie klagen über Überlastung und Unterbesetzung. Es ist den Mitarbeitern nicht möglich, Wohnungslosen individuell und nachhaltig zu helfen. Stattdessen: Wartemarken für’s Duschen und Waschen und Essen in Schichten.

Die Hamburger Tagesaufenthaltsstätten können den großen Andrang nicht mehr bewältigen.
Die Hamburger Tagesaufenthaltsstätten können den großen Andrang nicht mehr bewältigen.

Jetzt musste sogar das Herz As vorübergehend dichtmachen. Die Tagesaufenthaltsstätte liegt unweit der Notschlafstelle in der Spaldingstraße. Bis zu 300 Wohnungslose kamen täglich ins Herz As, um sich aufzuwärmen, zum Essen und um sich zu duschen oder Wäsche zu waschen. Damit ist jetzt Schluß. Lediglich ihre persönliche Post können Wohnungslose noch abholen, der normale Tagesbetrieb wurde eingestellt. Der Grund: Es fehlt Personal. Weil viele der insgesamt 13 Mitarbeiter krank sind und es außerdem einen Personalwechsel gibt, ist keiner da, der das Herz As hauptverantwortlich öffnen kann.

Das Herz As, die einzige Aufenthaltsstätte in der Innenstadt, muss zeitweise schließen.

Alex macht einen ratlosen Eindruck, wie er sich auf dem Bürgersteig vor dem Herz As mal hier, mal dorthin wendet. Er späht durch die Glastür und studiert den Zettel am Eingang. Cerrado. Geschlossen. Alex ist vor zwei Monaten aus Spanien nach Hamburg gekommen. Er sucht Arbeit. In Spanien hat er als Maler gearbeitet. „Aber ich kann alles machen.“ Er schläft mit hunderten anderen in einer der Notschlafstellen, die die Stadt in einer Schule nahe der Horner Rennbahn eingerichtet hat. Um sieben Uhr morgens muss er die Unterkunft verlassen. Er ist vormittags eigentlich immer ins Herz As gegangen, um einen Kaffee zu trinken und etwas zu essen. Den Rest des Tages ist er in Hamburg auf der Straße unterwegs.

Eine Aushilfe und eine Praktikantin harren als Notbesetzung im Herz As aus. Sie können nicht mehr tun, als Hilfesuchende an andere Essenausgabestellen zu verweisen, ihnen Tipps geben, wo sie sich aufwärmen können und die Wege dorthin so genau wie möglich zu beschreiben. Denn das Herz As ist die einzige Tagesaufenthaltsstätte, die direkt in der Innenstadt gelegen ist. Nichtsdestotrotz sind auch die anderen Anlaufstellen und ihre Mitarbeiter längst an ihre Grenzen gelangt.

In der Tas sind die Dusch- und Wäschemarken innerhalb von Minuten vergeben.

„Bei uns arbeiten die Kollegen ziemlich am Limit“, sagt Uwe Martiny, Leiter der Tagesaufenthaltsstätte der Diakonie (Tas). Schon seit einem Jahr kommen immer mehr Menschen. Durchschnittlich 125 Essen gibt das Team am Tag aus. Wenn die Einrichtung um 11 Uhr ihre Türen öffnet, bilden sich gleich lange Schlangen um die begehrten Marken für die Duschen und Waschmaschinen. Dutzende drängeln sich im Flur, der dafür gar nicht ausgelegt ist. „Innerhalb von fünf Minuten sind alle Marken vergeben“, sagt Martiny. Das alles war früher anders. Da kamen die Gäste im Laufe des Mittags, blieben zum Essen – „Nachmittags um drei war der Aufenthaltsraum so gut wie leer.“ Nun ist es während der gesamten Öffnungszeit voll – und dadurch laut und eng. Nachmittags richten manche sich im Fernsehraum für längere Zeit ein. „Die schlafen dann mit dem Kopf auf dem Tisch“, sagt Martiny. „Man sieht ihnen an, dass sie in der Nacht wohl nicht viel Schlaf bekommen haben – ob auf der Straße oder im Winternotprogramm.“ Was es für alle noch zusätzlich schwieriger und anstrengend mache: die Verständigungsprobleme, die es mit vielen Gästen gibt.

Die Mahlzeit muss Stammgäste abweisen, um Obdachlose versorgen zu können.

So geht es auch dem Team in der Tagesstätte Mahlzeit in Altona. Hier arbeitet außer Leiterin Marion Sachs noch ein Hauptamtlicher, unterstützt werden sie von ehrenamtlichen Helfern. „Wir sind alle durch“, sagt Marion Sachs. „Der Krankenstand ist unheimlich hoch.“ Sie selbst zu den Öffnungszeiten immer da. Muss sie zu Konferenzen oder eine Fortbildung, schiebt ihr Kollege Überstunden, um sie zu vertreten. Doch auch der ist jetzt krank geworden. „Wenn ich auch noch krank werde“, sagt Marion Sachs, „dann müssen wir zumachen.“

Schweren Herzens wählt sie seit Anfang des Jahres streng aus, wen sie in die Einrichtung lässt. Der Andrang ist so groß, dass sie alle wegschicken muss, die nicht obdachlos sind. „Ich schicke Leute weg, die jetzt zwar eine Wohnung haben, die aber jahrelang auf der Straße gelebt haben und hier Gäste waren und viel mitgeholfen haben. Das tut weh.“ Ungefähr 150 Ausweise hat Marion Sachs ausgeteilt. Damit bekommen Obdachlose ein warmes Essen und die Möglichkeit, sich aufzuwärmen. Mitte der Woche war der Andrang der Hilfesuchenden besonders groß. „Immerhin ist es nicht mehr so kalt wie in den vergangenen Wochen“, sagt Marion Sachs. Damit tröstet sie sich, wenn sie Leute wegschicken muss. Hoffentlich hält das Wetter. Denn in der ersten Märzwoche schließt die Mahlzeit. Marion Sachs kann ein paar Tage nicht da sein. Sie nimmt Resturlaub – aus dem vorletzten Jahr.

Soziale Initiativen fordern: Winternotprogramm auch tagsüber öffnen!

Die angespannte Situation kriegen auch die Einrichtungen zu spüren, die gar keine Tagesaufenthaltsstätten sind. In der Bahnhofsmission ist der Andrang spürbar größer, sagt eine Helferin. Für längere Aufenthalte ist die Einrichtung nicht gedacht. „Wir bieten ja vor allem Hilfe bei akuten Problemen.“ Doch wenn jetzt der ein oder andere länger bleiben will oder vielleicht einen zweiten Kaffee trinken? „Wir können die Leute natürlich nicht einfach vor die Tür setzen.“ das kennt auch das Hinz&Kunzt-Team. Eigentlich gibt es im Vertrieb vor allem Zeitungen und die Möglichkeit, sich kurz vom Verkauf auszuruhen. Doch die Menschen – manche Hinz&Kunzt-Verkäufer, andere nicht –, die nachts im Winternotprogramm unterkommen, wissen nicht, wohin sie gehen sollen. „Es fällt uns schwer, die Leute abzuweisen. Zumal wir nicht wissen, wohin wir sie schicken sollen. Aber dass sie hier den Tag verbringen, dafür ist unser Vertriebsraum zu klein und nicht ausgestattet.“

Bereits im Januar haben soziale Initiativen, darunter Hinz&Kunzt gefordert, die Einrichtungen des Winternotprogramms auch tagsüber zu öffnen. Bislang müssen alle, die in der Spaldingstraße oder einer der als Notschlafstellen genutzten Schulen übernachten, morgens früh raus und werden erst abends wieder reingelassen. „Keiner von uns bleibt derzeit länger als nötig draußen, aber die Obdachlosen schicken wir raus vor die Tür – und zwar den ganzen Tag. Und das, obwohl wir wissen, dass die Menschen physisch und psychisch geschwächt sind“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer.

Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante