Suzi Quatros Welthits prägten eine ganze Generation Musikfans. Am 16. Juli ist sie im Autokino auf dem Heiligengeistfeld zu Gast und stellt die neue Filmdoku über ihr Leben vor. Für unsere Juni-Ausgabe hat Jochen Harberg mit Suzi Quatro gesprochen.
Noch lebt die kleine Vorfreude. „Ich glaube, Rainer hat für den Abend heimlich einen Tisch bestellt in unserem Hamburger Lieblings-Steakhaus“, sagt Suzi und lächelt in knapp 1000 Kilometer Entfernung in den Bildschirm, „aber wenn ich meinen 70. Geburtstag tatsächlich ohne meinen Mann im Lockdown verbringen muss, dann werde ich das eben so machen!“ Denn Suzi ist gestrandet – in ihrem Refugium im britischen Essex nahe London, wo sie seit mehr als 30 Jahren ein Haus besitzt. Und seit Mitte März festsitzt, Corona sei Undank. Auch zum lange geplanten Date mit Hinz&Kunzt muss sich der Weltstar nun via Skype von England aus einloggen. Die Zeiten sind eben, wie sie sind.
Das große Geburtstagsfest in Essex mit Gästen aus aller Welt? Inzwischen abgesagt. Die kleine Feier mit Ehemann Rainer Haas am gemeinsamen Wohnsitz Hamburg? Völlig offen, ohne Garantie auf Happy End. Wenn man sich allerdings näher mit dem Leben der Susan Kay Quatro beschäftigt, geboren am 3. Juni 1950 in Detroit (USA), dann weiß man eh: Diese Frau ist hart im Nehmen.
„The first woman ever“
Rückblende, Januar 2020. Im Zeise-Kino in Altona feiert eine brandneue Musik-Filmdoku vorab Deutschlandpremiere: „Suzi Q – Wegbereiterin, Inspiratorin, Überlebende“ lautet der Titel. Der große Saal ist rappelvoll, und den vielen Zuschauer*innen stockt während der 100 Minuten oft genug der Atem. Es ist ein Werk von seltener, ungeschminkter Intensität. Zum einen, natürlich, voller berührender Bilder über eine nun schon seit mehr als einem halben Jahrhundert andauernde Weltkarriere im Musikbusiness. Zum anderen aber auch – und das ist das heimliche Hauptthema des Films – über familiäre Befindlichkeiten und verletzten Stolz, über kaum gezähmten Geschwisterneid und lange vermisstes Elternlob.
„Suzi war eine Erneuerin“– Alice Cooper über Suzi Quatro
Suzi, das wird durch die überlebensgroßen Bilder noch einmal glasklar, ist Anfang der 1970er „the first woman ever“ als international anerkannte Bandleaderin einer Rockband. Sie wird so Wegbereiterin für ungezählte Nachfolgerinnen, die erst durch sie erkennen, dass Frauen in einer Rockband reüssieren, Chefin sein und sogar Gitarre spielen können. „Sie trug ihren schweren Bass wie eine Feder“, staunt etwa Deborah „Blondie“ Harry, „Suzi war eine Erneuerin“, weiß ihr Langzeitwegbegleiter Alice Cooper. Das Irre daran: Umstritten ist sie bei aller Liebe vor allem in der eigenen Familie. Man hört die abschätzige Stimme des Vaters: „Suzi kann eigentlich gar nicht wirklich Bass spielen, oder?“ Man sieht eine Schwester in brutaler Offenheit sagen: „Ich werde nie ein Fan von Suzi Quatro sein.“ Der Schmerz über solche Vernichtung kriecht bis in die letzte Reihe des Kinos.
Rock-Ikone Suzi Quatro
Die brandneue Film-Doku über ihr Leben („Suzi Q – Trailblazer. Inspiration. Survivor.“) ist am 16. Juli im Autokino auf dem Heiligengeistfeld zu sehen. Suzi Quatro wird selbst vor Ort sein.
Nach Filmende betritt die nur 1,52 kleine Protagonistin die Bühne des Zeises, hinaufgetragen vom donnernden Applaus des Publikums. Als ich sie aus dem Publikum heraus nach ihrer Lieblingsszene frage, wählt sie einen intimen Moment, in dem der Regisseur fragt, was die heutige Suzi ihrem Kinder-Ich von damals gerne sagen würde, wenn sie denn könnte. Die Leinwandheldin muss an dieser Stelle schwer schlucken: „Renn nicht so schnell, kleine Suzi, deine Kindheit geht so schnell vorbei, genieße jeden Moment!
Anfänge mit der Girlie-Familienband
Im Zeitraffer: Little Suzi ist das vierte von fünf Kindern des Ehepaars Art und Helen Quatro. Der Vater jobbt als semiprofessioneller Musiker, alle Kinder kommen früh mit seiner Welt in Berührung. Als Fünfjährige sieht Suzi den hüftschwingenden Elvis Presley im TV, und sofort ist ihr klar: „DAS will ich auch machen!“ Früh greift sie zum Bass, merkt: „Der ist mein Ding!“ Mit zarten 14 ist sie Teil der Girlie-Familienband „Pleasure Seekers“, in der Suzi und ihre Schwestern mit leichtgewichtiger Partymukke auf Tour gehen. Suzi verzichtet dafür auf den Highschool-Abschluss. Ein Musikmanager macht Suzis Bruder, der die Truppe und deren Nachfolgeband „Cradle“ managt, ein Angebot: Er will die talentierte Suzi – aber nur Suzi – unter Vertrag nehmen. Der Familienrat beschließt, dem Küken das Angebot zu verheimlichen. Die Schwestern sollen bitte schön zusammen Karriere machen.
Erst ganze zwei Jahre später erfährt Suzi von der Offerte. Sie sucht empört das Weite, nimmt das Vertragsangebot an, geht 1971 alleine nach London. Innere Verwundung, Einsamkeit und brennender Ehrgeiz werden zu mächtigen Triebfedern: „Gegenüber meiner Familie habe ich damals nur gedacht: ,Wartet ab, euch zeige ich es allen!‘“ Nach zwei knallharten Jahren endlich der ersehnte Durchbruch: „Can the Can“ und „48 Crash“ erobern schnell die halbe Welt. Und es entstehen ikonische, so nie gesehene Rockstarbilder: Suzi kühl-überlegen als Bandleaderin in heißem Lederanzug und Plateaustiefeln – mit den drei starken Muskeljungs der Band zu ihren Füßen. Darunter auch Gitarrist Len Tuckey, den sie 1976 heiratet.
Suzi lebt fortan ein Künstlerleben voller Vielfalt, obwohl sie mit Tuckey 1982 und 1984 die beiden Kinder Laura und Richard bekommt. Sie reüssiert als Schauspielerin in einer amerikanischen TV-Serie namens „Happy Days“. Spielt in London die Hauptrolle im Musical „Annie, get your gun“. Schreibt bald darauf selbst ein Musical, das im Westend aufgeführt wird. Die mittlerweile marode Ehe zieht sie quälende sechs Jahre durch bis zum Gehtnichtmehr, „ich bin ein katholisches Mädchen und die Tochter meiner Mutter. Und die hat gesagt: ,einmal verheiratet, immer verheiratet‘“, erklärt Suzi ihren Durchhaltewillen. Nach der Trennung heiratet sie 1993 den Hamburger Promoter Rainer Haas, der schon 1974 in der Musikhalle im Publikum steht, als Suzi oben von der Bühne aus runterrockt. Jetzt zieht sie die Kinder groß, „ich war wirklich eine gute Mutter“, findet sie heute stolz, „das war mir auch ungeheuer wichtig.
Zwischen Bühne und Privatleben
Stillstand? Trotzdem nix für Suzi! Nebenher macht sie immer weiter Platten, geht auf Tour, schreibt eine Biografie und eine Art Gedichtband, ist Gastgeberin einer Musik-Radioshow auf BBC 2, hat immer wieder kleinere Rollen im Fernsehen. Dann zuletzt besagte Kinodoku über das eigene Leben, mehr als drei Jahre wird daran gearbeitet. Aber all das Schillernde, Extrovertierte ist nur die öffentliche Seite ihrer Persönlichkeit
„Ich war nie ein Sex and Drugs-Girl“– Suzi Quatro
Es gibt die Bühnen-Suzi – und es gibt die private Suzi, komplett allürenfrei und mit durchaus konservativen Zügen. „Ich war niemals so ein Sex-and-Drugs-Girl“, gesteht sie. Und muss lachen, als ich sie nach ihrem frühen Image als globales Pin-up-Girl frage. „Meine Tochter sagt mir heute noch: ‚Mama, du hast bis heute keine Ahnung, wie man richtig flirtet.‘ Und weißt du was? Das stimmt! Ich habe niemals Spielchen gespielt mit Männern.“ Als ich auf das Thema Politik zu sprechen komme, seufzt Suzi hörbar auf: „Aaaaah, politics!“ Nein, nein, nein, sie sei „eine Entertainerin, und es würde sich für mich falsch anfühlen, wenn ich meine Meinung meinem Publikum in die Kehle stecke und es zwinge, das runterzuschlucken.
„Mein Weg ist noch lange nicht zu Ende.“
Lieber füttert sie da in Zeiten von Corona die sozialen Netzwerke: „Darin bin ich echt gut geworden und jetzt sehr aktiv, gebe zum Beispiel auf Facebook jeden Tag ein Tutorial für Bassgitarristen.“ Dauereinsam ist Suzi im Essex-Exil ohnehin nicht. Ihre Kids Laura und Richard wohnen quasi „einfach nur die Straße runter“, sagt Mama Suzi, Richard komme oft zum Musikmachen vorbei: „Wir haben im Lockdown gerade schon Songs für die nächste Platte geschrieben“, erzählt sie stolz, „das fühlt sich großartig an.“
Schon für ihr 2019er-Album „No Control“, für das sie gemeinsam mit Richard viele Stücke einspielte, gab es glänzende Kritiken – und mehr als 100 Liveauftritte in aller Welt, auch in Hamburg. Ich erzähle ihr, dass ich auf dem Album einen neuen Lieblingssong entdeckt habe: „Bass Line“ – ein verhangenes, aber brutal intensives Stück mit der wie gemalten Songzeile: „Walking down the Bass line won’t lead you astray“, frei übersetzt: „Wenn du dich dem Bass anvertraust, wird er dich nicht in die Irre führen.“ Da strahlt Suzi über das ganze Gesicht. „Ist der Song nicht großartig? Mein Bass-Solo darin dominiert sogar über die E-Gitarre! Da bin ich so stolz drauf.“ Und sie kann es fühlen: „Mein Weg ist noch lange nicht zu Ende.“