Südpol Hamburg

Ewiges Nice für alle

Kurt lebt neben dem Südpol in einem ausrangierten Wohnwagen. Foto: Dmitrij Leltschuk
Kurt lebt neben dem Südpol in einem ausrangierten Wohnwagen. Foto: Dmitrij Leltschuk
Kurt lebt neben dem Südpol in einem ausrangierten Wohnwagen. Foto: Dmitrij Leltschuk

Im Technoclub „Südpol“ wird Solidarität gelebt – auch mit Menschen in Existenznot. Doch davon ist das Kollektiv selbst nicht ganz frei.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Mit dem Smiley-Sticker die Handykamera abkleben, Ego vor der Tür lassen, eintauchen in Bass, Glitzer und Gemeinschaft und erst am nächsten Morgen wieder auftauchen – oder am übernächsten. Mit tagelangen Raves zelebriert der Technoclub Südpol in Hammerbrook kleine Ausflüge ins Reich der Utopie. Achtsam und respektvoll miteinander umzugehen ist hier oberstes Gebot, auch wenn der letzte Track verklungen ist. Das wirkt sich auf die Nachbarschaft aus: Schon in den ersten Jahren setzten sich das Kollektiv und befreundete Kulturunternehmen für notleidende Menschen ein, die rund um den Club an der Süderstraße eine Bleibe suchten. Der Wille zu helfen ist nach wie vor da, sagen die Betreiber:innen. Doch die Not steigt – und die Kräfte sind begrenzt.

Rund um den Südpol ist Hammerbrook geprägt von Industrie und Gewerbe. Im Zweiten Weltkrieg wurde viel zerstört, Zwangsarbeiter:innen und KZ-Häftlinge wurden in einigen der wenigen noch intakten Gebäude angesiedelt und ausgebeutet. Heute gilt der Sozialstatus in Hammerbrook als sehr niedrig, das Stadtteilmonitoring zeigt: Sichtbar besser wird es nicht. Im Vergleich der prozentualen Arbeitslosigkeit liegt der Stadtteil hamburgweit im oberen Fünftel, die Wohnfläche pro Kopf ist knapp elf Quadratmeter kleiner als im Hamburger Durchschnitt. Und vielerorts scheint das Stadtbild die Statistik zu bestätigen: An der Süderstraße beginnt gleich hinter dem Club, zwischen Recyclinghof, Autohäusern und Werkstatt-Geländen, der Straßenstrich. Die Stadt steuert gegen, etwa mit dem Grünstreifen entlang des Hochwasserbassins, der langsam zum Park entwickelt wird. Einen wichtigen Beitrag leistet die Off-Kulturszene rund um das Kraftwerk Bille, im Künstlerhaus Wendenstraße oder eben am Südpol, die die Nischen besetzt und aufwertet. Sie heißt auch Menschen willkommen, die sich an vielen Orten der Stadt nicht akzeptiert fühlen.

„Die Not steigt in dieser Stadt.“

Steffi

Als Detlev starb, das war „desaströs“, sagt Steffi, 44, die nur mit Vornamen öffentlich genannt werden möchte. „Wir haben derbe geweint.“ Jahrelang hatten sich der Obdachlose und die Südpol-Mitgründerin fast täglich auf dem Gelände rund um den Club getroffen. „Detlev hat sich extrem eingebracht. Er hat immer auf dem Hof mitgeholfen“, erzählt sie. „Mir hat er das Schweißen beigebracht.“ Nachts schlief Detlev in einem Wohnwagen in der Nähe der Süderstraße, nebenan sein Weggefährte Kurt. Duschen und zur Toilette gehen konnten die beiden Männer in einem der Betriebe ringsherum, man kannte sich, sie gehörten dazu.

Doch dann wurde Detlev krank, kam nicht mehr aus seinem Wagen heraus, baute sichtlich ab. Ins Krankenhaus wollte er nicht. Ein Kulturunternehmer neben dem Südpol, der Detlev ebenfalls nahestand und sich sehr engagierte, bat deshalb befreundete Ärzte um Hilfe, die den Obdachlosen auf seiner Platte untersuchten. Aber es war schon zu spät. Mit Anfang 60, nach wenigen Tagen im Krankenhaus, starb Detlev an Krebs. Er hinterließ seine geschweißten Werke auf dem Clubgelände, den Wohnwagen sowie ein Zelt voller Habseligkeiten und seinen trauernden Plattengenossen. Doch als die Hofgemeinschaft nach Angehörigen suchte, fand sie niemanden. Alles aufräumen, die Beerdigung organisieren – „das haben wir dann halt gemacht“, erzählt Steffi.

Wie alle anderen im Südpol-Kollektiv bekommt Mo für seine Arbeit einen Einheitslohn. Foto: Dmitrij Leltschuk
Wie alle anderen im Südpol-Kollektiv bekommt Mo für seine Arbeit einen Einheitslohn. Foto: Dmitrij Leltschuk

Schon vor Detlev gab es Obdachlose, die sich am Südpol niederließen. „Kaum war der Club da, ist aus dem Nichts heraus eine Platte entstanden mit sehr jungen Menschen – 18 bis 21 Jahre vielleicht“, erzählt Steffi. Auch damals hatte das Kollektiv Kontakt aufgenommen und lud die Jüngeren ein, sich einzubringen. „Die haben sich wohl ganz gut aufgehoben gefühlt und gemerkt: Es gibt noch ein anderes Leben, wir werden doch von einigen angenommen.“ Nach einer Weile löste sich die Gruppe auf – einige kehrten, so erzählt Steffi, zu ihren Eltern zurück oder wollten eine Lehre anfangen.

Kurt dagegen, der frühere Plattengenosse von Detlev, ist nach wie vor Teil der Gemeinschaft. „Auch wenn wir nicht so einen engen Kontakt haben, die sagen immer: ,Kurt, wenn wat is, wenn du wat brauchst, dann sach Bescheid, wir helfen dann‘“, erzählt der Mitte-70-Jährige im Singsang seiner rheinischen Heimat. Er fühlt sich wohl in der Nähe des Technoclubs – auch wenn am Wochenende nonstop Musik zu ihm herüberschallt. „Für mich is dat schon Einschlafmusik“, sagt er und lacht.

Leuten wie Kurt, Detlev und den jungen Punks zu helfen, ist für Steffi selbstverständlich. „Bist du menschlich, dann ziehst du die Leute mit“, sagt sie. Im Kollektiv sei das Konsens: Weggucken, wenn andere leiden, das gehe einfach nicht. So sieht es auch Mo, 37, der wie Steffi zu denen gehört, die sich für die Projekte am Hochwasserbassin engagieren. Auch er möchte nur mit Vornamen genannt werden. „Anfangs haben wir alle ehrenamtlich hier gearbeitet. Das erklärt vielleicht, warum sich Menschen von diesem Ort angezogen fühlen, die bereit sind zu helfen“, sagt er.

Solidarität ist überlebenswichtig – das merkte die Südpol-Crew selbst, als Corona kam und sie die Türen schließen musste. Ob es staatliche Hilfen geben würde, war noch unklar, also rief der Club zum Crowdfunding auf: Jetzt sei die Zeit gekommen, sich zu revanchieren für all die wundersamen Partynächte, für Gästelisten-Plätze und die vielen ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden, die den Club so besonders machten. „Es war innerhalb kürzester Zeit ein riesiger Zulauf“, erzählt Mo. 100.000 Euro kamen zusammen – ein Polster, das es dem Kollektiv erlaubte, weitere Hilfen von Staatsseite selektiv zu beantragen und mit Augenmaß zu investieren. Die Last vieler Clubs, die trotz schwacher Einkünfte Corona-Darlehen in hoher Summe zurückzahlen müssen, hat der Südpol nicht zu schultern.

Trotzdem sind die Zeiten alles andere als rosig. „Es ist nicht einfach, einen Veranstaltungsbetrieb, so wie wir ihn machen, wirtschaftlich auf der Null oder im Plus zu halten“, erklärt Mo. „So wie wir ihn machen“ heißt etwa: ohne Sponsoring oder Werbung im Club, ohne Verträge mit Brauereien, die die Getränkekarte diktieren. „Wir versuchen auch, Fairness zu schaffen, indem alle Angestellten im Kollektiv für Einheitslohn arbeiten, also gleich verdienen, knapp über dem Mindestlohn“, sagt Mo. Als einer der ersten Clubs in Hamburg stellte der Südpol ein Awareness-Team auf, das rund um die Uhr das Wohlbefinden aller Partygäste im Blick hat – ein Extra-Aufwand aus ideellen Gründen.

Die Preise an der Bar habe man anheben müssen, erklärt Mo. Schließlich werde auch für den Club alles teurer, vom Bauholz bis zum Inhalt der Kühlschränke. Um sorgenfrei in die Zukunft zu blicken, reichen die Einnahmen nicht, aber es sei auch ein Anliegen des Kollektivs, möglichst wenige Menschen wegen hoher Preise auszuschließen. Wie der Club seinen Werten treu bleibt und trotzdem weitere zehn Jahre überleben kann, wie es das Nutzungskonzept vorsieht – das sei eine Frage, die fast alle Kräfte beanspruche.

Und nebenher noch Menschen in Not helfen? „Wenn man die Möglichkeit hat, einen kleinen Beitrag zu leisten, dann muss man das auch machen, finde ich“, sagt Steffi. Zurzeit aber gehe es einfach nicht. „Wir können nicht noch mehr Leute aufnehmen. Unsere Kapazitäten sind erschöpft.“

Zudem: Nicht alle, die Bleibe oder Anschluss suchen, seien so umgänglich wie Detlev oder Kurt. Es sei schon vorgekommen, dass die Südpol-Crew Obdachlose wegschicken musste, weil sie mehr Stress verursachten, als das Kollektiv auffangen konnte. Solche Situationen seien auch ethisch fordernd. „Es ist immer ein schmaler Grat: Wer darf, wer darf nicht“, sagt Steffi. „Und die Not steigt in dieser Stadt.“ Der Umgang mit Menschen, die im Clubumfeld Unterschlupf suchen, werde nicht einfacher, bestätigt Mo: „Die Leute haben eine kürzere Zündschnur. Sie wirken hilfloser und viel gereizter.“

Sie hätten manchmal selbst gern Hilfe, sagen die beiden – etwa von professionellen sozialen Einrichtungen. „Es wäre cool, Ansprechpersonen zu haben, die sich auskennen“, meint Steffi. „Das ist ja nichts, was wir gelernt haben.“ Auch geförderte Projekte wie die öffentlich zugänglichen Komposttoiletten im Hof, die dem Club und zugleich anderen nützen, seien hilfreich, ergänzt Mo. In jedem Fall wolle der Südpol weiter daran mitwirken, Hammerbrook lebenswerter zu machen – für alle.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 380

Panic at the Disco

Seit der Corona-Pandemie kämpft die Hamburger Clubszene ums Überleben. Im Schwerpunkt erklärt Kultursenator Carsten Brosda (SPD) im Interview, ob und wie die Stadt den Clubs helfen kann.

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Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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