Mit 80 hackte Klaus Gritz noch Holz. Doch bald wird klar: Er braucht eine Gehhilfe. Die Geschichte einer späten Annäherung.
Den Wink des Schicksals erhält Klaus Gritz an einem Sommertag im Jahr 2019. Wie jede Woche besucht er gemeinsam mit seiner Frau das Grab der Schwiegereltern auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Plötzlich gerät sein Oberkörper in Vorlage, die Füße stolpern hinterher, verheddern sich, er stürzt. „Ich landete lang auf dem weichen Waldboden“, erinnert sich der 88-Jährige –, „auf der bereits erworbenen eigenen Grabstelle“. Die Kinder, ergänzt Ehefrau Brigitte, hätten hinterher gefeixt: „Na, Vater, probeliegen?“
Klaus Gritz ist ein Mann, der bis ins hohe Alter fit geblieben ist: Noch mit 80 hat er das Holz für den Kamin gehackt, erzählt der ehemalige Kinderarzt. Doch irgendwann merkt er, dass er beim Gehen zunehmend unsicher wird. Mehrmals droht er zu stolpern. Ein Neurologe bestätigt eine Vorahnung: Klaus Gritz leidet an einer altersbedingten Nervenkrankheit, die seine Sturzgefahr erhöht. Der Arzt empfiehlt Krankengymnastik und einen Rollator. Den ersten Rat nimmt der Patient an, den zweiten nicht. Er denkt: „Soll ich öffentlich meine zunehmende Hinfälligkeit mit einer Gehhilfe demonstrieren?“
„Die Mitmenschen sind verständnisvoll und hilfsbereit.“
Klaus Gritz
Erst der Sturz auf dem Friedhof löst ein Umdenken aus. Wenige Tage später begegnet Gritz an der Bushaltestelle einer alten Dame mit Rollator. Er spricht sie an und fragt, wie sie mit dem Gerät zurechtkommt. Sie sei sehr zufrieden, antwortet die Frau: „Jetzt kann ich mich beim Gehen wieder gut nach allen Seiten umsehen, ohne zu stolpern. Ich hätte mich schon früher für den Rollator entscheiden sollen.“
Klaus Gritz ist beeindruckt – und entscheidet sich schon am nächsten Tag für ein leichtes, knallrotes Modell. Die Familie ist begeistert, ein Sohn verziert die neue Hilfe sogar mit dem Emblem einer Auto-Nobelmarke. Der Vater sammelt gute Erlebnisse: Droht er im Gedränge auf dem U-Bahnsteig umgerannt zu werden, teilt ein freundlicher Mitbürger die Menschenmenge mit ausgebreiteten Armen. Verhaken sich die Räder beim Auseinanderklappen des Rollators, hat sich eine junge Frau bereits gebückt und sagt: „Ich mache Ihnen das schon.“
Das Fazit des Rollator-Neulings ist eindeutig: „Die Mitmenschen sind verständnisvoll und hilfsbereit!“ Um Freund:innen und Bekannte zu ermutigen, ihm auf seinem Weg zu folgen, verschickt der Geläuterte einen vierseitigen Erfahrungsbericht. Der Titel: „Mut zum Rollator!“ Die mit feiner Selbstironie verfasste Erzählung zeigt Wirkung: „Eine ehemalige Kollegin rollt jetzt auch – und hat schon wieder jemand anderen motiviert“, berichtet Gritz. Auch Hinz&Kunzt bekommt eine Mail. Die Erkenntnis, die ihr Verfasser gerne verbreiten möchte: „Der wichtigste Schritt liegt in der Überwindung der eigenen Eitelkeit.“
Der Rollator sei das Eingeständnis einer Behinderung, sagt Klaus Gritz. Diese Hürde gelte es zu überwinden. „Es hängt von der Gemütslage ab, ob jemand das mit Humor nimmt oder in Selbstmitleid versinkt.“ Wenn er heute mit seiner Frau Einkäufe erledigt, geht sie jetzt manchmal allein in den Supermarkt, und er macht es sich vor dem Eingang auf der Sitzfläche der Gehhilfe bequem. „Ist doch auch schön!“, sagt Brigitte Gritz, und ihr Mann nickt. Eine Einschränkung gibt es jedoch: Holprige Waldwege können sie nicht mehr wählen für den gemeinsamen Spaziergang im Grünen. Dann denkt sie sich: „Ist halt so. Und außerdem: Wer ist früher überhaupt 88 Jahre alt geworden?“