In Kirchdorf-Süd hat ein Projektentwickler Mikro-Apartments für Menschen in Wohnungsnot gebaut. Warum geschieht das nicht häufiger?
Für Nicole* war der Umzug ein Glücksfall. Die zurückhaltende 42-Jährige mit der leisen Stimme hat zuletzt im Betreuten Wohnen gelebt, in einer WG für Menschen mit psychischen Erkrankungen in Kirchdorf-Süd. Dort gab es Probleme mit einer Mitbewohnerin. „Das war Terror“, erzählt sie. „Die war ziemlich laut, und wenn ich Besuch bekommen habe, ist die ausgeflippt.“ Zufällig erfuhr Nicole, dass ein paar Meter weiter gerade ein Haus mit Mikro-Apartments gebaut wurde, speziell für Menschen wie sie. Vor fünf Monaten hat sie ihren Mietvertrag unterschrieben und sagt heute: „Es fühlt sich gut an.“
Rund 100 Bewerbungsgespräche haben er und sein Team für die 23 Apartments geführt, sagt Patrick Müller-Constantin von der Stiftung „Das Rauhe Haus“. Sie haben die Bewohner:innen ausgewählt und begleiten sie nun im Alltag (siehe Info-Kasten). „Wir wollten eine gute Hausgemeinschaft hinbekommen, damit jede und jeder mit seinem Rucksack zur Ruhe kommt.“ Manche Mieter:innen hätten zuvor lange in städtischen Unterkünften gelebt, andere in betreuten Jugendwohnungen oder „besonderen Wohnformen“ wie Nicole. Die möchte über ihre Geschichte nicht viel erzählen, nur so viel: Sie habe früher in Niedersachsen gewohnt, war verheiratet und habe nach der Trennung „ein halbes Jahr auf der Straße gelebt“.
Der gelernte Sozialarbeiter Müller-Constantin hat eine klare Haltung: „Wohnraum ist Menschenrecht.“ Seit vielen Jahren arbeitet der 47-Jährige mit Menschen, die es auf dem Wohnungsmarkt schwerer haben als andere. „Man könnte jeden Tag zehn solcher Mikro-Apartments bauen, und der Bedarf, den wir in dieser Stadt haben, wäre immer noch nicht gedeckt“, sagt er. Die Behördenstatistik gibt ihm recht: Mehr als 30.000 Menschen in Hamburg leben in einer städtischen Unterkunft, weil es keinen Wohnraum für sie gibt.
Wenn Nicole aus dem Schlafzimmerfenster schaut, blickt sie auf die Gartenhütte eines Nachbarn, der in einem rund 25 Meter entfernten Reihenhaus-Riegel wohnt. Müller-Constantin weiß, dass Neubauprojekte Sorgen bei denen hervorrufen können, die drumherum wohnen. Deshalb habe er die Nachbarschaft frühzeitig eingeladen „und bei einer Wurst erzählt, was hier entsteht“. Der Erfolg gibt ihm recht: „Die Reaktionen waren durchweg positiv.“
Der Mann, der das Projekt mit seiner Firma C2PD entwickelt hat und die Apartments vermietet, heißt Christoph Deneke. Vor sechs Jahren erregte der 41-jährige Hamburger Aufmerksamkeit, als er alte Schiffscontainer zu Mikro-Wohnungen aufpeppen ließ und an junge Leute vermietete, für die das Amt die Miete übernahm (H&K 11/2022). Heute werden seine Apartments aus vorgefertigten Holzmodulen gebaut, „nach KfW-40-Standard“ und staatlich gefördert. Sie sind etwas breiter, etwas kürzer und nach wie vor 25 Quadratmeter groß. Knapp 100 solcher Mikro-Wohnungen hat seine Firma mittlerweile in Hamburg errichtet, sagt Deneke. Außerdem Häuser, in denen 86 Menschen mit Assistenzbedarf in Wohngemeinschaften leben und die er an soziale Einrichtungen wie die Großstadtmission vermietet.
Billig ist das Wohnen bei Christoph Deneke nicht: Zwischen 600 und 700 Euro inklusive Betriebskosten beträgt die Miete, die die Stadt in Kirchdorf-Süd pro Apartment überweist – der Höchstsatz für die Kosten der Unterkunft, die der Staat für Hilfebeziehende zahlt. Damit liegt der Quadratmeterpreis bei rund 20 Euro kalt. Zu einem niedrigeren Preis könne er nicht vermieten, sagt Deneke, schließlich müsse er Grundstückskauf und Bau jedes Mal vorfinanzieren und dafür Zinsen zahlen. Seine Gewinnmarge sei klein – und in Kirchdorf-Süd „machen wir gar keine Rendite, weil das Projekt zu viel Geld geschluckt hat in zu langer Zeit“.
Dort wo heute 23 Menschen ein neues Zuhause gefunden haben, standen früher 40 Bäume, erzählt der Projektentwickler. „Wir haben viel Geld dafür bezahlt, dass wir die wegnehmen durften.“ Das Grundstück habe seine Firma vor fünf Jahren über einen Makler gekauft, gemeinsam mit einem Architekten, der inzwischen pleite sei. Weil der bei der Planung nicht das Denkmalschutzamt einbezogen habe, in Sichtweite aber ein Baudenkmal steht, sei die erste Baugenehmigung ungültig gewesen. Es folgten ein teurer Rechtsstreit und jahrelange Verzögerungen. „Letztlich haben wir das Haus in Eigenregie fertig gebaut.“

Für Mieterin Nicole bedeuten die 25 Quadratmeter Wohnraum genau die Freiheit, die sie braucht. Wenn sie von der Werkstattarbeit nach Hause kommt, erzählt sie, setzt sie sich gerne an ihren Lieblingsplatz, den kleinen Esstisch neben der Küchenzeile. Dann macht sie den Computer an und schreibt ein paar E-Mails. Meist klingle bald ihre Nachbarin, eine junge Koreanerin, die nur wenig Deutsch spreche. Damit sie sich mit ihr und anderen Mieter:innen besser verständigen kann, hat Nicole begonnen, mithilfe von Youtube-Tutorials Englisch zu lernen. „Und der Nachbarin bringe ich jetzt etwas Deutsch bei.“ Abends treffe sie sich dann oft noch mit einem anderen Nachbarn, „dann quatschen wir oder spielen Skip-Bo“.
Ginge es nach Projektentwickler Deneke, würde mehr Wohnraum für Menschen wie Nicole entstehen. „Luxusapartments gibt es in Hamburg genug. Warum werden nicht erst mal die Wohnungen gebaut, die wir am dringendsten brauchen?“ Er glaubt, dass vor allem Vorurteile Investor:innen abschrecken. „Dabei ist der Großteil unserer Mieter unauffällig – so wie überall.“ Am Geld könne es jedenfalls nicht liegen: Seine Projekte zeigten, dass der Bau von Wohnraum für Hilfebeziehende auch für die Privatwirtschaft interessant sein könne: „Wir bedienen Zins und Tilgung – und verdienen auch ein wenig Geld dabei.“