Dank Kraft und Mut, Taktik und Teamgeist: Die Rugby-Frauen des FC St. Pauli sind Rekordsieger in der Bundesliga
(aus Hinz&Kunzt 156/Februar 2006)
15 Frauen in Braun-Weiß stürmen aus dem kleinen Backsteinhaus auf den Rasen. Ihre Gegnerinnen in den roten Trikots vom RC Leipzig warten schon. Zwischen die aufgereihten Mannschaften wird der ovale Ball gelegt, und Johanna Jahnke (22), die Kapitänin des FC St. Pauli, gibt das Kommando zum Anstoß. Das Rugbyspiel beginnt.
„Es ist eine familiäre Atmosphäre. Die meisten, die kommen, kennt man schon“, erzählt Johanna. Aber es kommen nicht viele. Um den Platz haben sich etwa 30 Menschen versammelt. Vier Fans in riesigen rot-weißen Hemden und Zylinderhüten feuern die Spielerinnen an. Aufgrund der Farben ist nicht klar, wen die Jungs eigentlich unterstützen. „Wir sind für St. Pauli“, sagt Jan und winkt ein bisschen mit der Hamburg-Fahne. „Wenn wir gewusst hätten, dass die Leipzigerinnen auch Rot tragen…“ Die Jungs spielen morgen für die Männermannschaft in der zweiten Liga. Dann werden die Rugby-Frauen bei ihnen die Fahne schwenken – schließlich haben sie zusammen in der Nachwuchstruppe angefangen.
Ein Bundesligaspiel stellt man sich größer vor. Warum ist Rugby in Deutschland eigentlich so unbekannt? Johanna sieht geschichtliche und kommerzielle Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich in Deutschland eher American Football durchgesetzt, während in Frankreich und England Rugby zum Volkssport geworden sei. „Irgendwann war der Zug für uns abgefahren!“, so Johanna. Außerdem sind die Übertragungsrechte für internationale Rugbyspiele genauso teuer wie beim Fußball – zu viel Geld, wenn nur wenige zuschauen. Doch die familiäre Atmosphäre beim Spiel ist nicht schlecht: Es gibt Bier und Kuchen.
Rugby stammt eigentlich aus England. In Deutschland hat der Sport eine 100-jährige Tradition: Deutsche Schüler sollten ähnlich wie ihre englischen Altersgenossen zu Mut und Kraftanwendung erzogen werden. Im Jahr 1900 schaffte das deutsche Nationalteam sogar den zweiten Platz bei den Olympischen Spielen. Nach diesem kurzen Höhepunkt führte Rugby ein Schattendasein als seltener Vereinssport.
Die Frauenmannschaft des FC St. Pauli, die einzige in Hamburg, wurde 1989 aufgestellt. Die ersten Spielerinnen wurden noch aus der Polizeischule rekrutiert, heute finden die Mädchen eher zufällig oder über Bekannte zum Sport. Die Rugbyfrauen sind nicht nur die erfolgreichste Mannschaft ihres Vereins, sondern mit fünf Titeln auch der Rekordmeister der Bundesliga. Dafür bekamen die Spielerinnen kürzlich von ihrem Verein goldene „Verdienstnadeln“.
Der Ball fliegt, und die beiden gegnerischen Reihen stürmen aufeinander los. Bald kommt es zum ersten Gedränge: Die Frauen stehen sich in zwei Fronten gegenüber, in gebeugter Haltung drücken sie mit Händen und Schultern gegeneinander. Von der Seite wird der Ball eingeworfen, und beide Teams versuchen, ihn mit den Beinen herauszufischen. Wir finden das ziemlich brutal. „Brutal nicht, eher hart. Brutalität bezeichnet etwas Unkontrolliertes, und das ist Rugby nicht“, erklärt die Kapitänin.
Auf der Metallbank neben der Punktetafel sitzt Kerstin Singhoff. Ihre Tochter trägt die Nummer 18. Für sie selbst wäre Rugby nichts, aber „es ist etwas Besonderes“. Da sei nicht nur Härte gefordert, sondern auch Taktik und Teamgeist, meint die Mutter.
Der Ball rauscht an uns vorbei ins Aus. Die Mädchen formieren sich zur nächsten Standardsituation, der Gasse, bei der die Spielerinnen zwei Reihen bilden. Hoch über ihre Köpfe wird eingeworfen, und jede Mannschaft „liftet“ eine Spielerin in die Luft, die versucht den Ball zu fangen. Beeindruckende Akrobatik. „Es sind 15 Spielerinnen auf dem Feld, und jede der 15 Positionen braucht andere Fähigkeiten: Wir haben Platz für große, kleine, dicke und dünne Frauen“, erklärt Johanna. So sollte die Spielerin, die „geliftet“ wird, möglichst leicht sein; die Spielerinnen dagegen, die den Pulk ihrer Mannschaft in die gegnerische Reihe schieben, müssen kräftig und gewichtig sein. „Was man aber in jedem Fall mitbringen muss, ist Mut, den Körper einzusetzen“, sagt Johanna. Blaue Flecken gehören beim Rugby dazu, schlimmere Verletzungen sind nicht häufiger als bei anderen Sportarten und lassen sich durch gutes Training vermeiden.
Früher sollte Rugby zur Männlichkeit erziehen. Wie steht es mit den Frauen? Johanna kennt das Vorurteil, dass die Frauen beim Rugby nicht weiblich genug seien, „Mannweiber“. Doch da Mut, Kraft und ein trainierter Körper schon lange keine rein männlichen Attribute mehr sind, läuft dieses Vorurteil ins Leere. Auch zwei Jungs auf der Leipziger Seite beschäftigen sich mit dieser Thematik: „Guck mal die Zwölf an, die hat Beine!“ „Na ja, wenn du auf Muskeln stehst. Ich meine aber, die mit den Knieschützern, die hat was.“
Das Spiel ist vorbei. St. Pauli bezwang Leipzig 90:0. Besonders schwer war der Gegner nicht, die Leipziger Mannschaft gibt es erst seit zwei Jahren. Auch in dieser Saison sind die Hamburgerinnen Tabellenführer. So wird wohl die Frauenmannschaft des FC. St. Pauli wieder still und unbeachtet den deutschen Meistertitel im Rugby holen.