Kolumnistin Nele Gerber findet ein Leben ohne Spinnen in der Wohnung irgendwie angenehmer.
Neulich hörte ich aus dem Zimmer meiner Tochter ein sehr klägliches: „Mama, komm mal … “ Der Tonfall ließ Fürchterliches vermuten. Als ich das Zimmer betrat, stand mein erwachsenes Kind wie versteinert vor dem Spiegel. Der Grund für die Schockstarre meiner Tochter war aber nicht ihr Aussehen, sondern eine gigantische Spinne, deren dicke und haarige Beine oberhalb des Spiegels hervorschauten.
Ich weiß nicht, warum meine Tochter immer zu gefrieren scheint, sobald sie eine Spinne sieht. Zugegeben: Die Hauswinkelspinne ist auch nicht mein Lieblingstier. Meine Tochter aber beschloss in dem Moment, in dem der Achtbeiner hinter dem Spiegel verschwand, nicht mehr in ihrem Zimmer zu übernachten. Erst eine von viel Gejammer und Geschrei begleitete Fangaktion, an deren Ende das Tier ins Freie entlassen wurde, beruhigte die Lage.
Neulich erst hing plötzlich ein von unzähligen Babyspinnen umgebenes dünnes, langbeiniges Muttertier an einer Zimmerdecke. Nie zuvor – nicht mal in den Tropen – habe ich so etwas gesehen. Weberknechte, die sich vor dem Einfangen drücken, indem sie sich fest an die Wand pressen, sind unsere Dauergäste. Und letztens erinnerte mich eine mir unbekannte Art an die ukrainisch-niederländische Ballerina und Choreografin Milena Sidorova und ihren Tanz „The Spider“. Faszinierend und gruselig zugleich imitiert die Tänzerin eine Spinne. Dicht an den Boden gepresst, die Arme und Beine weit auseinandergespreizt, schafft sie es trotzdem, den Kopf zu heben und ihr Publikum zu fixieren. Dann beginnt sie zu krabbeln und dabei mit dem Körper seltsam hoch und runter zu schwingen. Genauso wanderte unser achtbeiniger Besuch durch die Küche. Nein, es war keine Winkelspinne, die im Netz wild zittert, um Angreifer zu verwirren. Die kenne ich – sie beehren uns ständig.
Wahrscheinlich hilft meiner Tochter nur ein Wohnungswechsel. Neulich sprach im Fernsehen ein Biologe darüber, dass Häuser für Spinnen eine Art Felsblock seien, in dessen Ritzen und Spalten sie gerne leben. Der Mann hat mir die Augen geöffnet. Der lädierte Fußboden unserer Wohnung ist durchzogen von Ritzen. Und die Fenster sind so undicht, dass einem die Haare flattern, wenn es draußen stark windet. Hier kommen sie bestimmt rein zu uns. Natürlich entweicht auch die Heizungswärme sofort nach draußen. Aber immerhin kann sich bei dieser Art von Dauerbelüftung kein Schimmel bilden. Wir leben eindeutig in einem Felsblock mit Ritzen und Spalten – perfekte Bedingungen für Spinnengetier.
Die Frage ist, ob die jüngste, saftige Mieterhöhung – wie immer mit Verweis auf den Mietenspiegel – für einen von Spinnen bewohnten Felsblock gerechtfertigt ist.
Die Phobie meiner Tochter ist aber gar nicht das eigentliche Problem, sondern die Tatsache, dass unsere Wohnung ein Eldorado für Spinnen zu sein scheint. Permanent tauchen unterschiedlichste Arten dieser Gliederfüßer bei uns auf. Die Theorie, dass durch Konfrontation mit den Tieren Spinnenphobien geheilt werden können, trifft hier also absolut nicht zu.