Als Freundeskreismitglied unterstützt der Uni-Dozent Timur Sevincer (36) regelmäßig Hinz&Kunzt – gerade weil er selbst einmal von Erspartem leben musste.
(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)
Nur vier Tage noch, dann geht’s zu den Oliven. „Endlich“, sagt Timur Sevincer und strahlt. Der 36-Jährige freut sich auf seinen lang ersehntenTürkeiurlaub: eine Woche Erholung auf der Plantage seines Vaters, der einst als Informatikstudent nach Deutschland kam und der vor einigen Jahren in die Türkei zurückkehrte – nun als Rentner.
„Wird zwar nur ein kurzer Besuch, aber immerhin.“ Mehr Zeit mag Timur Sevincer sich gerade nicht abknapsen: „Umzugsstress“, erklärt er. Nach zehn Jahren WG-Leben auf St. Pauli geht es in Richtung Schlump, ein Stück näher ran an die Uni. Auch dort wartet jede Menge Arbeit auf ihn. Allerdings nicht als Student – obwohl er mit Jeans, Karohemd und Dreitagebart locker als einer durchgehen würde. Doch Timur Sevincer trägt bereits seit drei Jahren ein Dr. vor seinem Namen. Und hat Motivation zu seinem Beruf gemacht: Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Pädagogische Psychologie und Motivation. Dieses Semester übernimmt er außerdem eine Vertretungsprofessur. Selbst an herrlichen Frühlingstagen wie heute schafft er es deshalb nur selten vor 20 Uhr aus seinem Büro im sogenannten „Wiwi-Bunker“. Sevincer zuckt mit den Achseln. „Dafür macht mir die Arbeit ja auch unglaublich viel Spaß. Sie erfüllt mich.“ Und manchmal füllt sie sogar ab: Einer von Timur Sevincers Forschungsschwerpunkten ist Alkohol. Besser gesagt: die Wirkung von Alkohol auf die Motivation, also die Zielsetzung von Menschen. Für eine Studie dazu bat er 60 Studenten zu einem großen Umtrunk – und hatte, wie er grinsend erklärt, „keine Probleme, genügend Freiwillige zu finden“.
Er belegte mit seinen Tests, dass Beschwipste im Gegensatz zu Nüchternen zwar häufig – und sehr enthusiastisch – große, teilweise auch unerreichbare Ziele anpeilen, diese nach Abklingen des Rausches aber selten tatsächlich umsetzen. „Wir nennen das Alkoholkurzsichtigkeit“, erklärt Timur Sevincer, dann zählt er wirksamere Motivationstipps auf: „Immer in kleinen Schritten denken. Ziele so konkret definieren wie möglich. Und einen genauen Zeitpunkt für die Umsetzung festlegen.“
Er selbst geht auch so vor. Ursprünglich hatte er zunächst in seiner Heimatstadt Frankfurt Philosophie studiert, zog dann nach Hamburg, um hier seinen Master zu machen. „Das Fach war mir aber letztlich zu theoretisch. Man stellt Thesen auf, ohne sie beweisen zu können.“ Sein Nebenfach Psychologie, die Möglichkeit, Alltagsphänomene mit Studien wissenschaftlich zu belegen, faszinierte ihn mehr. Doch der Einstieg als Doktorand an der Uni war schwierig: „Ich war auf Stipendien angewiesen und oft unsicher, ob ich eins bekomme.“
Trotzdem begann er in dieser Zeit, Hinz&Kunzt zu unterstützen. Vielleicht auch gerade deswegen: „Ich musste sebst mal für ein halbes Jahr von Erspartem leben. Ich weiß, wie schnell man ohne Geld dastehen kann.“ Darum entschied er: „Sobald ich ein sicheres Einkommen habe, spende ich einen Teil davon an soziale Projekte.“ Dabei hat er zu Hinz&Kunzt einen besonders engen Bezug: „Auf St. Pauli bin ich vielen Verkäufern und überhaupt vielen Obdachlosen begegnet. Wenn ich Hinz&Kunzt helfe, helfe ich also quasi vor der Haustür.“ Als Fachmann für Motivation schätzt er außerdem das Prinzip der Zeitung: Hilfe zur Selbsthilfe. „Wäre eigentlich spannend, die Wirkung dieser Idee wissenschaftlich zu untersuchen“, überlegt er. Aber vorher liegt etwas anderes an: Urlaub.
Text: Maren Albertsen
Foto: Hannah Schuh
Gleich hier für Hinz&Kunzt online spenden oder dem Freundeskreis beitreten.