Soziologin über Ehrenamt

„Helfen ist immer hierarchisch“

Silke van Dyk ist Professorin am Lehrstuhl für politische Sozilogie in Jena. Foto: Anne Günther/FSU

Freiwilliges Engagement zu kritisieren, das ist fast so, als würde man jemandem einen frisch gebackenen Apfelkuchen madig machen wollen, sagt Silke van Dyk. Die Soziologin findet trotzdem, dass das Ehrenamt sich einer kritischen Auseinandersetzung stellen muss.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Hinz&Kunzt: Ehrenamtliches Enga­gement hat einen sehr guten Ruf. Sie sagen, Freiwillige würden fast religiös überhöht. Was ist schlecht daran, Gutes zu tun?

Silke van Dyk: Wir kritisieren ja nicht die Engagierten. Keine Gesellschaft kann ohne sie leben. Problematisch ist aber, dass medial oft von Engeln oder Helden die Rede ist, wenn es um Ehren­amtliche geht. Das klingt erst einmal toll, legt aber nahe, dass sie nicht auf solche „profanen Dinge“ wie soziale Rechte und Bezahlung angewiesen sind (siehe Meldung S. 29). Verdi hatte mal eine tolle Kampagne namens „Tarif­verträge fallen nicht vom Himmel“, um darauf hinzuweisen, dass Menschen, die arbeiten, sozialen Schutz brauchen. Tatsächlich arbeiten viele Engagierte unbezahlt in Bereichen, für die es Fachkräfte bräuchte.

Ihre Kritik: Der Staat nutzt Ehrenamt­liche aus. Aber die Menschen helfen doch freiwillig?

Es lohnt sich, genau hinzugucken: Wo erfüllen Freiwillige Aufgaben, die der Staat qua Rechtsauftrag zu erfüllen ­hätte? Wo es etwa das Recht auf einen Kindergartenplatz gibt, dann aber die Ressourcen fehlen, diesen Rechtsanspruch umzusetzen. Oder bei begleitetem Umgang in Trennungsfamilien: Das ist eine öffentliche Aufgabe, aber die wird in vielen Kommunen ehrenamtlich vom Kinderschutzbund organisiert. Ohne Freiwillige läuft es in vielen Bereichen nicht mehr, gravierend ist es in der Geflüchtetenhilfe und der Pflege. Aber es ist natürlich unproblematisch, wenn Nachbar:innen für Geflüchtete ein Straßenfest organisieren. Oder eine Klavierspielerin ein Mal pro Woche ­einen Musiknachmittag im Pflegeheim anbietet.

Kann es sich der Staat leisten, auf Freiwillige zu verzichten?

Lebensnotwendige und teilhabesichernde soziale Aufgaben sollten öffentlich ­finanziert und transparent organisiert werden, etwa zentrale Bereiche wie ­Essen, Pflege, Integration von Geflüchteten oder die Ganztagsbeschulung. Da kommt dann sofort das Gegenargument: „Dafür fehlen aber die Mittel.“ Die Mittel fehlen aber nicht, es ist eine Frage der Verteilung. Man muss auch immer wieder sagen: Der Staat ist kein Privathaushalt. Er bestimmt auch über seine Einnahmenseite souverän. Nehmen Sie das Beispiel Tafeln (siehe auch ab S. 24): In einem so reichen Land wie Deutschland kann es keine Aufgabe von Ehrenamtlichen sein, dafür zu sorgen, dass Menschen sich ernähren können.

Problematisch finden Sie auch die Grauzone zwischen Fachkräften und engagierten Laien. Wo zum Beispiel?

Im Pflegebereich gibt es sehr gut dokumentierte Grenzüberschreitungen: Der Übergang von einer sozialen Betreuung zu einer quasimedizinischen Pflege ist da fließend, etwa wenn man als Hel­fer:in mit einer schwer pflegebedürftigen Person spazieren geht, die dann auf die Toilette muss. Andere Bereiche sind weniger offensichtlich: Niemand nimmt sofortigen Schaden, wenn er oder sie einen Deutschkurs bei jemandem besucht, der nicht dafür ausgebildet ist. Wir wissen aber, dass es für die erfolgreiche Übermittlung von Sprachkompetenzen eben nicht reicht, Mutter­sprach­ler:in zu sein.

Diese „Deprofessionalisierung“ schadet eher, als dass sie nützt?

Ja, gerade die sozialen Berufe haben ­keine festen Professionsgrenzen. Je näher Aufgaben am Menschen sind, desto weniger hoch werden sie geschätzt. Bei diesen Tätigkeiten heißt es, man brauche nur ein „großes Herz“ und dann klappe das schon. Niemand würde hingegen eine nichtqualifizierte Person an einen OP-Tisch stellen.

Auch pensionierte Ärzt:innen engagieren sich im medizinischen Bereich …

Ja, die Hilfe ist dann zwar nicht un­professionell, aber sie funktioniert nicht als soziales Recht, sondern als eine ­Gabe, für die ich dann auch dankbar sein muss.

Sie sagen, dass auch Freiwillige enttäuscht sind, wenn ihnen nicht gedankt wird. Ist das so?

Ja, das ist auf jeden Fall ein Problem. Egal wie reflektiert die Leute sind: Helfen ist immer eine hierarchische Beziehung. Wir haben in unserer Forschung gesehen, dass viele, die Geflüchteten geholfen haben, bitter enttäuscht waren, wenn die nicht mit ihnen befreundet sein wollten. Es gibt auch eine Tendenz, die Leute in ihrer Rolle zu halten, weil Helfer:innen ganz viel Bestätigung aus ihrem Engagement ziehen. Menschen kompensieren damit auch Anerkennungsdefizite aus ihrer Erwerbsarbeit. Das ist verständlich, aber für die Leute, die Hilfe bekommen, total schwierig.

Unterschätzen Ehrenamtliche ihre Aufgabe?

Es gibt auf jeden Fall die sehr klare und berechtigte Vorstellung, dass das Ganze Spaß machen soll, weil es ja freiwillig ist. Doch nicht alle Hilfsbedürftigen sind so, dass es Spaß macht, mit ihnen umzugehen. Eine Pastorin hat das einmal sehr klar benannt: „Wer geht denn zu der grantigen Alten im Pflegeheim, die einen erst mal anschreit, wenn man die Tür aufmacht? Das bin ich, nicht die Ehrenamtlichen.“

Artikel aus der Ausgabe:

Tafeln vor dem Kollaps

Schwerpunkt Ehrenamt: Wie mehr als 1200 Freiwillige Hamburgs Obdachlosen helfen und wieso das problematisch ist. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) spricht im Interview über die Überwindung der  Obdachlosigkeit. Außerdem: Wieso Antiquariate ums Überleben kämpfen und manchen Geflüchteten aus der Ukraine die Abschiebung droht.

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Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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