Wie Schüler des Sophie-Barat-Gymnasiums um Pressefreiheit kämpfen und nebenbei den Wettbewerb um die beste Schülerzeitung Hamburgs gewinnen
(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)
Über der Tür der Redaktion hängt ein sterbender Jesus. Ein Kruzifix an einer katholischen Schule – kein ungewöhnlicher Anblick. Erstaunlicher ist da schon das Teufelchen, das unter dem Kruzifix frech vom Titelblatt der Schülerzeitung grinst. „Sophies Unterwelt“ heißt die Zeitung, von der gerade die zweite Ausgabe erschienen ist. „Und das, obwohl wir offiziell verboten sind“, sagt Nico Semsrott stolz. Der 19-Jährige gehört zur zehnköpfigen Redaktion an dem Gymnasium nahe der Alster. „Gezieltes Rebellentum“ haben sich die elf bis 19 Jahre alten Redakteure auf die Fahnen geschrieben. Und sich damit mit dem katholischen Schulapparat angelegt.
Eigentlich gab es schon eine Schülerzeitung an der Sophie-Barat-Schule, die hieß „Sophies Welt“ und wurde von einem Beratungslehrer betreut. „Er glaubte, er habe als Lehrer immer das letzte Wort“, erzählt Nico Semsrott. „Aber bei einer Schülerzeitung müssen doch die Schüler das letzte Wort haben.“ Der Streit entzündete sich nicht einmal an einer politischen Frage, sondern am Schreibstil. „Die Qualität eines Artikels hatte uns nicht gefallen, der Lehrer wollte ihn trotzdem drucken“, sagt der Abiturient. „Da sind wir ausgestiegen. Wir wollten keinen Vormund.“
Nico Semsrott und die Schülerin Anne Spies gründen eine eigene Redaktion, „Sophies Unterwelt“ war geboren. Anfangs habe die Schulleiterin Schwester Podlesch das Projekt sogar begrüßt, erzählen die beiden. Doch als sie es ablehnten, Artikel vor Erscheinen von einem Lehrer lesen zu lassen, sei die Zeitung verboten worden. „Es hieß sogar, es gebe Konsequenzen, wenn wir auf dem Schulhof verkaufen. Und dann wurde ganz beiläufig erwähnt, eine Privatschule könne sich die Schüler aussuchen und bestehende Verträge kündigen.“
„Wir hatten Angst“, erklärt Nico Semsrott. „Aber meine Eltern standen hinter mir, hätten sich notfalls einen Anwalt genommen.“ Die Redaktionscrew lässt sich nicht einschüchtern. Mit Hilfe der Jungen Presse Hamburg, der Interessenvertretung der Schülerzeitungen, gelingt der Coup: „Sophies Unterwelt“ wird in einer Auflage von 500 Stück gedruckt und vor der Schule verteilt. Beim Schülerzeitungs-Wettbewerb der Stadt gewinnt das „höllisch gute“ Magazin auf Anhieb sogar den ersten Preis, unter zwölf Mitbewerbern. Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig überreicht den Jungredakteuren 500 Euro Preisgeld, Software und einen Druckgutschein über 500 Euro.
Doch die Hoffnung der Schüler, dass ihre Schulleiterin nun einlenkt, wird enttäuscht. „Man hat uns zwar gratuliert, aber verboten sind wir immer noch.“ Die Situation habe sich sogar verschärft, meint Nico Semsrott. „Lehrer, die uns Interviews gegeben hatten, haben sie nach einer Lehrerkonferenz wieder zurückgezogen.“ Schüler, die in der weiter bestehenden Redaktion von „Sophies Welt“ arbeiten und auch für die „Unterwelt“ schreiben, bekämen „Ärger“.
„Ich habe gar nichts gegen die Zeitung“, entgegnet die Schulleiterin Schwester Podlesch. Sie bestehe allerdings darauf, dass ein Lehrer vor Erscheinen der Zeitung einen Blick auf die Artikel werfe. Das Hamburgische Schulgesetz, nach dem Schüler an staatlichen Schulen ohne Erlaubnis der Lehrer ihre Zeitungen verteilen dürfen, gelte für Privatschulen nicht. Dennoch meint sie: „Eine Zensur gibt es hier nicht. Man will mich zwingen, das Schulgesetz anzuerkennen. Das tue ich aber nicht, ich gebe nicht nach.“
Hier bekommt sie sogar juristische Schützenhilfe von der Schulbehörde: „Die Pressefreiheit gilt zwar auch für katholische Privatschüler“, so Sprecher Alexander Luckow. „Aber damit verbunden ist nicht der Anspruch, Zeitungen überall vertreiben zu dürfen.“ Hier gelten der Schulvertrag und das Kirchenrecht. Doch was ist das Grundrecht Pressefreiheit wert, wenn Journalisten ihre Zeitungen nicht dort anbieten dürfen, wo sie ihre Leser finden? Gilt das Grundrecht in katholischen Schulen nicht oder nur halb? „Das kann nicht sein“, meint Sebastian Olényi, Vorsitzender der Jungen Presse Hamburg. „Die Schule dürfte nur nach einem Gerichtsverfahren das Verteilen auf dem Schulgelände verbieten.“
Für Olényi ist der Fall von „Sophies Unterwelt“ einer von vielen Versuchen von Lehrern, die etwa 150 Schülerzeitungen in Hamburg zu kontrollieren. „Die Zensur ist der Regelfall. Dabei machen Schulleiter das nicht aus Bösartigkeit. Sie denken, sie sind verantwortlich für das Gedruckte. Das ist aber nicht so, es gilt das allgemeine Presserecht.“ Ungewöhnlich am Fall „Sophies Unterwelt“ sei nur, dass sich Schüler der Kontrolle widersetzt hätten.
Mittlerweile scheinen die Fronten zwischen Lehrern und Kids so verhärtet, dass eine einvernehmliche Lösung schwer vorstellbar ist – auch wenn Schwester Podlesch sagt: „Ich lebe nicht im Streit mit den Schülern, alle Gespräche waren harmonisch. Der Streit ist von der Jungen Presse instrumentalisiert und zum Grundsatzkampf gemacht worden. Ich nehme das gar nicht persönlich. Das Problem wird sich irgendwann von ganz allein lösen.“
Danach sieht es allerdings vorerst nicht aus. Im Gegenteil: Die zweite Ausgabe von „Sophies Unterwelt“ ist radikaler als die erste. Befasste sich die prämierte Erstausgabe mit Fragen wie „Geht Edding ins Hirn?“ oder „Wie bleibe ich im Unterricht wach?“, findet sich in Nummer zwei zum Beispiel eine satirische Fotomontage der Schule mit dem Titel: „Sie verlassen den Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland“ oder Überschriften wie „L’école, c’est moi“. Die Teufelchen der „Unterwelt“ arbeiten bereits an Ausgabe Nummer drei.
Petra Neumann
Tag der Pressefreiheit
Zum Welttag der Pressefreiheit haben die Vereinten Nationen den 3. Mai ausgerufen. Die Botschaft: Jeder Journalist soll überall auf der Welt das Recht haben, frei und ohne Angst berichten zu können. Außerdem soll der Tag, der seit 1992 begangen wird, an die Verletzung von Informations- und Freiheitsrechten in vielen Staaten erinnern.
Das Internationale Netzwerk der Straßenzeitungen (INSP) unterstützt diese Anliegen. Zum INSP gehören mehr als 55 Zeitungen in 27 Ländern, darunter auch Hinz&Kunzt. INSP-Chef Shane Halpin: „Straßenzeitungen bringen Frische und Realismus in die überwiegend kommerzielle Welt der Medien. Mit der Freiheit, die wirkliche Geschichte zu drucken, betreten viele der Publikationen Neuland.“