Gute Nachricht für alle Fans von Regy Clasen: Die Hamburger Sängerin tritt im Oktober im Schmidt Theater auf. Die schlechte Nachricht: Ihre nächste CD lässt noch auf sich warten
(aus Hinz&Kunzt 152/Oktober 2005)
Hoffentlich geht das Jahr schnell vorbei. Hoffentlich beeilt sich der Herbst, der Winter legt einen Zahn zu und das Frühjahr macht nicht so lange. Denn bis zum Sommer, so lange könnte es noch dauern, bis das dritte Album von Regy Clasen erscheint. Vielleicht kommt es ja auch früher! Hoffentlich…
Achtung – hier spricht der Fan! Und Fan wird man, hat man einmal einen Regy-Clasen-Song im Radio aufgeschnappt. Oder hat man gleich ihre zweite CD „wie tief ist das wasser“ in die Hand bekommen. Oder wurde zu einem ihrer Konzerte mitgenommen. Denn die 34-Jährige ist alles andere als ein gecastetes Modell aus irgendeiner Show, in der man um die Wette trällert, keine hübsche Langbeinige aus irgendeiner Herzschmerz-Soap, wie sie nachmittags im Fernsehen hölzerne Sätze in einer Pappdekoration abspulen und jetzt auch singen, weil das ja alle machen, wenn auch nicht können. Regy Clasen aber kann singen. Und mehr als das: Sie ist eine begnadete Sängerin. Singt über bedingungslose Liebe, schwere Enttäuschung, Liebesschmerz; singt, wie es ist, sitzt man des Nachts klopfenden Herzens neben jemanden, wo doch zu Hause einer auf einen wartet. Manchmal legt man sich lang auf den Boden, hört einfach zu. Dann wieder tanzt man ausgelassen in der Küche, obwohl man den Geschirrspüler ausräumen wollte. Songwriting, Akustik-Pop, deutscher Soul – falls eine Schublade zur Orientierung helfen soll.
Ihr Können kommt nicht von ungefähr, stammt sie doch aus einer rundum musikalischen Familie. Der Vater Musiklehrer, die Mutter arbeitet als Organistin. Ihr Bruder Mat begleitet sie bis heute als Saxofonist. „BinnenAllstarFamily“ nennt sich die Familienband, da ist sie zehn Jahre alt. Es muss eine irre Mischung aus Hausmusik und Experiment gewesen sein. Sie lernt Klavier, bringt sich später das Gitarrespielen bei. Die Familie ist da von Hamburg raus aufs Land nach Lüchow-Dannenberg gezogen, ins Wendland. Zwölf ist sie und zunächst gar nicht glücklich: „Als Zugereiste wird man nicht so schnell akzeptiert.“ Also sitzt sie oft in ihrem Zimmer, fängt an zu schreiben. Gedichte noch, keine Songs. Die Musikkneipe in Platenlaase, einem Dorf mit drei Häusern, wird bald ein wichtiger Platz. Inspirationsquelle und dann Bühne. Nur an ihrer Schule gefällt es ihr rein gar nicht. Das Abitur will sie lieber in Hamburg machen, also muss die Familie umziehen.
Sie nimmt Gesangsunterricht, nutzt das Kontaktstudium „Popularmusik“ und gründet 1991 mit vier Gleichgesinnten die A-Capella-Combo „Five Live“. Ihr Repertoire: Soul- und Jazzklassiker, aber auch Discofetzer wie „Staying alive“, die sie mit viel Spaß und Humor kopieren. Die fünf treten im Stadtpark auf, in der Großen Freiheit, in der Fabrik, und stets füllen sie diese Orte. Dann erkrankt ihre Mitsängerin Conny Stahl an Leukämie. Nach deren Tod löst sich die Gruppe auf.
Regy Clasen braucht einige Zeit, um dieses rabiate Ende zu verkraften. Erste Soloprojekte folgen. Es läuft gut an. Bis mit einem Mal die Sensation da ist: Eine der ganz großen Plattenfirmen tritt an sie heran und winkt mit einem Exklusivvertrag. „Ich habe mich damals mit Haut und Haaren verkauft“, sagt Regy Clasen und unterbricht sich sogleich: „Oh Gott, das klingt ja fürchterlich! Also: Ich war schlicht ein bisschen überrumpelt.“ Ihre CD „So nah“ bekommt gute Kritiken, verkauft sich nicht schlecht, aber der Firma geht alles zu langsam. Auch fühlt sie sich zunehmend unwohl und eingeengt: „Sie waren mit mir sehr nett und freundlich, aber wo es um Geld geht, geht es meistens nur um Geld. Und da muss man gegenhalten können. Auch künstlerisch.“ Damals sei sie noch nicht so weit gewesen. Aus einer zweiten CD wird daher nichts.
Regy Clasen steht da, mit leeren Händen, aber jeder Menge Ideen und den nächsten Songs. Soll sie Klinken putzen gehen? Überall bitten und fragen? Und braucht sie denn eine Plattenfirma mit all den Leuten, die es stets besser wissen, sich in alles einmischen und gegen die man sich ständig durchsetzen muss?
Sie schaut sich um, sie spuckt in die Hände, sie trommelt ihre Freunde zusammen, die wieder Freunde haben, die ihr gleichfalls unter die Arme greifen. Ihre zweite CD reift heran. Die Texte, die Arrangements, das Plattencover, der Internetauftritt, alles bleibt in ihrer Hand. Sie macht ihr eigenes Ding. Dabei bestrebt, möglichst perfekt zu sein; das Beste zu geben: „Ich mag gern Dinge, an denen man nichts mehr weglassen kann. Ist das nicht Zen?“
Das gilt auch für ihre Konzerte. Neben ihrer Band stehen immer wieder Gastmusiker mit auf der Bühne, denen sie Raum gibt, eigene Akzente zu setzen; so wie sie selbst nie zögert, braucht einer aus der Hamburger Soulfamilie von Michy Reincke über Stefan Gwildis bis hin zu Anna gesangliche Unterstützung. „Meine Band besteht nicht aus Musikern, die dafür bezahlt werden, dass sie mich begleiten. Das sind wirklich meine Freunde und meine Family“, sagt sie mit unverhohlenem Stolz.
Was Folgen hat: Wer ein Feuerzeug in die Luft hebt, der macht das nicht, weil man eben nach zwei Bier ein Feuerzeug aus der Hosentasche pult. Sondern weil ihm einfach danach ist. Paare halten sich extra eng umschlungen, wenn Regy Clasen singt: „Ich wär gern mit dir aufgewacht/hab aber gar nicht geschlafen/in deinen Armen die ganze Nacht/in meinem Nacken dein Atem.“ Und wer allein ist, der spürt jetzt noch mehr sein Alleinsein, denn selbstverständlich singt man auch ihre Songs übers Alleinsein auswendig mit, was vielleicht die beste Ausgangsbasis ist, das zu ändern, wenn man es will.
Und die nächste CD? Anderthalb Jahre ist es her, dass „wie tief ist das wasser“ erschien. Andere hätten längst etwas hinterhergeschoben. „Ich spüre den Druck“, sagt sie, „aber es muss einfach gut werden. Und solange es nicht gut ist, kommt es nicht raus.“ Sie verschränkt die Arme: „Ich kann unter Druck nicht kreativ sein.“ Ruft fast trotzig: „Das Kind in mir sagt: Wenn du mir Druck machst, dann schreibe ich überhaupt nichts. Dann kriegst du gar nichts von mir!“ Sie lässt die Arme wieder sinken: „Sagen wir es so: Ich fange an, Songs zu schreiben.“
Also heißt es warten. Warten. Geduldig warten. Irgendwann aber wird es so weit sein. Es wird ja schon recht früh dunkel, und nachher ist wieder ein Tag vorbei.