13 Menschen starben zuletzt auf Hamburgs Straßen. Die Stadt hat nun ihr Winternotprogramm erweitert, hält aber an Großunterkünften fest. Düsseldorf tut längst mehr.
Anfang Februar, bei Minusgraden, sitzt Robert dick eingepackt auf einer Holzbank oberhalb der Landungsbrücken. Mit Schlafsäcken, Isomatten, Decken und Kissen hat sich der Pole einen Platz eingerichtet, an dem er tagsüber Zeitung liest.
In eins der städtischen Notzimmer will er nicht, seitdem er schon mal in der Großunterkunft Friesenstraße übernachtet hat. „Auf keinen Fall“, sagt Robert kategorisch. Seine Angst, sich mit Corona zu infizieren, sei größer als die Furcht vor der Kälte. Vor allem, seitdem seine Mutter in Warschau an Corona starb.
Viele Hamburger Obdachlose meiden das städtische Winternotprogramm. Mit fatalen Folgen: Seit dem 1. November, dem Tag der Öffnung der Notherbergen, sind mindestens 13 obdachlose Menschen gestorben. Mehr als doppelt so viele wie im Winter 2019/2020. Menschen, die gut versorgt im Warmen vielleicht nicht hätten sterben müssen.
Es gibt viele Gründe dafür, dass Menschen das Winternotprogramm nicht nutzen: Angst vor Diebstahl und Gewalt, die vielen Menschen auf engem Raum – zumal in Zeiten einer Pandemie. Dennoch hält die Stadt an den Sammelunterbringungen fest. Dort müssen sich normalerweise bis zu acht Menschen ein Zimmer teilen, im Lockdown sollen es laut Sozialbehörde maximal vier pro Raum sein. Und das in Einrichtungen, deren größte bis zu 450 Menschen aufnimmt. Und die im Normalbetrieb tagsüber schließen.
Umdenken bei den Verantwortlichen
Doch die vielen Toten haben offenbar ein Umdenken bei den Verantwortlichen in der Sozialbehörde und im Senat bewirkt; der massive Wintereinbruch kam hinzu. Während des strengen Frosts durften die Obdachlosen tagsüber in ihren Unterkünften bleiben. Außerdem soll das Winternotprogramm laut Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) so lange laufen, bis alle Gäste geimpft sind – also möglicherweise weit über den März hinaus. Einmal die Woche werden kostenlose Schnelltests angeboten.
Die Eröffnung einer neuen Unterkunft mit Einzelzimmern sticht besonders heraus: In der Eiffestraße öffnete der städtische Betreiber Fördern & Wohnen (F&W) Anfang Februar ein Heim für 35 Personen. „Es geht uns mit dieser Unterkunft um die Menschen, die wir bis dato aus den unterschiedlichsten Gründen nicht erreichen“, sagt Hannes Zeiner. Der 55-jährige Sozialarbeiter – Dreitagebart, kurzgeschorene Haare, sympathisches Lächeln – leitet die neue Einrichtung. Zwischen 8 Uhr morgens und 22 Uhr abends stehen hier Experten wie er für Beratungen bereit. Wer in die Unterkunft darf, entscheiden Straßensozialarbeiter*innen.
Anderer Charakter als in den Sammelunterkünften
Einer von ihnen ist Julien Thiele von der Caritas. Er hat schon mehrere Obdachlose in die Eiffestraße vermitteln können und einen positiven Eindruck von der neuen Unterkunft bekommen. „Der Charakter dort ist ein ganz anderer als in den Sammelunterkünften“, sagt Thiele. Auf jedem Flur müssen sich nur wenige Menschen Bad und Dusche teilen. Außerdem stehen die Türen der Einrichtung für Thiele offen. Auch das ist ein riesiger Unterschied zu den Großunterkünften des Winternotprogramms: Dort haben die Straßensozialarbeiter*innen in der Regel keinen Zugang.
„Der Bedarf nach einem eigenen Zimmer und Rückzugsraum geht weit über die Zielgruppe der psychisch kranken Obdachlosen hinaus“– Stephanie Rose, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion
Was zunächst nach Kurswechsel klingt, soll in den Augen der Sozialbehörde aber eine Ausnahme bleiben. Menschen, die das Winternotprogramm aufgrund „psychischer oder physischer Beeinträchtigungen“ nicht nutzen, sollen in der neuen Einrichtung unterkommen, heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Der sozialpolitischen Sprecherin der Hamburger Linksfraktion, Stephanie Rose, reicht das nicht. „Der Bedarf nach einem eigenen Zimmer und Rückzugsraum geht weit über die Zielgruppe der psychisch kranken Obdachlosen hinaus“, sagt Rose. Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Andreas Grutzeck, teilt diese Meinung. „Die Unterbringung in der Eiffestraße“, sagt Grutzeck, „ist zwar ein Anfang. Der neuerliche Todesfall belegt aber, dass der Senat die Platzzahl und den Kreis der Berechtigten dringend erweitern muss.“
Dieser „neuerliche“ Tote starb Mitte Februar in Altona. „Warum müssen Menschen immer erst am Limit ihrer Möglichkeiten sein, um ihr Grundbedürfnis nach Privatsphäre befriedigt zu bekommen?“ fragt Caritas-Mann Julien Thiele verärgert. Es seien beileibe nicht nur psychisch Kranke, die die Unterkünfte mieden.Doch Hamburg lehnt Einzelunterkünfte für alle Obdachlosen weiterhin ab. Zwar sagt die Sozialsenatorin, dass sie sich über die vielen Engagierten freue, die obdachlose Frauen und Männer derzeit in Hotels unterbringen. Kirchliche und gemeinnützige Initiativen, darunter Hinz&Kunzt, machen das seit Dezember. Sie ermöglichen bereits rund 170 Menschen in Hotels und Monteursheimen eine Erholung vom Leben auf der Straße – und mehr Sicherheit vor dem potenziell tödlichen Virus. Für die Stadt sei das nicht zu leisten, behauptet SPD-Frau Leonhard und verweist darauf, dass die Beratung in den Großunterkünften besser funktionieren würde.
Vorbild Düsseldorf?
Was in Hamburg unmöglich scheint, macht Düsseldorf längst. Die schwarz-grün regierte Rheinmetropole registrierte Mitte Februar einen Corona-Ausbruch in einer Obdachlosenunterkunft; acht Gäste infizierten sich, einer musste ins Krankenhaus. Die betroffene Einrichtung wurde geschlossen und die Gäste in Hotels untergebracht – zusätzlich zu mehr als 200 Düsseldorfer Obdachlosen, die seit Beginn der Coronakrise sukzessive in Hotels untergebracht worden waren.
„Wir wollten Obdachlosen ein attraktiveres Angebot machen, damit auch sie Kontakte beschränken“, sagt Miriam Koch, Grünen-Politikerin und Leiterin des Düsseldorfer Amtes für
Migration und Integration. In den wenigen verbliebenen Gemeinschaftsunterkünften würden Zimmer nur noch einzeln belegt.
Sozialarbeiter Julien Thiele hofft, dass die neue Unterkunft in der Eiffestraße auch in Hamburg eine Dynamik in Gang setzt. Dass die Stadt die Vorteile der Unterbringung in Einzelzimmern jetzt selbst entdeckt. Weil sich die Geschwächten hier ganz anders stabilisieren. Und weil Obdachlose erreicht werden können, die sonst unter keinen Umständen in die städtischen Unterkünfte gehen würden. Menschen wie Robert.