Täglich trafen sich junge Hip-Hop-Fans im ehemaligen Karstadt- Sport-Gebäude – zum Tanzen, Malen und Lernen. Nun ist das offene Angebot im „Jupiter“ zu Ende. Doch Hip-Hop für alle gibt es weiterhin.
„One-ta-rrrrt-move …“ Profitänzer Noah Tepe, 24, geht vor der Spiegelwand leicht in die Knie und wartet auf den Beat, dann legt er los: „Frame“ – er zieht die Finger wie einen Rahmen auseinander, klappt die Arme über die Brust, schiebt sein Kinn zur Seite, den Oberkörper hinterher, ein akkurater 90-Grad-Winkel. Hinter ihm stehen neun hoch konzentrierte Teilnehmer:innen seines Open-Style-Choreografie-Kurses und üben seine Bewegungen, zweimal, dreimal, achtmal, bis es sitzt. Dann geht es weiter: „Six – seven – eight – ta – ta – boom – down! Und bei ‚down‘ haben wir so ganz slightly eine chest roll.“ Noah lässt eine Welle über seine Wirbelsäule rollen. „Wenn ihr Bock habt!“
Bock hatten alle im „Urbandocks“. Bis vor wenigen Tagen bespielten die „Stiftung Kultur Palast“, bekannt für ihr Projekt „HipHop Academy“, und die „OZM Gallery“ gemeinsam die erste Etage im Jupiter und verwandelten 1250 Quadratmeter mitten in der City in einen Spielplatz für die junge Hip-Hop-Szene. Noch Anfang Dezember schallen Beats durchs ganze Haus, junge Menschen in Baggy Pants und Turnschuhen bevölkern die Fläche. Zwei Mädchen, Fans koreanischer Popmusik, tanzen ein K-Pop-Video auf dem Smartphone nach. Auf dem grauen Vinylboden des ehemaligen Karstadt Sport bringen sich Tänzer:innen gegenseitig neue Moves bei. Am Tisch nebenan beugt sich eine Gruppe Jungs in schwarzen Daunenjacken über Skizzen, die eines Tages so spektakuläre Graffiti werden könnten wie die Bilder, die hier fast jede Wand einnehmen.
„Man ist umgeben von Kunst“, schwärmt Noah beim Treffen mit Hinz&Kunzt an einem der letzten Freitagabende im Urbandocks. Er sieht in dem Ort einen inspirierenden Szenetreffpunkt, auch für Menschen, die erstmals mit Hip-Hop in Kontakt kommen – etwa die vielen K-Pop-Fans, die in Hamburg sonst kaum Treffpunkte hätten. „Es geht ja nicht darum zu sagen: Das ist unser Raum. Das wäre ja Quatsch“, meint Noah, der die Choreografie für seinen Kurs bewusst zu einem K-Pop-Song aufgebaut hat. „Inspiration nimmt man ja von überall.“
Hip-Hop-Kurse für alle
Auch seine Schüler:innen schätzen die Offenheit der Szene. „Jeder ist willkommen, es gibt einen großen Rückhalt in der Gruppe“, findet die 26-jährige Mara. „Das macht einfach gute Laune.“ Ihre Mittänzerin Petra stimmt zu: „Ich bin durch Zufall hier hochgekommen und habe mich sofort angeschlossen“, erzählt sie. Inzwischen sei sie in vier Kursen dabei. Dass sie mit ihren 72 Jahren altersmäßig aus der Zielgruppe fällt, weiß Petra – aber was heißt schon Zielgruppe? Entscheidend ist im Urbandocks die Leidenschaft, die alle verbindet. „Hip-Hop ist auch eine Lebenseinstellung“, sagt Noah. „Love, Unity, Peace and Fun“ – also Liebe, Verbundenheit, Frieden und Spaß – seien zentrale Werte der Szene. Ursprünglich stamme die Subkultur aus Milieus, die von viel Stress, Kriminalität und Gewalt geprägt waren. Hip-Hop diente als Ventil.
Heute gibt es viele Spielarten, Hip-Hop-Trends werden kommerziell vermarktet, die Disziplin Breaking ist seit 2024 olympische Sportart. Ein zentrales Merkmal ist gleich geblieben: Durch Musik, Kunst und Tanz bietet Hip-Hop einen Weg, das Innerste nach außen zu kehren und sich anderen mitzuteilen. In der Szene begegnen sich Menschen, die sich gegenseitig stärken wollen, sagt Noah. „So bildet sich eine Gemeinschaft.“
Kultur anbieten, bei der auch in benachteiligten Stadtteilen jede:r sofort mitmachen kann – das sei das Ziel der HipHop Academy, sagt Dörte Inselmann, Intendantin der Stiftung Kultur Palast. Hip-Hop mache viele Kinder und Jugendliche selbstbewusster. „Unsere Idee ist, dafür Bühnen zu schaffen, damit die Gesellschaft das auch sieht“, sagt sie. Die HipHop Academy, die junge Talente professionell fördert, bespielt inzwischen große Bühnen: Bei ihrer Gala Ende November auf Kampnagel schauten mehr als 2000 Menschen zu.
Nun ist der Mietvertrag ausgelaufen. „Es tut uns im Herzen weh, dass die erfolgreiche Zeit im Jupiter zu Ende geht“, sagt Dörte Inselmann. Doch finanziell seien Angebote wie das Urbandocks für ihre Stiftung nicht dauerhaft zu stemmen.
Es gebe „einen Wechsel in einigen Nutzungen“, erklärte dazu die städtische Hamburg Kreativ Gesellschaft, die die Flächen vergibt. Der Jupiter bleibe aber weiterhin geöffnet, das Programm Freifläche laufe weiter.
Auch Hip-Hop für alle soll es weiterhin geben. Die Stiftung Kultur Palast hofft, dass viele aus dem Urbandocks künftig in die Studios der HipHop Academy in Billstedt und Harburg kommen. Noah meint: „Das ist so eng zusammengewachsen, das wird sich nicht einfach verlaufen.“