"Slime"-Sänger Tex Brasket

Nie mehr Arschlochwecker

Von der Straße auf die Bühne: Tex Brasket. Foto: Miguel Ferraz
Von der Straße auf die Bühne: Tex Brasket. Foto: Miguel Ferraz
Von der Straße auf die Bühne: Tex Brasket. Foto: Miguel Ferraz

Tex Brasket lebte auf der Straße und verkaufte Drogen, doch seine Songs waren ihm immer am wichtigsten. Sie haben ihn von einer S-Bahn-Brücke in die größten Musikclubs des Landes gebracht.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Kalt ist es auf St. Pauli. Tex Brasket lässt auf sich warten. Eben stand noch der Soundcheck an, dann musste der Sänger für den Bandfotografen posieren, hier, im trüben Dezemberlicht an der Kastanienallee. Später werden ihn 1500 Menschen auf der Bühne des Docks erwarten.

Nun öffnet sich die Tür zum Backstage-Bereich des Clubs, eine freundliche Begrüßung – „geht schon mal rein, nehmt euch ’nen Kaffee“. Tex geht voran, hinein in die schmalen Gänge hinter der Bühne, und macht sich mit seinem Taschenmesser ein Bier auf.

„Dem Schnaps hab ich abgeschworen“, sagt Tex, dieser wuchtige Typ mit der kratzigen Stimme, der jahrelang auf der Straße sang und heute in den größten Clubs des Landes auftritt. „Ich will nicht behaupten, dass Alkohol gar keine Krücke mehr ist, aber es ist nichts mehr, worauf ich mich stützen muss. Es ist ein work in progress.“

Progress, also Fortschritt, hat es in den vergangenen Jahren eine Menge gegeben im Leben von Nathaniel Gram Brasket. Geboren wurde er 1980 in Galveston, Texas, als Kind einer drogenabhängigen Mutter. „Nach meiner Geburt blieb ich für vier Tage in der Klinik – für den Entzug“, schreibt Tex in seiner Autobiografie. „Danach wurde ich in die Obhut einer Einrichtung für Waisen- und Pflegekinder übergeben, wo ich über die nächsten Monate langsam aufgepäppelt wurde.“

Seine Mutter hat Kokain und verschiedene Opiate konsumiert, sein Vater wird noch vor seiner Geburt wegen Totschlags zu 20 Jahren Haft verurteilt. Den Säugling adoptieren zwei in Texas arbeitende Deutsche und nennen ihn Thomas. In seiner Kindheit zieht die Familie zwischen den USA und Deutschland hin und her. In der bayrischen Provinz ist er nur der Texaner, alle nennen ihn „Tex“. Bald werden bei ihm ADHS, das Borderline-Syndrom und weitere psychische Störungen diagnostiziert. Die Schule ist nichts für ihn, er wird gemobbt, spricht vom „Arschlochwecker“, der ihn morgens aus den Träumen reißt. Kraft gibt ihm die Musik: Paul Simon und Fleetwood Mac, später Mötley Crüe, Def Leppard und Van Halen, noch später Bad Religion, Abstürzende Brieftauben und Rage Against The Machine. Von Pop zu Hardrock zu Punk.

All das beschreibt Tex in seiner Autobiografie „Dreck und Glitzer“, in der er gemeinsam mit dem Journalisten Christian Schlodder sein bewegtes Leben Revue passieren lässt.

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Das Buch beginnt auf den Straßen Berlins und beschreibt den beinahe märchenhaften Weg des mit Süchten, Armut und Obdachlosigkeit kämpfenden Mannes hin zum Frontmann einer der bekanntesten Punkbands des Landes: „Slime“.

Ende Dezember in Hamburg sitzt Tex Brasket im wenig glamourösen Backstage-Raum im Keller des Docks am Spielbudenplatz, wo er später spielen wird. Der größte Club der Stadt ist ausverkauft. Tex trägt einen gestutzten Vollbart, großflächige Tattoos schauen unter seinen hochgekrempelten Ärmeln hervor. „Ohne die Musik würden wir dieses Gespräch nicht führen“, sagt Tex ganz unpathetisch, zurückgelehnt auf dem Sofa. „Ich wäre entweder sehr lange Zeit weggesperrt worden oder gar nicht mehr da.“

Mit Anfang 30 ist Tex zweifacher Familienvater. Der Alltag im Speckgürtel Münchens mit den verschiedenen kleinen Jobs frisst ihn auf: „Arschlochwecker, Arschlochtag“. Er fängt an zu trinken, seine Ehe ist am Ende. 2016 kommt er nach Berlin, durch eine Umschulung, die er nach wenigen Wochen abbricht. Zu seinen wenigen Besitztümern gehört eine Gitarre. Tex will sich ganz der Musik widmen, die er schon zuvor in Fußgängerzonen gespielt hat, und tritt in Kneipen auf.

Das Geld wird knapp, aber es ist Sommer. Er schläft draußen, schätzt die Ruhe an einem Teich, und obwohl er einen „herrlichen Dachschaden“ hat, genießt er das Vertrauen vieler Menschen, die er trifft. Manche geben ihm sogar Schlüssel, damit er sich jederzeit in Wohnungen zurückziehen kann. Romantisch ist sein Leben nicht. Mehrmals wird er verprügelt, beinahe abgestochen, sagt er. Doch er hat die Musik. Sein zweites Zuhause wird der „Lange Jammer“, eine zugige Fußgängerbrücke am Berliner S-Bahnhof Storkower Straße.

Co-Autor Christian Schlodder beschreibt Tex’ Straßen-Bühne in „Dreck und Glitzer“: „Jedes Geräusch hallt hier oben über den Beton von einem Treppenaufgang zum anderen. Tex machte sich dies zunutze. Mit seiner Gitarre saß er neben dem Fahrstuhl und sang seine Songs, die von der Schwere des Lebens und dem Licht am Ende des Tunnels handelten.“

Oft erlebt Tex, wie gerade junge Frauen „schrecklich verträumte Kulleraugen bekommen, wenn sie Geschichten von der Straße hören“. Tex beugt sich auf dem Sofa nach vorne: „Man kann ja alles romantisieren. Aber dann gibt dir jemand ’nen richtig schönen Löffel Scheiße. Und dann schluck erst mal und erzähl mir, wie es war. ,Die Straße‘ gibt es sowieso nicht! Es gibt einfach nur eine Welt da draußen, und die ist alles Mögliche.“

„Am Ende waren es Menschen, die mich gerettet haben und die in mir etwas gesehen und an mich geglaubt haben“, sagt Tex Brasket über seinen Weg nach oben. Foto: Miguel Ferraz
„Am Ende waren es Menschen, die mich gerettet haben und die in mir etwas gesehen und an mich geglaubt haben“, sagt Tex Brasket über seinen Weg nach oben. Foto: Miguel Ferraz

Im Winter schlägt sich Tex von Couch zu Couch durch, wird kriminell, probiert Heroin, verkauft Speed. Aber zwischenzeitlich hat er dank eines Anti-Drogen-Vereins ein Zimmer. Und er nimmt an Open-Mic-Sessions teil – mit seinen eigenen Songs. Der Wendepunkt ist ein Video. Eines Abends filmt ihn eine Frau dabei, wie er das Lied „Parkbank in Treptow“ auf dem Langen Jammer singt. Innerhalb von wenigen Tagen hat der Song mit der bluesigen Gitarre und dem rauen Gesang eine Viertelmillion Klicks. Tex hat plötzlich Fans, die sich online Tipps geben, wo man ihn gerade singend und spielend antreffen kann. „Am Ende waren es Menschen, die mich gerettet haben und die in mir etwas gesehen und an mich geglaubt haben“, reflektiert Tex.

Er wird einem Produzenten vorgestellt: Christian Mevs, Gitarrist und seit 1980 Mitglied von Slime.

Slime ist nicht irgendeine Band, es ist eine der bekanntesten deutschen Punkbands; eine konsequent antifaschistische Gruppe, die sich auch stets gegen Regierung und staatliche Institutionen wandte. Ihr Song „Bullenschweine“ landete auf dem Index, ein anderer gilt als „Kunst im Sinne des Grundrechts“: „Deutschland muss sterben“. Seit 2022 singt Tex den Song – als Frontmann von Slime.

Im Jahr 2020 verließ der langjährige Sänger die Band, und nach nur einer Probe entscheiden sich die verbliebenen vier Mitglieder für Tex. Sie nehmen ein Album auf, gehen auf Tour, beim Wacken-Festival spielen sie vor 40.000 Menschen. Auch drei Jahre später kann Tex sein Glück kaum fassen.

„Ich glaube, ich hatte noch keinen Gig, wo ich nicht ganz kurz auf der Bühne stand und mir gedacht habe: Das kann doch eigentlich alles gar nicht wahr sein. Den Song hast du damals im Keller deiner Eltern gehört und wolltest dazu alles zerlegen. Und jetzt stehst du hier oben und singst die Scheiße. Das ist geil.“

Abends beim Konzert im Docks trägt Tex ein Flanellhemd und geht mit Sonnenbrille auf die Bühne. Er ist ein energischer, wütender Leadsänger, der sich nicht davor scheut, den Mittelfinger herauszustrecken, wenn es ihm um politische Botschaften geht. Bei der Bandvorstellung bekommt er genauso viel Applaus wie Slime-Gründer und Gitarrist Michael Mayer. Wie ist es für ihn, jetzt von Tausenden bejubelt zu werden und nicht mehr bloß von einer Handvoll wie auf dem Langen Jammer? „Es ist eine Art Suchtverlagerung“, sagt Tex über das Hochgefühl. „Es fühlt sich sehr ähnlich an wie eine fette Nase Speed.“

Der Sänger lebt inzwischen ein laut eigener Aussage „ziemlich spießiges Leben“ in einer mittelgroßen Stadt in Ostwestfalen. Reich ist er nicht geworden. Das Geld, das er bei Konzerten verdient, reicht immer nur gerade eben bis zur nächsten Toursaison. 2025 wird ein geschäftiges Jahr für ihn, Slime gehen auf Tour und sein Blues-Hip-Hop-Projekt „Teluxe“, das er zusammen mit dem „Liedfett“-Gitarristen Lucas Uecker gegründet hat, veröffentlicht ein Album.

Braucht er nun nicht doch wieder den Arschlochwecker?

„Ja, aber er ist kein Arschloch. Das ist mein Wecker! Ich hab es ja so gewollt.“ Tex’ Fazit ist ausschließlich positiv. „Ich war nie ein guter Maler. Ich bin ein schrecklicher Tänzer. Deswegen wurde ich Musiker, sonst hätte ich keine Mädchen abgekriegt. Also: weitermachen. Das Leben ist aufregend. Ich hab Bock. Ich hab richtig Bock.“

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 384

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Autor:in
Jan Paersch
Freier Kulturjournalist in Hamburg. Zwischen Elphi und Stubnitz gut anzutreffen - und immer auf einen Espresso.

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